Hamburg. Der Autor legt glänzende Erzählungen vor – und liest demnächst auf dem Harbour Front Literaturfestival.

Seiner legendären Hagener Trilogie, jenem Lebenskünstler-Epos, in dem das Leben weit mehr, aber eben auch ein tiefer Blick ins Glas ist, ließ Frank Schulz zuletzt eine zweite folgen: die um den schusseligen ­Privatdetektiv Onno Viets. Der Roman-Dreier als Konstante des Werks: konsequent. Und dennoch war es wahrscheinlich am Ende ein „Onno“ zu viel, oder wie lässt sich sonst eine gewisse, wirklich nur ganz kleine Müdigkeit erklären, die einen, horribile dictu, angesichts des Hamburger Heimatdichters Schulz zu befallen schien?

Das lediglich aus dramaturgischen Gründen. Weil man jetzt nämlich das neue Schulz-Buch gelesen hat, den Erzählungsband „Anmut und Feigheit“, dessen Inhalt so großartig ist wie sein Titel. Es ist wahrscheinlich sogar das beste Werk in der Karriere des Frank Schulz. Und auch wenn man die Schriftstellerei betreffend eher ganz und gar nicht von Tagesform und Leistungszenit sprechen kann, darf man ausnahmsweise sagen: Schulz liefert diesmal ziemlich gut ab.

Beschäftigung mit der Zeitlichkeit

Dies liegt daran, dass Schulz die Gattung Erzählung mit ihren Möglichkeiten ordentlich ausreizt. Und besonders daran, dass er seinen Stücken mit dem ewigen Thema Vergänglichkeit einen Rahmen gibt, der sich noch stets üppig ausmalen ließ. Im Fall des Frank Schulz ist die Beschäftigung mit der Zeitlichkeit biografische Notwendigkeit. Im vergangenen Jahr wurde der Schriftsteller 60 Jahre alt. Im selben Jahr starb seine Mutter. Und: Ein kleiner Schlaganfall ereilte ihn.

All das schlägt sich in den nun vorliegenden Erzählungen nieder, in denen Schulz die kapitalen Einschnitte literarisch aufgreift und zum Ausgangspunkt seiner Retrospektive macht. Eine solche ist der Band im Hinblick auf seine Struktur: Von 2018 bis 2006 spielt jedes Prosastück in einem anderen Jahr. Danach geht es bis ins Jahr 1950 zurück.

Wie auf Rührung zielend und von der Rührung, dem Sentiment, stammend vieles in „Anmut und Feigheit“ gedacht ist, beweist alleine jene letzte Erzählung, die, „Mamapapamamapapa“ betitelt, vom jungen Gerhard Schulz handelt. Einem Installateurshandwerkslehrling, der in der Nachkriegszeit als Sohn einer alleinerziehenden Mutter aufwuchs und der Bescheidenheit der Zeitumstände ihr Möglichstes abschöpft: „Er ist ein Sonntagskind. Hat Glück ... im Unglück von Krieg und Vertreibung. Von den Russen verschleppt, ist Papa verschollen seit Winter ’45“, aber der Onkel verhilft ihm zu einer Lehrstelle. Und „Gerd“ arbeitet, ist fleißig, wohnt noch bei der Mutti, am Wochenende spielt er in Gastwirtschaften die Trommel.

Sterben der Mutter als Thema

Gerhard Schulz, Sohn Frank, die nicht namentlich genannten Töchter sind die Protagonisten in der zweiten Erzählung des Bandes. „Rotkehlchen. Ein Fragment“ ist das wahrscheinlich persönlichste Zeugnis des Autors. Es beschreibt das Sterben der Mutter: Kollaps am 76. Geburtstag, Tod drei Tage später im Hospital im Kreise der Familie, für die sie das Zentrum ist und der Mensch, der am unabkömmlichsten erscheint. Schulz schildert den Schock, die Trauer, den Ärger über die Empathielosigkeit der medizinischen Personals im Stile des Protokollanten; ein Text von einem Trauernden für alle Trauernden, allgemein und speziell, weil kein Mensch ist wie der andere.

Mit Humor, einem der Hauptbestandteile der Schulzprosa, vermag der Autor und Philip-Roth-Leser, der in dem Mutter-Text auch die Bedingungen seines Schreibens rekapituliert, dem Tod nicht beizukommen. Zumindest dem der Mutter nicht. Wenn es ans eigene Leben geht, ums Überleben, um das Heranpirschen an den Tod, ist Schulz dagegen ganz in seinem Element, dem der Komik. Sein Alter Ego Kortsch ist in „Szenen in Beige“ nach „seinem leichten ,Infarkt im Kleinhirnschenkel links‘“ gerade mit Blutdruck-Manschette unterwegs, Besorgungen machen. Digital angeschlossen – über das Smartphone – ist er dabei an seine 23 Jahre jüngere Lebensgefährtin, die er selbstironisch seine „Betreuerin“ zu nennen pflegt. „Szenen in Beige“ ist das Werk eines sich ins Unvermeidliche fügenden Mannes: Der Alterungsprozess ist mit Kalamitäten wie Vorsorgevollmachten verbunden.

Heimat bei Stade

Bodo Marten, Frank Schulz’ neben Onno Viets bekannteste Figur, stirbt in „Die Verböserung der Welt“ den Literaturtod: im Jahr 2014, erst 57-jährig, an einem Schlaganfall. 2013, in „Der Ritter der Rosskastanie“, kehrt der Weitgereiste (Hamburg, Griechenland) in die Heimat bei Stade zurück, sieht (fast) alles verändert und im Vergehen begriffen.

Anmut und Feigheit
Anmut und Feigheit © Kiepenheuer & Witsch

Was trist sein könnte, ist vielmehr ein Trost: Immerhin begegnet man den Helden der Hagener Trilogie noch mal, wenn auch nur im Modus der Vergangenheit.

Aber im Rückspiegel befindet sich längst eh mehr als vor der Frontscheibe des Lebens.

Frank Schulz stellt seine Erzählungen am 16.9. auf dem Harbour Front Festival vor. „Cap San Diego“, 20 Uhr, Tickets 14 Euro.