Hamburg. Jan Philipp Reemtsma nennt seine Tagebücher eine „singuläre Erscheinung“. Was Ferdinand Beneke so besonders macht – ein Interview.

Zum Treffen in Blankenese hat Jan Philipp Reemtsma ein paar Blätter mitgebracht. Er wird mit der Historikerin Ariane Smith Ferdinand Beneke (1774–1848) im Literaturhaus vorstellen, da ist gute Vorbereitung alles. Im Interview mit dem Abendblatt benötigt er die Notizen aber kaum. Man könnte vielleicht behaupten, dass Beneke unter all den vielen Themen und Projekten, die Reemtsmas Stiftung unterstützt und angeschoben hat, eines seiner Herzensprojekte ist. Er selbst würde das nie so sagen, weil seine Interessen zu weitläufig sind, um Einzelnes hervorzuheben.

Aber man merkt, wie wichtig ihm die Edition der Beneke-Tagebücher ist. Beneke war ein Mann, der weitaus mehr als lediglich „ein paar Blätter“ vollschrieb (das gilt für Reemtsma fraglos auch). Seit mehr als 20 Jahren arbeiten Historikerinnen und Historiker an der Gesamtausgabe der Tagebücher. Etliche Bände sind bereits erschienen, am Ende könnte ein Konvolut mit mehr als 15.000 Seiten stehen.

Sie wurden früh auf das Beneke-Tagebuch aufmerksam und förderten seine wissenschaftliche Durchdringung und Veröffentlichung. Erinnern Sie sich, wie Sie als Leser zu Beneke kamen?

Jan Philipp Reemtsma: Das wird in der Biografie gewesen sein, die Arno Schmidt über den Romantiker Fouqué schrieb, sie ist viele Hundert Seiten dick. Die Beneke-Tagebücher waren eine wichtige Quelle für Schmidt.

Wer war Ferdinand Beneke?

Benekes Tagebücher sind eine völlig singuläre Erscheinung. Durch sie wissen wir, wie das Leben und die Gesellschaft im 18. Jahrhundert an der Schwelle zum 19. in Hamburg waren. Historikerinnen und Historiker sind glücklich, dass sie mit ihnen arbeiten können, nicht nur diejenigen, die sich speziell mit der Hamburger Geschichte beschäftigen. In Städten wie Bremen, München, Berlin oder Frankfurt gibt es ein derartiges Zeugnis nicht. Es geht aber nicht nur um das Tagebuch, es geht um das, was Beneke darstellte. Er war eine hochinteressante Persönlichkeit, Anwalt, Richter, Oberaltensekretär in der Hamburger Bürgerschaft, eine Art Syndikus. Dadurch kannte er die Hamburger Nobilität, die Sievekings und andere einflussreiche Familien. Er war aber mit allen Schichten vertraut, er war ehrenamtlich in der Armenfürsorge tätig. All das erfahren wir aus den Tagebüchern, die mehr als anderthalb Jahrhunderte vor allem im Staatsarchiv lagerten und seit einigen Jahren ediert und im Wallstein-Verlag publiziert werden.

Jan Philipp Reemtsma über Ferdinand Beneke: ein Netzwerker mit Einfluss

Wie bekannt war Beneke zu Lebzeiten in der Stadt?

Ferdinand Beneke stand bewusst immer in der zweiten Reihe. Man würde ihn heute vielleicht mit dem Modewort „Netzwerker“ bezeichnen. Er war ein Mann mit Einfluss, ein Detail: Hamburg gehörte 1815 zu den Mitgründern des Deutschen Bundes, dass es innerhalb dieser Gemeinschaft ab 1819 nicht als „Hamburg“, sondern als „Freie und Hansestadt Hamburg“ auftrat, geht auf seine Initiative zurück.

Eine Tagebuchmappe Ferdinand Benekes:  In diesen Mappen bewahrte Beneke seine Tagebuchaufzeichnungen auf. Insgesamt gibt es 26 Mappen.
Eine Tagebuchmappe Ferdinand Benekes: In diesen Mappen bewahrte Beneke seine Tagebuchaufzeichnungen auf. Insgesamt gibt es 26 Mappen. © Staatsarchiv Hamburg (Foto: Elma

Und das wissen wir alles auch aus den Tagebüchern?

