Hamburg. Streaming-Konfektionsware, die am besten dann ist, wenn jeder über jeden hetzt: Hollywoodstar Kidman im Krimi auf der Reichen-Insel.

Mal wieder eine Romanadaption, mal wieder die oberen Zehntausend, sie sind bestimmt in den USA besonders ruchlos und abgehoben. Zumindest kann man sich das, gefüttert auch von popkulturellen Klischees und der Gegenwartsliteratur, leicht so vorstellen. Der 2018 erschienene Roman heißt „The Perfect Couple“ und stammt von der US-Amerikanerin Elin Hilderbrand. Der auf jenem basierende neue Netflix-Sechsteiler trägt im Original denselben Titel. Im deutschsprachigen Raum läuft der Krimi unter „Ein neuer Sommer“, was schon beinah abenteuerlich fad anmutet.

Fad ist der temporeich inszenierte Krimi, der auf der Atlantik-Insel Nantucket spielt, sicher nicht. Das Eiland ist kleiner als Martha‘s Vineyard, aber genauso edel. Ostküste, Massachusetts, quasi vor Cape Cod, US-amerikanische Noblesse. Die fiktiven Winburys gehören unbedingt dazu, die leben in fünfter Generation dort, auf einem 40-Millionen-Dollar-Anwesen. Auf dem treiben sich bedauerlicherweise ziemlich viele Polizisten herum, dabei wollte der Clan um die selbst lange eingeheiratete Matriarchin und Autorin Greer Winbury (in ihrer zweiten Serien-Rolle in diesem Jahr nach „Expats“: Nicole Kidman) doch nur ein Riesenfest feiern. Die Hochzeit eines ihrer Söhne. Leider gibt es am Vorabend der Trauung eine Tote im Wasser zu beklagen.

„Ein neuer Sommer“ auf Netflix: Es knirscht im Familiengebälk

Dieser Auftakt der Serie ist dann auch wie aus einem Guss und dramaturgisch geschickt: Wer da tot ist, wird nicht sofort gezeigt. Wohl aber, wie spinnefeind sich im Clan manche sind; und wie es überall knirscht im Familiengebälk. Jede und jeder kann die Täterin oder der Täter sein, das ist der erzählerische Ausgangspunkt der Geschichte.

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Die Schnösel-Arena ist gut besetzt mit dem sensiblen Künstlertypen Benji Winbury (Billy Howle), dem unschuldigen Rich Kid Will Winbury (Sam Nivola) und dem dritten Bruder im Bunde, Thomas (Jack Reynor), dem zynischsten unter all den Überprivilegierten, die hier mit ihren Egos durch die Szenerie hüpfen. Leider bleibt in dieser Erzählung der schnellen Schnitte – und vielen Verhörszenen – der hypertrophe Witz der moralischen und emotionalen Wohlstandsverwahrlosung viel zu schnell auf der Strecke. Der ständig kiffende Pater familias Tag Winbury (Liev Schreiber) schießt mit Vorliebe mit seinem Golfschläger Möwen ab oder versucht es zumindest – irgendwann ist das nur noch ein müder Gag, ein Guy-Ritchie-Abklatsch, in dem Tags Krisen-Ehe mit Greer im Fortgang der Handlung immer mehr zur Behauptung wird.

Neu auf Netflix: Bonos Tochter Eve Hewson spielt die Braut

Benjis Verlobte, die geldmäßig normalsterbliche Amelia Sacks (Bono-Tochter Eve Hewson, „Bad Sisters“), ist als Identifikations- und Gegenfigur zu Kidmans eiskalter Clanchefin gedacht und funktioniert als solche auch halbwegs. Greer Winbury lässt auch und besonders vor Hochzeitsfeiern Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben; die besondere Pointe, was das angeht, kommt beinah ganz am Ende. Auf dem Anwesen der Winburys weht die Amerika-Flagge, die Peergroup der vor Geld stinkenden Familie besteht aus Leuten, die auf Malia Obamas Hochzeit eingeladen ist. Merke: Auch und gerade die „guten“ Demokraten können richtige Kotzbrocken sein.

Dass es speziell in krisenhaften Situationen wie einem aufzuklärenden Mordfall – der Bluttest bei der Obduktion war ziemlich auffällig – darum geht, das Narrativ zu lenken, bezeugt die Skills einer hochwohlgeborenen Familie, die grundsätzlich glaubt, mit ihrem Geld und Einfluss über das Geschehen bestimmen zu können. Und was eh zählt, ist der schöne Schein, damit bloß keiner merkt, wie kaputt hier eigentlich alle sind. Nun, diese Geschichte kennt man schon zur Genüge: Und was Brutalität im Umgang mit Leuten angeht, die die gleichen Gene besitzen, ist dieser Sechsteiler im Vergleich zu „Succession“ am Ende halt doch von großer Harmlosigkeit.

Netflix-Serie
Neue Netflix-Serie „Ein neuer Sommer“: Familienaufstellung mit Nicole Kidman © SEACIA PAVAO/NETFLIX | © 2024 Netflix, Inc.

Aber ein paar Szenen sind insgesamt doch gut genug, um dranzubleiben beim Ratespiel, wer es denn nun war. Einmal sitzen die Ermittler des mysteriösen Mordfalls beim Arbeits-Drink in der Bar, und als Betrachter, der nur halb aufmerksam dem in diesem Fall keineswegs schlechten, aber halt auch nicht absolut fesselnden (ein Pars pro Toto für die gesamte Serie) Dialog folgt, entdeckt man unter den Werbeplaketten an der Wand ein „Holsten Pilsener“-Schild. Sieh an, da ist ja auch Hamburg mit im Spiel, denkt der lokal getunte Beobachter, und fragt sich doch, warum die bereits in „Big Little Lies“ als Ostküstenmutter auftretende Nicole Kidman diesmal so blass bleibt, etwa wenn sie als verwelkende Frau den jüngeren Geschlechtsgenossinnen mit einer gehörigen Portion Neid begegnet.

„Ein neuer Sommer“ ist ab dem 5. September auf Netflix abrufbar.

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Ein erstaunlicher Roman über eine katastrophale Frau, die ihren Vater begehrt

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