Hamburg. Der Schriftsteller Frank Schulz schreibt an einem neuen Buch. Im Abendblatt spricht er über das Virus, Humor und Geld.

Einen Roman schreiben in Virus-bedingten Ausnahmezeiten? Ist möglich. Gibt ja keine Ablenkungen. Blöd aber, wenn die Romanhandlung mit der Wirklichkeit interagieren soll. Frank Schulz („Onno Viets und der Irre vom Kiez“, „Kolks blonde Bräute“) ist Corona jedenfalls schaffensmäßig in die Quere gekommen. Einen reinen Coronaroman würde der 63-Jährige aber nicht schreiben wollen, wie er im Interview verrät.

Hamburger Abendblatt: Man hört, Sie arbeiten an einem neuen Roman. Ich glaube aber nicht, dass Sie allzu viel verraten wollen, stimmt’s?

Frank Schulz: Stimmt. Da liegt kein Segen drauf, für niemanden.

Beeinflusst oder stört so eine massiv ungewöhnliche Situation wie die gegenwärtige den Schaffensprozess?

Schulz: Kommt vermutlich sehr drauf an. In meinem Fall hat das Virus quasi das Herzstück meines Romankorpus infiziert. Daher hab ich gerade alle Hände voll zu tun. Ein Luxusproblem, ich weiß.

Inwiefern den Text „infiziert“?

Schulz: Weil die entworfene Handlung aus bestimmten Gründen von September 2019 bis September 2020 spielen muss und meine Protagonisten auf aushäusige, vielfältige Kontakte gerade im Frühling 2020 dringend angewiesen waren …

In Schreibfällen, in denen die Wirklichkeit in das Romangeschehen einsickert, könnte man dennoch von einem Akt der Inspiration sprechen. Gehören Sie zu den Autoren, die sich beim Schreiben nie abschotten?

Schulz: Ja. Gibt es denn heute noch welche, die das wirklich radikal tun? Ich spreche nicht von Abschottung stundenweise. Die brauche ich auch.

Nehmen wir unwahrscheinlicherweise an, Frank Schulz schriebe nun, ein Schnellschuss, den „ersten Coronaroman der Welt“ (Verlagswerbung) – ich könnte mir den nur als literarische Satire vorstellen.

Schulz: Sie haben recht, das ist sehr unwahrscheinlich. Leider. Meiner Sparkasse wäre es vermutlich nicht unrecht, wenn ich ein etwas schnellerer Schütze wäre. Doch nach meinem Verständnis lägen Sie, was die mögliche Form angeht, auch nicht ganz richtig. Das Coronavirus in all seinen medizinischen, soziologischen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen, philosophischen und sonstigen Aspekten zu behandeln – und das wäre durchaus mein Anspruch an einen definitiven „Coronaroman“ – würde einen satirischen Ansatz wenn nicht überfordern, so doch überstrapazieren. Ein satirischer Roman nach meinem Gusto sollte sich von unten gen oben richten – und was wäre in diesem Fall oben: ein Virus?! Eine Groteske hätte da mehr Möglichkeiten und Freiheiten, weil sie der Conditio humana ein stärkeres Gewicht einräumte. Allerdings plagt mich eine gewisse Altersmilde. Die wäre womöglich hinderlich. Ein Coronaroman müsste sich wohl aller möglichen Mittel bedienen, um seinem Gegenstand gerecht zu werden. Was nicht bedeutet, dass die Coronapandemie nicht als historische Kulisse denkbar ist. Ein Coronaroman wäre nicht das Gleiche wie ein Roman, der zu Zeiten der Seuche spielt.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Corona und Humor ist eh so eine Sache. Seit Beginn von Lockdown und Sozialdistanzierung werde ich auf dem Smartphone mit witzig gemeinten und tatsächlich witzigen Fotos oder Videos bombardiert. Geht Ihnen das genauso? Und wird es erst ganz ernst, wenn uns keine Witze mehr einfallen?

Schulz: Ja, geht mir auch so. Noch überwiegen bei mir glücklicherweise die tatsächlich witzigen. Und nichts gegen Galgenhumor, ganz im Gegenteil. Cool wär’s ja, mit einem Scherz auf den Lippen an Covid-19 zu ersticken – aber ich glaub, das tät ich nicht packen.

Was sagen Sie zu der gleich am Anfang der Kontakteinschränkungen emsig beschworenen „Stunde der Literatur/der Bücher/des Lesens“, die nun anbreche?

Schulz: Ich sage: Willkommen! ... Hallo? ... Ich sagte: Will-kom-men!

Die Literaturbranche ächzt unter den Schließungen der Buchhandlungen und den gestrichenen Literaturveranstaltungen. Wie geht es Ihrem Verlag in der Krise?

Schulz: Bisher hab ich mich nicht getraut zu fragen. Die aktuellen Vorschussverhandlungen stehen noch aus.

