Hamburg. Erst denkt man: Was für ein billiger Literaturporno. Aber dann entwickelt sich der jetzt erscheinende Pageturner zum Ripley-Thriller.
„Führen Sie meinen Arm“, sagt Catherine Havemeyer, 49, zu Conor O‘Toole, 25. Man befindet sich auf dem Tennisplatz. Für sie verschärfte Flirt-Zone. Für ihn dann, hoppla, schnell auch. Er muss, nach ihrem Befehl, ja ganz nah an sie dran – ihr Rock streift seinen Schritt, na so was. So ist das in Teddy Waynes neuem, auf Deutsch bei Hoffmann und Campe kurz nach dem amerikanischen Original erscheinenden Roman „Der Gewinner“. Im Original heißt er „The Winner“, was im Hinblick auf die im Roman ungeniert auftauchende Tennis-Metaphorik noch konsequenter ist. Da ist die Penetranz dann gleich im Titel.
Wenig subtil ist dieser Roman in jedem Satz. Alles ist gewollt, alles deutlich, und zwar dergestalt, dass man sich doch glatt auch mal ärgern könnte. So oder so: Als Catherine auf ihrer Jagd nach einem Toyboy wenig schüchtern ihren Tennislehrer anmacht, liest man angesichts ihres entschlossenen Hinternreckens bei der Vorhand-Übung erst mal das Wort „Urreaktion“. Gemeint ist Conors körperliche Antwort auf die Attacke. Ab dann geht‘s los, die Tennisstunden („So ganz habe ich‘s noch nicht raus“) werden, sagen wir: intensiv. Catherine und Conor haben eine heimliche Affäre. Wohlgemerkt zu Covid-Zeiten (Conor muss sich, ehe es richtig zur Sache geht, ausgiebig testen): Die von der Corona-Zeit infizierten Romane erscheinen jetzt ins steter Folge, man denke etwa auch an Hari Kunzru und Elizabeth Strout.
Neues Buch „Der Gewinner“ von Teddy Wayne: Spiel, Satz und Sex
Heimlich auch deswegen, weil Catherine eine millionenschwere geschiedene Erbin ist und der aufstiegswillige Conor, ein unverschämt gut aussehender Typ aus New York übrigens, aus dem Prekariat stammt. Seine Mutter ist arbeitslose Diabetikerin, er bezahlt die Medikamente und will es als Anwalt weit bringen, um der Armut zu entkommen. Teddy Wayne, Jahrgang 1979, entblättert in seinem sechsten Roman ein Szenario, das unbarmherzig und ohne viel literarischen Federlesens die amerikanischen Klassenunterschiede herausarbeitet.
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Conor ist über den Sommer in der Gated Community einer Ferienvilla-Gemeinschaft einer kleinen Ostküsten-Stadt beschäftigt. Während er Unternehmern und Top-Anwälten Slice und Topspinschläge beizubringen sucht, spürt er permanent das eigene lebenslange Deklassiertsein. Er will dazugehören, kennt aber seinen angestammten Platz und kann sich neben seiner auf dem Court erlernten Durchsetzungsfähigkeit vor allem auf seine Womanizer-Qualitäten verlassen. Er verliebt sich ausgerechnet in Catherines Tochter Emily und diese sich in ihn. Wobei Emily das Paradebeispiel des reichen schlechten Gewissen ist. Mit ihrer beschädigten und trinkenden Mutter ist sie verkracht, auch, weil sie ihr Erbe irgendwann komplett verschenken will. Bis es so weit ist, lebt sie, die angehende Autorin, freilich fröhlich vom für sie eingerichteten Treuhandfonds.
„Der Gewinner“ von Teddy Wayne: Klempner-Rollenspiele, im Ernst?
Es gibt in „Unendlicher Spaß“, dem epochalen Roman David Foster Wallaces (1962–2008), ein paar hübsche Tennis-Stellen, außerdem fünf Tennis-Essays. Dem großen US-Literaturhelden huldigt Wayne in diesem szenisch und rasant geschriebenen Roman explizit, der vor erotischen Klempner-Fantasien nicht Halt macht, also auch ein bisschen ironisch sein muss. Die reflektierte Emily gibt dem sonst lediglich juristische Fachliteratur lesenden Beau, der erklärtermaßen gar nicht ihr Typ ist, ein paar der Wallace-Essays zu lesen.
Und während man sich noch fragt, was der Autor Teddy Wayne in diesem in der Welt der Schnösel spielenden Roman denn damit ausdrücken will (schaut her, ich, der Unterhaltungsautor, kenne auch das literarisch Anerkannte?), ist man plötzlich in einem echten Kriminalstück mit einem Mordfall. „Der Gewinner“ will nämlich gar keine Great American Novel sein, sondern ein Thriller. Und das ist das Buch dann auch: ein ziemlich guter Thriller, der in der Beschreibung der obszönen gesellschaftlichen Unterschiede literarisch ein Porno sein mag. Aber der Stoff um den Emporkömmling, der unter die Reichen gerät, wird durch diese Deutlichkeit ohne Grauzonen formal auch zu einem gelungenen Spannungsroman.
Teddy Waynes „Der Gewinner“ erinnert an Patricias Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“
Gibt es das perfekte Verbrechen? Geschickt lenkt Teddy Wayne Leserinnen und Leser allein aus der Perspektive Conor O‘Tooles durch den zweiten Teil der Handlung, in der man nun überraschend vor die Frage gestellt wird, ob man sich mit dem Helden überhaupt noch identifizieren darf. Patricia Highsmiths Tom Ripley, von Netflix gerade in einer viel gelobten Serie wiederbelebt, geistert klar sichtbar durch „Der Gewinner“.
Man mag die Reichen, denen alles in den Schoß fällt, verachten, aber ihr Geld korrumpiert am Ende halt doch, so sehr man sich auch gegen diesen Umstand wehren möchte. „Der Gewinner“ ist ein Pageturner, der durch seine Genre-Versatzstücke viel gewinnt und dessen Figuren vielschichtiger sind, als man ihnen zunächst zugestehen wollte.