Hamburg. Im Fernsehen ist Pause, auf der Bühne alles XXL: Olli Dittrich ließ sich in seiner Paraderolle beim Heimspiel feiern. Fast angstfrei.

Über die sehr lange zurückliegende Lebensphase des Scheiterns hat Olli Dittrichimmer mal wieder gesprochen. So was prägt. Wird er vor dem Auftritt im nobelsten Ort der Hochkultur an jene frühen Jahre des steinharten Brots gedacht haben? Nicht auszuschließen. 15.11., Elbphilharmonie, Großer Saal, ein Mann allein für 2100 Leute. Das haben Sie erreicht, Olli Dittrich, das ist die Ernte von fünf Jahrzehnten im Entertaintmentfach. Ein Gipfel Ihres Schaffens.

Hätte man ihm zurufen können. Sieht er sicher genauso. In seiner berühmtesten Rolle als arbeitsloser Radikalschnacker – radikal ist die zügellose Blödsinnigkeit, die Lust am Alltagsdada, das rasante Ablabern – Dittsche ist der Bademantelstyler Teil der Comedykultur dieses Landes geworden. Aber auf Tour ist Dittrich erst seit ein paar Jahren. Laeiszhalle, Stadtpark und alles Mögliche im Rest der Republik: Mal ist er zu Hause mit seinem Prollhamburgisch, mal als Botschafter Norddeutschlands auswärtig unterwegs.

Dittsche in der Elbphilharmonie: Mit der Lizenz zum Blödeln

Dass er hier wie da viele Altersgruppen und Milieus anlockt, dürfte er längst festgestellt haben. Und auch, dass er, der feinsinnige, kluge Satiriker, der im Fernsehen seit Langem bei den Öffentlich-Rechtlichen (leider im Spätprogramm) zu Hause ist, sich mit seiner Kunstfigur Dittsche die Lizenz erteilt hat, der ultimative Mann des Volkes zu sein.

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Er gab diesem Volk, nach was es dürstete. Den ganzen Dittsche in satten drei Stunden. Sein Impro-Solo ist erprobt, aber der hehre Ort verlangte nach besonderer Ehrfurcht. Bei Dittsche konnte sie nur genau so artikuliert werden, es waren seine ersten Worte: „Das ist die reine Elphi.“ Und anschließend, in den Willkommensjubel hinein die erste appellative Ansage ans Publikum: „Wartet mal, das Welt-Geräusch ...“ und dann: klirrte es. Dittsche hatte seine gut gefüllte Aldi-Tüte abgestellt. Leergut im vollen Saal, schönen Gruß vom Discounter.

Schauspieler Olli Dittrich als Dittsche auf der Bühne im Großen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg.
Schauspieler Olli Dittrich als Dittsche auf der Bühne im Großen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg. © Thomas Andre

Wurde diese Heimat der fein getunetesten Hervorbringungen menschlicher Schöpfungskraft durch Olli Dittrichs Boulevardtheater irgendwie entweiht? Aber nein. Ist ja alles genau so von den Kulturdenkern der Stadt und vom Generalintendanten eingeplant worden: die Elbphilharmonie als Ort für alle. Also auch mit „Sabbelwasser“ gedopte Tresenphilosophen.

Olli Dittrich in der Elbphilharmonie: Das Publikum als kollektiver Imbisswirt-Ingo

Der adressierte („Damit du mal ein Bild bekommst“, „Weißt du“) die Leute so formelhaft, als wäre er im Eppendorfer Grill: Das Publikum gab also kollektiv den Ingo. Dem wurde von Dittsche ebenso gehuldigt wie Schildkröte und Uwe Seeler, letzteren beiden unter großer Anteilnahme der Zuhörenden.

Die auswärtig sicher immer performte Norddeutschigkeit des Hamburg-Gesandten („Bis man denen erklärt hat, wo Hamburg liegt, ist der Abend halb um; ich sag dann immer bei Kiel, irgendwo da oben halt“) wurde im großen Konzerthaus am Fluss zur Heimat-Folklore. Immer wieder erstaunlich, wie der an einer Stelle ganz sicher vorsätzlich lügende Laberkopp (der hier: „Wir wollen nicht abschweifen“, Riesengelächter, kapierte jeder) nach allen rhetorischen Umwegen und gefühlten Halbstunden-Exkursen wieder bei seinem Ursprungsthema ankommt.

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Und auch, wie resolut man, wenn man so nah bei den, also praktisch allen Leuten sein will, das unendliche Reich der Kalauer plündern muss. Die Dittsche-XXL-Erfahrung auf der Bühne ist noch mal eine ganz andere Prüfung als der Halbstünder im Spätprogramm des Dritten. Weil er da schon länger pausiert, ist Dittrich ganz offensichtlich auf Kompensation aus. Nirgends kann man besser in der Liebe seines Publikums baden als im Großen Saal der weltberühmten Elbphilharmonie: Von allen Ebenen applaudierten sie, erhoben sich zu Ehren des vorab Gewarnten („Geh da bloß nicht hin, das is‘n Hexenkessel“), und Dittsche, König für einen Tag, Loser für immer, breitete seine Arme aus und ließ sich feiern. Einmal, als er kam, einmal als er ging. Die doppelte Dittsche-Ekstase.

Dittsche in der Elbphilharmonie: Gendern als gefährliches Terrain

Nach der Pause klapperte der Entertainer seine Standards ab (Peli-Kahn Olli und Pop-Titan Dieter), auch die Klassiker Herr Karger und Giovanni kamen zu ihrem Recht. Ganz so frisch und spontan ist Dittrich/Dittsche auf Tour tatsächlich nicht: Der neueste Realitätsabgleich des unbedingten Blödsinn-Verfechters ist Trumps Mugshot. Auch Gendern ist sein Thema oder gerade nicht, „jetzt sag ich lieber nichts, sonst krieg ich Berufsverbot“.

Als professioneller Zeuge (Dittsche ist in Wirklichkeit der einzige reelle Profi, eh klar) dieses ganzen Spektakels, das atemlos herunterschnurrte, notierte man jeden Moment, in dem Olli Dittrich seinem Alter Ego, diesem Zwangscharakter aus der ungefilterten Kammer der Weltwahrnehmung, kurz entschlüpfte. Es waren die Augenblicke, in denen der Komödiant ein Lächeln andeutete, das sein sicheres Wissen um das Folgende verriet.

Gleich werden sie wieder lachen, hier und jetzt zündet wieder alles, der Hamburger an sich ist nämlich immer noch am allerbesten mit Dittsche vertraut.