Neuengland - Der Osten der USA ist berühmt für seinen Indian Summer. Doch an der Küste hat er noch mehr zu bieten als bunte, prächtige Wälder.
New Haven. Bald beginnt der Indian Summer, die wohl schönste Reisezeit für den Osten der USA. Im September und im Oktober präsentieren sich Neuenglands unendliche Wälder als intensiv leuchtendes Farbenmeer. Die Natur malt gelbe, orange, kupferne und rote Tupfer auf das Blattwerk, die im Licht der Sonne in allen denkbaren Farbtönen erstrahlen. Was als lückenhafter Flickenteppich beginnt, besticht später als geschlossener Baldachin von geradezu rauschhafter Opulenz, der sich rasch von Westen nach Osten ausbreitet. In der Regel beginnt das bunte Treiben in den romantischen Berkshire Hills in Massachusetts. Das ist dort, wo schon Ende des 19. Jahrhunderts Familien wie die Vanderbilts, Astors und Berwinds pompöse Ferienhäuser - europäischen Schlössern gleich - errichten ließen, die sie, snobistisch untertrieben, "Cottage" nannten. Das ist auch dort, wo im Juli und August Musik die Wälder durchdringt, seit 1937 das Boston Symphonie Orchestra seinen Sommersitz nach Tangelwood gelegt hat. Im Herbst wird aus dem Ohrenschmaus eine Augenweide. Wenn das Licht dicht und gelb wird, wenn sich das Laubwerk in seiner buntesten Pracht präsentiert, dann kommt die Zeit der "leafpeeper", der Blattbeobachter. Doch bis es so weit ist, kann man an den südlichen Küsten von Neuengland noch herrlichen Strandurlaub genießen. Zum Beispiel in Connecticut. Das ist der Staat mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen in den USA und der größten Ansammlung von Millionären. Das meiste Geld wird in den Wolkenkratzern der Versicherungsgesellschaften von Hartford verdient, bei der Herstellung von Flugzeugmotoren, Helikoptern und Atom-U-Booten. Doch im Unterschied zum alten Geldadel stellt man seinen Reichtum nicht zur Schau, indem man protzige Häuser baut. Man zeigt sich bescheiden, zumindest nach außen hin. Denn der offensichtliche Luxus liegt in der Natur. Im Nordwesten in den herrlichen Wäldern der Litchfield Hills (wo Mick Jagger ein Haus hat), im maritimen Süden an den langen Stränden des Long Island Sound. In New Haven, wo man seine Kinder zur Yale University schickt, die neben Harvard als beste Bildungseinrichtung der USA gilt. Oder in Old Saybrook, wo der Connecticut River, der im Nordostzipfel von New Hampshire entspringt, nach 600 Kilometern in den Atlantik mündet und ein prächtiges Segel- und Baderevier geschaffen hat. An Connecticut grenzt Rhode Island, Amerikas kleinster und elegantester Staat. Nur 40 Kilometer breit und 80 Kilometer lang, misst die Küste mit ihren weiten Stränden beachtliche 650 Kilometer - was zu der Annahme verleitet, "Little Roady" könnte eine Insel sein. Dem ist aber nicht so, auch wenn es den Bewohnern manchmal recht wäre, um noch besser den elitären Abstand zum Rest der Welt zu wahren. Als exklusivster Ort gilt Newport. Und das nicht erst, seit John F. Kennedy Jacqueline Lee Bouvier in der Kirche St. Mary heiratete. Lange vorher schon residierten auch hier Vanderbilt & Co., deren prachtvolle "Schlösser" besichtigt werden dürfen. Es kommt also nicht von ungefähr, dass Newport schon früh Hochburg von High-Society-Sportarten wurde. Tennis-Fans finden im historischen Newport Casino die ältesten Grasplätze von Amerika, auf denen von 1881 bis 1914 die US-Open stattfanden. Der Newport Country Club war Gastgeber der ersten