Hamburg. Fanny Müller war eine Chronistin des Schanzenviertels, und was für eine. Im Literaturhaus wurde sie gewürdigt – von Dittsche, echt!
Dieses gedehnte, verwaschene Hamburgisch, der Dittsche-Slang: Man hatte es und ihn sofort im Ohr. Olli Dittrich saß da vorne ja auch leibhaftig, im Poloshirt und mit intellektueller Brille, logisch, das muss ja wie Dittsche klingen. Dabei war es nicht der Hohelufter Bademantel-Philosoph, dem der meisterliche Rollenspieler Dittrich seine Stimme lieh. Es war die literarische Figur Frau K., eine Erfindung der Satirikerin Fanny Müller (1941–2016), mit der sie vor allem in den 1990er-Jahren einigen Kolumnenruhm einstrich.
Dass Fanny Müller eine nicht vergessene Autorin ist und bleibt? Das ist zu hoffen. Der Literaturhaus-Abend mit Starbesetzung war jedenfalls dazu angetan, Müller wieder nachdrücklich ins Gedächtnis zu rufen. Wobei die Literaturwissenschaftlerin Susanne Fischer, eine intime Kennerin des Fanny-Müller-Werks auch deshalb, weil sie mit jener Fanny Müller einst gemeinsam den Roman „Stadt – Land – Mord“ veröffentlichte, gleich zu Beginn der fix, informiert und unterhaltsam herunterschnurrenden Veranstaltung ihrer Freude Ausdruck verleihen wollte. Darüber, dass „so viele wegen Fanny Müller hier seien“.
Olli Dittrich im Literaturhaus Hamburg: Gastgeber Rainer Moritz erinnerte an einen ESC-Auftritt
Das klang fast wie eine Ermahnung, dass die Satirikerin, die aus der Nähe von Stade (Fischer: „Als Frau war sie im männlich geprägten ‚Titanic‘- und Neue-Frankfurter-Schule-Kreis etwas Besonderes“) stammte und eigentlich Ingeborg Glock hieß, tatsächlich die Hauptperson an diesem Abend sein sollte. Als Vorleser Dittrich von Gastgeber Rainer Moritz („Ich bin besonders stolz darauf, dass Olli Dittrich heute hier ist, wir hatten noch nie jemandem zu Gast, der beim European Song Contest auftrat“), dem Literaturhaus-Chef und bekennenden Schlagerfan, begrüßt wurde, war der Applaus doch schon ziemlich laut. Der Eddy-Lübbert-Saal war voll, Dittrich hat viele Fans. Sollten manche von diesen Fanny Müller erst jetzt kennengelernt haben, wäre das ganz sicher kein Schaden.
Susanne Fischer führte kurzweilig durch Leben und Werk der Frau, die zunächst auf Sylt eine Hotelausbildung machte, später studierte, an der Volkshochschule lehrte und für die GAL-Fraktion eine kurze Zeit in der Hamburgischen Bürgerschaft war. Erst mit Ende 40 fing sie an zu schreiben, und warum sie zur gerne gelesenen Autorin wurde, erschloss sich im Literaturhaus einmal mehr. Auch, weil Dittrich etwa Müllers Hausmeisterin Frau K. so, sagen wir es halt: kongenial in die Gehörgänge der amüsierten Zuhörerinnen und Zuhörer hamburgerte.
Die Prosa-Miniaturen Müllers wirken immer so, als wären sie ohne Anstrengung verfasst. Dabei weiß man, dass gerade hinter diesen Texten immer enorm viel Arbeit und Schliff stecken. Fanny Müllers Sinn für Rhythmus, Dialoge, Witz und Pointen ist stets offensichtlich, und deshalb passierte es Olli Dittrich mehr als einmal, dass er beim Lesen innehalten musste. Das sind die auch im Publikum immer am besten ankommenden Lacher; die, die man keineswegs unterdrücken kann.
Olli Dittrich liest Fanny Müller im Literaturhaus: Bei den Punks in der Schanze muss er lachen
Die Hausmeisterin – ihre treue Begleiterin ist die Dackeldame Trixi – trifft man in Müllers Alltagsbeschreibungen im Treppenhaus an oder im Viertel, das auch damals schon eine Amüsiergegend war, mit Müßiggängern, Partyvolk, Punks. Wenn eine Drogeriekette als Konkurrenz zum alteingesessenen Budni aufmacht, ist das ein Ereignis, erst recht, wenn Rex Gildo anlässlich dieser Neueröffnung auftritt. Gildo ist sicher am ehesten eine zeitgebundene Erscheinung in diesen ansonsten in Teilen auch zeitlosen Texten. Überzeitlich dagegen: die Schnorrer. „Haste mal ne Mark“ gilt als eine der bekanntesten Frau-K-Storys, und sie durfte im Literaturhaus nicht fehlen.
Bar jeder Logik bescheidet die verbal flotte Frau K. („Ich hab‘ selbst keine Mark, ich hab‘ nicht mal zehn Mark“) die bettelnden Punks in der Sternschanze abschlägig, und diese eine Stelle war so köstlich, dass sich das Kommen schon gelohnt hatte. „Ihr seid noch so jung, ihr könnt ja mal ne Bank überfallen“, teilt Frau K. den Punks dann noch mit. Wie erwähnt, Dittrich lachte, alle lachten, und man kann sich die Verwandtschaft von Frau K. und Dittsche leicht denken: Als Susanne Fischer erwähnte, dass Dittrich und Müller gleichermaßen den Hamburger Humoristen Heino Jaeger bewunderten, nickte man wissend. Gewöhnliche Straßenszenen, ins Skurrile gedreht, wahrgenommen mit manchmal naivem Blick; das Leben ist aber halt zum Staunen.
Olli Dittrich im Literaturhaus: Als Fanny-Müller-Rezitator eine perfekte Besetzung
In einem der Texte geht es um die Frage, wer wen liebt, um den Wandel der Zeiten. Lesbisch zu sein ist ja nichts Besonderes mehr, findet Frau K., und die Nachbarin („Die macht aber nie die Trebbe, duhn is se auch immä“) darf dann in ihren Augen also genau so leben. Gemein sind Fanny Müllers Texte nie, zumindest nicht bis ins Letzte, sie schrieb eher subtil.
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Susanne Fischer sagte dann noch, dass Fanny Müller für ihre Menschenfreundlichkeit gelobt wurde, für ihre Empathie. „Bei ihren männlichen Kollegen heißt es dagegen, sie seien messerscharf“, so Fischer. Interessante Beobachtung. Weil es in der Tat eine stereotype Rollenzuschreibung ist, Satiriker für ihre Spitzen zu loben und Satirikerinnen für ihr Mitgefühl. Müller, führte Fischer aus, „konnte auch messerscharf sein“. Ihre Kolumnensammlungen, etwa „Keks, Frau K. und Katastrophen“, sind noch lieferbar, Lektüre dringend empfohlen. Olli Dittrich war im Literaturhaus ein perfekter Fanny-Müller-Rezitator.