Als freischaffender Künstler kann man sich derzeit, wo viele Gewissheiten nicht mehr da sind, existenziell bedroht fühlen. Die Politik steuert auch im Kulturbereich mit Schutzschirmen gegen. Wie ist denn Ihr persönliches Befinden, was eventuell zunehmende Härtegrade des Berufslebens angeht? Wie geht es Ihren Kollegen?

Schulz: Mein persönliches ökonomisches Befinden ist seit Jahren – wie man an der Börse sagt – volatil. Meinen Kolleginnen und Kollegen von ähnlichem Auflagenkaliber dürfte es ähnlich gehen. Aber immerhin habe ich mein Leben nicht in einem ungeliebten Job fristen müssen.

Wenn in näherer oder ferner Zukunft alles wieder anläuft, wird sich auch in der Kultur wegen der Verschiebungen und vorübergehenden Aussetzungen alles ballen: Es wird also mutmaßlich so viel los sein wie nie. Der Gesellschaftsromantiker in mir glaubt, dass über die schiere Masse Angebote hinaus eine neue Wertschätzung da sein wird für alles, was uns jetzt nicht mehr ohne Weiteres zur Verfügung steht. Wie sehen Sie das?

Schulz: Da bin ich ähnlich romantisch veranlagt wie Sie. Es wäre angesichts der „danach“ wartenden gewaltigen Aufgaben, etwa in puncto Klimakrise, aber auch dringend erforderlich. Doch ob es über den Unfall-auf-der-Autobahn-sehen-und-danach-für-20-km-vorsichtiger-fahren-Effekt hinausgehen wird? Und in NRW sind ja schon ein paar Gangster auf die Idee verfallen, in großem Stil Soforthilfen abzuschöpfen. Wie grüßte ein Bekannter neulich fürsorglich: „Bleib negativ!“

Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich im Coronastubenarrest kürzlich versucht war, lieber ein viertes Mal „Sopranos“ zu schauen – komplett, wenn schon, denn schon –, als ins Bücherregal zu greifen. Verständlich?

Schulz: Klar. Die „Sopranos“ sind aber auch ganz besonders harte Gegner. Bei mir wär’s übrigens der fünfte Durchgang. Es spricht aber ebenso wenig dagegen, ein viertes Mal „Geht in Ordnung – sowieso – genau –“ zu lesen, „Franny und Zooey“, „Sabbaths Theater“, „Die Wand“, „Regenroman“ und viele andere, willkürliche Auswahl. Oder zum ersten Mal „Schlachthof und Ordnung“ von dem durchgeknallten Christoph Höhtker. So macht Nihilismus Spaß!

Informationen zum Coronavirus:

Was unterscheidet das gute Buch von der guten Serie? Was eint beide?

Schulz: Zum Ersten: Unwesentliches. Zum Zweiten: Wesentliches.

Ich behaupte: Das viel zitierte Goldene Zeitalter der Fernsehserien ist vorbei. Nach „Sopranos“ gab es noch „Mad Men“, „The Wire“, „Breaking Bad“, danach manch Gutes, aber auch mehr vom Immergleichen. Widerlegen Sie mich, sagen Sie, was ich noch schauen muss!

Schulz: „Utopia“ aus Großbritannien. Ein fantastisch gespielter, inszenierter und fotografierter Trip. So gut, dass er nach zwei Staffeln eingestellt werden musste. „The Night of“, eine Staffel, mit einem im wahrsten Sinne itchy, kinky John Turturro. Aber grundsätzlich gebe ich Ihnen recht: Zeit, zum Buch zurückzukehren!

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Sie waren 2018 einer der ersten Stipendiaten in der „Villa Willemsen“. Wie war es, so quasi in Ihre Wahlheimat zurückzukehren?

Schulz: Sehr, sehr schön – auch wenn Wentorf doch ein recht eigener Kosmos ist. Abgesehen davon war der Aufenthalt in jener Villa, die der unvergessliche Roger Willemsen kurz vor seiner tödlichen Diagnose erwarb und wo er im Kreise seiner Freundinnen und Freunde gestorben ist, sehr bewegend. Wir waren nicht direkt befreundet, aber einander doch zugeneigt. Ich bewundere ihn uneingeschränkt. Der Mann war nicht nur mit einem beseelten Geist gesegnet, sondern auch mit einem riesigen, klugen Herzen. Die postume Intimität hat eine Menge an Regungen in mir ausgelöst: Ich fühlte mich eingeschüchtert, verlegen, geehrt, gerührt, inspiriert ... Leider hatte ich ein strenges Arbeitsprogramm, sodass kaum Zeit blieb, Rogers Bibliotheken systematischer zu durchforsten. Insgesamt eine sehr verdienstvolle Initiative des Mare-Verlags.

Wie ist es denn derzeit so in Ihrem Mittlerweile-Zuhause Osnabrück?

Schulz: Auch sehr, sehr schön: nette Nachbarschaft, Veranda, viel Grün. Kurze Wege. Gute Buchhandlung („Zur Heide“). Was mitunter schmerzlich fehlt, sind Elbe, Freunde, Tischtennis. Aber wenn’s eines Tages zurück nach Hamburg geht, wird mir ebenso das Herz bluten.