Hamburg. Der Hamburger rückte mit seiner großartigen Band zum Heimspiel im Schanzenzelt an. Zum Schluss kamen Special Guests aus der Kneipe.
Niels Frevert ist eine popmusikalische Kostbarkeit. Der sanft-herbe (oder so ähnlich) Dichterfürst unter den Hamburger Songschmieden. Am Freitagabend trat der Künstler, der so integer ist, weil er dem ganz großen Erfolg nie hinterhergerannt ist, im Schanzenzelt auf. Es war, am spielfreien Wochen-Kehraus, das perfekte Überbrückungsprogramm, ehe am Sonnabend zum Beispiel Deutsche und Dänen wieder vor Millionenpublikum ballorientierte Leibesertüchtigung betreiben.
Ein Mainstreampublikum hat der wackere Niels Frevert nie gehabt. Aber beim Heimspiel war er der King für einen Tag, und wenn ein Ort wie das Zirkuszelt im Schanzenpark richtig gut gefüllt ist, dann kann das eh eine intensivere Erfahrung als im vollen Stadion sein. Im vergangenen Jahr stellte Frevert die Stücke seines aktuellen Albums „Pseudopoesie“ in der Markthalle und im Nachtasyl vor. Mit denen von „Putzlicht“ bildeten die neuen Songs auch diesmal das Gerüst der Show, aber es war ein Insgesamt-Querschnitt (Frevert: „Ich weiß nicht, welcher Wahnsinnige die Setlist geschrieben hat“) des Werks. Als Indiegott mit lyrischen Interessen wandelte Frevert unter seinen irdischen Anhängerinnen und Anhängern, und er war dabei wieder im Alltag unterwegs.
Niels Frevert spielt im Schanzenzelt ein Konzert für die Ewigkeit
Am „Waschbeckenrand“, im Hintergrund das „Klappern von Geschirr“: Im Ernst, es kann nur Niels Frevert sein, der die Tornados, der die Weltenstürme und die großen äußeren und inneren Bedrängnisse, mit den bittersüßen, wunderschönen Banalitäten (sind sie’s wirklich?) aufzuhalten imstande ist. Es muss ein Konzert für die Ewigkeit sein, wenn man an einem lauen Sommerabend noch stundenlang im Zirkuszelt hätte zuhören können. Einfach nur, weil da vorne einer mit seiner Band stand, der sich so gut darauf versteht, einen mit würdevoll vorgetragener Rockmusik zu erden. Wobei er doch immer auch die Sehnsucht besingt. Wer möchte nicht in Wirklichkeit vor allem abheben?
Frevert spielt mit „Nie mehr wie vorher“ einen Song erst zum zweiten Mal live
Frevert ist ja auch schon 56 (das Publikum: nicht jung, hervorstechendes Merkmal keine emporgehobenen Smartphones) mittlerweile, da wird man in der Regel nicht über Nacht zum TikTok-Giganten, weil die jungen Leute plötzlich zu deinen Liedern rudeltanzen. Wobei, es ist ja doch eine schöne Vorstellung, dass Frevert mal einen Riesen-Hit hat. Dass er das Bekenntnisstück aller Popverrückten, „Immer noch die Musik“, an diesem Abend nicht ausließ, war zu erwarten.
Außerdem spielte Frevert neben neuen Knallern wie „Fremd in der Welt“, „Kristallpalast“ und „Pseudopoesie“ die Klassiker „Niendorfer Gehege“ (schön, das Klavier statt der Streicher; überhaupt, gute Band) und „Der Typ, der nie übt“ (Hammer, jedes Mal!). Und es gab einen Song, den Frevert mit seinen Kollegen vorher, wie er erklärte, erst einmal live gespielt hat: das sehr, sehr tolle „Nie mehr wie vorher“. Der Song stammt vom vorletzten Album, dem Karriere-Peak „Putzlicht“, und verströmte im Schanzenpark eine Aura des unbedingt Erhabenen. Vom selben Album auch „Brückengeländer“ und „Leguane“ live – besser wird’s in diesem Jahr auf Hamburger Konzerten nicht werden, nirgends.
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Niels-Frevert-Songs sind Evergreens der sensiblen Ich- und Weltbetrachtung. Und Niels-Frevert-Konzerte Begebenheiten, bei denen man die Sterne berühren kann. In der Zugabe holte er den Hamburger Kneipenchor auf die Bühne, unvermutet, das war ziemlich cool und funny. Im Zusammenspiel dann auch mit dem ganz großen Chor im Publikum: a cappella „Du musst zu Hause sein“ und in voller Pracht „Ich würde dir helfen, eine Leiche zu verscharren, wenn’s nicht meine ist“.
Grandioses Finale. Draußen war’s noch hell, als man herauskam, die letzte Bahn fuhr noch längst nicht.