Kult-Autor Frank Schulz stellt seinen neuen Krimi im Uebel & Gefährlich vor
„Zorry“, entschuldigt sich Onno Viets. Der leidenschaftliche Tischtennisspieler, wegen seiner unorthodoxen Spielweise von seinen Kumpel kaum zu schlagen, ist nicht recht bei der Sache. Christopher Dannewitz, Onnos bester Freund und sein Anwalt, liegt 2:0 Sätze und 7:2 Punkte vorn. Seit drei Wochen schon hat der Mann mit den Noppensocken kein Match mehr gewonnen. Später, beim Après-Pingpong, offenbart er sich den Freunden. Onno leidet unter PTBS, Abkürzung für posttraumatische Belastungsstörung. Der Grund ist klar und liegt zwei Romane zurück: Onno Viets, Titelheld der Roman-Trilogie von Frank Schulz, war im ersten Band mit dem hünenhaften Zuhälter Tibor Treponov aneinandergeraten. Der liegt zwar im Koma, aber in seinen Albträumen taucht „der Irre vom Kiez“ immer wieder auf und geht Onno an die dünne Gurgel.
Onno will Hamburg verlassen und untertauchen, um seine psychischen Probleme in den Griff zu bekommen. Die Lösung liegt in Finkloch, einem Dorf, das 45 Autominuten von Hamburg entfernt ist.
Hier leben die Eltern, Geschwister und Neffen von Onnos attraktiver Freundin Edda. Das Leben in dem beschaulichen Kaff entspricht völlig Onnos geringen Bedürfnissen: ausschlafen, im Garten sitzen, Bier trinken, rauchen, stundenlang mit dem Schwiegervater auf dem Hochsitz hocken und schweigen.
Die Welt könnte in Ordnung sein, wenn es nicht eine alte Fehde zwischen Schwiegervater Henry Baensch und einer bayerischen Esoterikerin geben würde, die wegen ihrer vielen Haustiere „Katzenzenzi“ genannt wird. Als dann auch noch einer von Baensch’ Freunden tot auf dem Hochsitz gefunden wird und Onno und er nachts beschossen werden, ist es mit der idyllischen Ruhe endgültig vorbei. Und Onno versucht sich erneut als Detektiv von eigenen Gnaden – eine Aufgabe, die schon im Fall Tibor Treponovs in einem Fiasko endete.
Mit „Onno Viets und der weiße Hirsch“ schließt Frank Schulz seine Trilogie über den sympathischen Loser von der Hoheluft ab. Zeitlich liegt der dritte Band zwischen dem ersten Teil „Onno Viets und der Irre vom Kiez“ und Teil zwei, betitelt „Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen“. Das dörfliche Milieu ist wie geschaffen für den Erzähler Frank Schulz. Hier findet er eine Reihe von skurrilen Typen wie den vasallenhaften Frauenbegrapscher Knut Wiesmann, Baensch’ Jagdgesellen Arnulf Toppin, in Fragen der Selbstjustiz eine Art Charles Bronson vom Dorf, oder den sogenannten Nelken-Heini, der zwar nie auftaucht aber wie ein Phantom durch das Dorf spukt.
Schulz hält die Spannung in seiner neuen Krimi-Farce hoch, denn die Ereignisse im sogenannten Mondwald sind mysteriös. Wieso hat der tote Knut Wiesmann einen Tannenzweig in seinem Gebiss stecken? Jäger bezeichnen das als „letzten Bissen“, wenn sie ein Stück Wild erlegt haben. Am Ende liefert Schulz eine plausible Erklärung, doch bis dahin wird Onno noch von so mancher Panikattacke befallen. Der Hamburger Schriftsteller schweift in seiner Erzählung immer wieder vom Hauptstrang ab und beschreibt die Geschichte des Dorfes und seiner Bewohner in vielen Details.
Er unternimmt einen Exkurs in die 60er- und 70er-Jahre, als Edda, Onno und sein Freund Dannewitz in einem Nebengebäude des alten Forsthauses auf Poster, Pornos, politische Pamphlete und mehrere Ausgaben des Magazins „Pop“ stoßen. Erinnerungen an das ikonische Konterfei von Che Guevara, an Buttons mit dem Schriftzug „Volkszählungs-Boykott“ und Revoluzzer-Schriften wie Bommi Baumanns „Wie alles anfing“ kommen hoch.
In einen der beiden Epiloge baut Frank Schulz noch eine wahre Begebenheit aus seiner Familiengeschichte ein. Er schildert darin die Erschießung seines Großvaters im April 1945 nach einer Verurteilung durch ein sowjetisches Militärtribunal – ein absurder Tod, denn der Arbeiter wurde erst 1945 als 46-Jähriger in die Wehrmacht eingezogen. Zum Tode verurteilt wurde er wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP. Im Roman trägt Henry Baensch dieses verschleppte Trauma einer Kindheit im Krieg mit sich herum. Schulz schafft eine Parallele zwischen der PTBS-Erkrankung von Onno Viets und des erst im Alter auftretenden Kriegstraumas seines Schwiegervaters.
„Onno Viets und der weiße Hirsch“ schlägt auf 350 Seiten so manchen Haken, aber das entspricht der Struktur seiner Hauptfigur. Stringentes Handeln ist nicht Onnos Stärke. Er verzettelt sich gern, sein Leben ist ein einziges Auf und Ab, viel gebacken bekommen hat er auch nicht. Aber Onno ist ein grundsympathischer und aufrechter Typ, der von seiner Familie und seinen Freunden für seine Loyalität geliebt wird. Und jeder sieht über das langgezogene „Tjorp“ hinweg, eine Marotte, mit der Onno jeden Satz beginnt, berühmt-berüchtigt auch sein „’ch’ch’ch“.
Lesungen von Frank Schulz sind stets ein Vergnügen, nicht zuletzt, weil er nicht unbedingt allein am Lesetisch sitzt. Bei der Lesung zum neuen Buch unterstützen ihn Bestsellerautorin Dörte Hansen („Altes Land“) und „Tagesschau“-Sprecherin Linda Zervakis.
Frank Schulz, Dörte Hansen und Linda Zervakis 15.9., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich. Tickets zu 18,- unter T. 30 30 98 98