Hamburg. Am 3. Oktober hat ein neues Festival-Format Premiere in Hamburg, an ungewöhnlichen Orten mit unkonventionellen Ideen: „Liedstadt“ Hamburg.
„Lass mal machen!“ Mit diesem oder einem sehr ähnlichen Satz fangen entweder klassische Erfolgsgeschichten an – oder aber gut gemeinte Ideen, aus denen leider doch nichts wird. An die Möglichkeit, unbemerkt auf die Nase zu fallen, scheint niemand der drei Liedbegeisterten, die demnächst fast rund um die Uhr aktiv sind, auch nur einen halben Gedanken zu verschwenden. Weil sie viel zu sehr in den Vorbereitungen des ersten Festivals stecken, das Hamburg zehn volle Tage lang, kein Witz, zur „Liedstadt“ machen soll. Kian Jazdi jedenfalls sitzt in seinem Büro, strahlt vorfroh und kann offensichtlich kaum abwarten, dass diese Sache nun endlich aus dem Startblock kommt, hin zum Publikum. Udo Lindenberg und Ina Müller hatte man vor einem Jahr über Interviews eingeladen, aber: Man kann nicht immer und sofort alle haben.
Ein kleiner Schritt zurück zur Einordnung: An den Ehrgeiz, Musikstadt zu sein, hat man sich hier inzwischen gewöhnt, sehr viele Aspekte dieser Selbstwahrnehmung sind ja auch angenehmerweise wahr geworden. Doch wenn es um das so richtig klassische Lied geht, bei dem jemand vor einem Flügel steht und sich mit intim vertonten Dichterworten die Seele aus dem Leib singt, reimt sich „Liedstadt“ nach wie vor wohl doch eher auf „Wien“.
„Liedstadt“ Hamburg: 50 Konzerte überall in der Stadt? „Lass mal machen!“
Jazdi aber stört das nicht. Er steht auf das Lied an sich und überhaupt, er kennt viele Menschen und Organisationen, hier und anderswo, und redet gern mit ihnen begeisternd über Musik und insbesondere über Klassik und wie man sie auch anders als gelernt präsentieren kann. Eher: muss. „Was berührt mich da? Was hält mich da?“ Er ist sowohl ausgebildeter Musiker als auch leidenschaftlicher Projektentwickler, hier, da und dort. Vor einigen Wochen hatte Jazdi an einem Soli-Konzert des Ensemble Resonanz für das „Viva la Bernie“-Projekt mitorganisiert, mit Rappern und Punks und Barock, in Wien arbeitet er mit Hamburgs nächstem Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber an einem Musiktheaterprojekt.
Zweites Drittel im Leitungsteam ist der Tenor Julian Prégardien, der wohl bei einem Auftritt in Hamburg die allererste „Wir machen das jetzt einfach!“-Idee hatte und als eine der Aushängestimmen sehr präsent sein wird. Das dritte Drittel ist die Art-Direktorin Cate Pisaroni, die in Wien zu Hause und als Tochter des Baritons Thomas Hampson mit dieser Musik buchstäblich aufgewachsen ist.
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Nicht zehn, nicht 20, nein: 50 Pop-up-Konzerte vor allem in der Innenstadt sind für den Festivalstart am Nachmittag des 3. Oktober geplant. Kurze Aufmerksamkeitsmagneten im Stundentakt, in Galerien, einem Weinlokal, meistens dort, wo man es nicht erwartet. „Extrem viele Angebote sind kostenlos“, betont Jazdi, etwa 80 Prozent, für Reichweite sollen die in der Stadt etablierten Kooperationspartner sorgen. Der rote Faden im Programm sind dann auch diese Kooperationen, Konzeptlinien kämen später.
„Liedstadt“ Hamburg: Auch auf Elbbarkassen wird geschippert
Direkt nach dem Auftakt folgt am Abend das reguläre Eröffnungskonzert im Liebermann-Studio, und anschließend ploppen die „Liedstadt“-Aktionen fast überall auf, eine Karte auf der Festivalwebsite weist die Wege. In Programmen der Philharmoniker wird kooperierend mitgesungen, mit Liedgut wird auf Elbbarkassen geschippert. In der Michel-Krypta, im Komponistenquartier mit kostenlosen „Liedern für alle“ ebenso wie im Jupiter an der Mönckebergstraße kommen demnächst nicht nur klassisch singende Künstlerinnen und Künstler zum Zug, die wissen wollen, ob diese Idee in dieser Stadt abheben kann.
Lieder von Schubert werden mit persischer Lyrik kombiniert. Singer und Songwriter – ästhetisch seine späten Nachfahren – sind als ganz andere Klangfarbe ebenfalls im Programm. Prégardien junior und sein Vater, der Tenor Christoph Prégardien, singen als Sättigungsbeilage bei einem Dinner im Louis C. Jacob. Und für das Finalkonzert kommt mal eben der Bariton Konstantin Krimmel, 2023 „Sänger des Jahres“ und Ensemble-Star an der Münchner Staatsoper, für ein Programm, bei dem es im Tonali-Saal Stück für Stück dunkler wird, als Ausklang. Es gibt eindeutig satt auf die Ohren.
„Wir sind einfach raus und haben Leute gefragt“, berichtet Jazdi. Der Spielplan sei immer größer geworden, weil die „derart positive Resonanz“ darauf in der Stadt immer größer geworden sei. „Wir waren selber total erschlagen.“
Für Fördermittel mit Fristenvorlauf aus der Kulturbehörde sei man schlicht zu spät dran gewesen, berichtet er, und erst recht für die noch größeren Planungszyklen der Elbphilharmonie. Nicht schön, das mit den Finanzen, aber letztlich kein Beinbruch. Stattdessen haben sich zahlreiche private Gönner, Kooperationspartner und Organisationen gefunden: „Anträge gingen en masse raus.“ Und nun ist es bald so weit.
Die Ziellinie dieses Festivalgedankens jenseits der zehn Oktobertage ist noch in weiterer Ferne. Nach Etappen in Berlin, Leipzig und Weimar, Düsseldorf und Frankfurt, München und Zürich, steht aber als krönender Abschluss schon mal ein „Liedstadt“-Finale in Wien in der Mail-Signatur von Jazdi, im Schubert-Jubiläumsjahr 2028. Bereits jetzt verspricht er für das nächste Jahr in Hamburg: „Ich darf noch nichts erzählen, aber: Wir kommen zurück.“
Infos: www.liedstadt.de