Beneke schrieb mehr als fünf Jahrzehnte Tagebuch. Dazu muss man eine Veranlagung haben, Energie; es ist unser Glück, dass sich dieser Mann im permanenten Sebstgespräch befand. Er schrieb zunächst tatsächlich nur für sich, mit der Zeit aber in dem Wissen darum, dass dieses Tagebuch gelesen werden, dass es Bestand haben würde. Beneke schrieb einmal sinngemäß, dass ein ihm Unbekannter, der ihn dereinst im Jenseits träfe, ihn schon kennen würde – weil er die Tagebücher gelesen habe.

Tagebücher von Ferdinand Beneke: Betrachtungen des gesellschaftlichen, des alltäglichen Lebens

Wie sehr geht es in den Einträgen um das Alltagsleben?

Alles ist sehr persönlich gehalten, auch Benekes Betrachtungen des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Und dann das Private für sich: das Heranwachsen der Kinder, auch die Sorgen. Wohlhabend war Beneke nicht, aber er wollte sich trotz zeitweiliger Schulden das Reisen nicht versagen. So erfahren wir bei der Lektüre seiner Tagebücher auch, wie man zu Benekes Zeit reiste, was man als sehenswert betrachtete.

Ferdinand Benekes Briefverzeichnis im Tagebuch: Der Hamburger Bürger machte sorgfältige Notizen über seine Korrespondenz.
Ferdinand Benekes Briefverzeichnis im Tagebuch: Der Hamburger Bürger machte sorgfältige Notizen über seine Korrespondenz. © Staatsarchiv Hamburg (Foto: Elma

Sie wünschen sich sicher noch eine größere Popularität von Ferdinand Benekes Schriften.

Ich wünsche allen möglichen Leuten dieses Vergnügen – den Hamburgerinnen und Hamburgern natürlich besonders. Die Tagebücher sind nicht nur eine wertvolle Quelle für die Wissenschaft, sie laden auch alle Nicht-Historiker, alle Lesenden dazu ein, in ihnen zu blättern. Warum nicht Tag für Tag nachlesen, was vor genau 200 Jahren in unserer Stadt los war?

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… und hat nach dem Rückzug der französischen Truppen infolge der „Völkerschlacht bei Leipzig“ doch einmal eine führende politische Position in Hamburg eingenommen?

Und als die französischen Truppen kurzfristig zurückkehrten, musste er fliehen. Das Tagebuch liest sich an dieser Stelle wie ein Filmskript. Lichter flackern, Schüsse fallen, Flucht zu Fuß durch die Felder. Beneke schreibt sehr gut, es ist ein guter Sprechton, gut vorzulesen.

Ferdinand Beneke: Hamburg als Glück seines Lebens

Er nannte sich einen „nützlichen Bürger unter Hamburgs freiem Volk“. Was meinte Beneke damit?

Ja, wunderbar, dieser Satz. „Nützlich“ war er, weil er sich engagierte, sozial, politisch. Die Schilderungen seines Tuns, das Niederlegen seiner Überzeugungen machen die Tagebücher zum großen Sozialpanorama. Was die „Freiheit“ angeht: Beneke wollte in dieser bürgerlichen Gesellschaft leben, in dieser Verfassung mit demokratischen Prinzipien. Beneke war sehr dankbar, in Hamburg zu leben. Er bezeichnete dies als „Glück seines Lebens“.

Ferdinand Benekes Familie im Jahre 1844.
Ferdinand Benekes Familie im Jahre 1844. © Museum für Hamburgische Geschich

Was unterscheidet seine Tagebücher von denen der Brüder Goncourt?

(Lacht) Von den Selbstzeugnissen der Goncourts und auch von den Tagebüchern des Engländers Samuel Pepys unterscheiden sich die Beneke-Schriften dadurch, dass sie keinen Salonklatsch darstellen und auch keine erotischen Ausschweifungen schildern. Da geht es ruhiger zu. Beneke war ein Mensch an interessanter sozialer und politischer Stelle, der das Tagebuchschreiben zu einem ungewöhnlich wichtigen Teil seines Lebens gemacht hat. Eine singuläre Erscheinung.

In der Reihe „Dichter in Hamburg“ stellen Jan Philipp Reemtsma und die Historikerin Ariane Smith die Tagebücher Ferdinand Benekes am 3. September im Literaturhaus vor. Beginn der Veranstaltung ist um 19.30 Uhr. Infos unter www.literaturhaus-hamburg.de

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