US-Open im Golfsport. Und seit ewigen Zeiten werden jedes Wochenende im Sommer internationale Poloturniere veranstaltet. Am meisten bekannt ist Newport jedoch durch den Segelsport. Hier gibt es die vornehmsten und ältesten Yachtclubs, die schnittigsten Schiffe, und hier ist die Heimat des legendären America's Cup. In Massachusetts lockt Cape Cod mit rund 400 Kilometern fantastischer Küste. Die Halbinsel streckt sich wie ein muskulöser Arm mit angespanntem Bizeps weit in den Atlantik hinaus, an dessen Ende der lebhafteste Ort der "Kabeljau-Küste" liegt. Provincetown, ein Mekka für Künstler und Individualisten jeder Couleur, ist prallvoll mit Galerien, Geschäften und Restaurants. Im Sommer wird es hier richtig voll, wahre Kenner des Capes kommen deshalb erst im September. Dann haben sie die einst von John F. Kennedy zum Naturwunder erklärte "Cape Cod National Seashore" beinahe für sich allein. Das heißt kilometerlange Fahrrad- und Wanderwege, ausgedehnte Sandstrände und erstaunliche Dünen. Ein Anblick, der jeden Sylter zum Staunen bringen würde. An der Nordküste des "Arms" liegen verträumte Kolonialdörfer, im Süden verstecken sich hinter Rosen- und Hortensienbüschen die Ferienhäuser der wohlhabenden Familien. Dazwischen, auf halber Strecke, liegt Hyannisport, Sitz des Kennedy-Clans. Von hier gehen die Fähren zu den vorgelagerten Inseln. Martha's Vineyard ist sommerlicher Tummelplatz der "rich and famous". Zwar kann man diese nicht auf den ersten Blick erkennen, denn alle, ob Tom Hanks, Michelle Pfeiffer oder der Business-Tycoon aus New York, laufen in Einheitsuniform herum, die aus verblichenen Bermudas und zerknautschten Poloshirts besteht. Nur nicht zeigen, wer man ist und was man hat - Understatement ist angesagt. Schick macht man sich nur für den elitären Edgartown Yachtclub, dem einzigen Ort, wo formelle Kleidung erwartet wird. Aber da ist man ja wieder ganz unter sich. Ansonsten liebt man das einfache Leben in unversehrter Natur mit blühenden Wiesen, niedrigen Kiefernwäldern und endlosen Stränden. Dazwischen Leuchttürme, Ortschaften wie Oak Bluffs mit seinen pittoresken Zuckerbäckerhäuschen, die spektakulären Klippen von Gay Head, wo Jackie Kennedys Haus steht, ein paar kleine, aber feine Restaurants und Hotels. Wer eine romantische Insel mit Walfänger-Vergangenheit sucht, ist auf Nantucket richtig. "Ein Sandhügel ohne Hinterland, ... Düne durch und durch", wurde sie einst von Herman Melville beschrieben, der hier Captain Ahab seine Jagd auf Moby Dick beginnen ließ. Ganz so karg sieht es aber dann doch nicht aus: Heide, Heckenrosen und Preiselbeersümpfe prägen die Landschaft, außen herum liegen 125 Kilometer Strand vom Feinsten. Eine ideale Badeinsel mit herrlichen Surf-Revieren. Im wirklich malerischen Ort mit kopfsteingepflasterten Gassen gibt es exquisite Galerien und romantische Country Inns, größtenteils in schmucken Kapitänshäusern aus dem 18. Jahrhundert, als Nantucket der wichtigste Walfängerhafen der Welt war. Auch wenn noch manches daran erinnert: Die große Zeit der Walfänger ist längst vorbei. Heute ist Whale Watching die Attraktion. Denn nicht nur die Menschen, auch die sanften Meeresriesen vergnügen sich während des Sommers vor den Küsten von Massachusetts. Erst Anfang Oktober, wenn es kühler wird, ziehen sie weiter. Dann geht auch die Badesaison an den Stränden zu Ende. Und es wird höchste Zeit, sich dem Heer der herbstlichen "leafpeeper" anzuschließen.