Hamburg. Ein Klassiker, der nie enttäuscht: Beim Musik-Gipfel der Geschmäcker schenken sich Kultursenator und Literaturhauschef wieder nichts.

Wie sehr das Hamburger Kulturpublikum nach dieser Veranstaltung lechzt, ließ sich vor deren Beginn am Montagabend an zwei Umständen ablesen. Da wäre zum einen der Aspekt der Verdoppelung. „Brosda & Moritz“, wie das musikalische Country-versus-Schlager-Duell jetzt einfach nur noch heißt, erhielt, Donnerwetter, einen zweiten Termin. Eine Zusatzshow, sozusagen. Sie wurde vor Wochen terminiert, sie war ebenso schnell ausverkauft. Und dann war da noch die Hatz auf die besten Plätze: Anderthalb Stunden vor Showbeginn war der Saal des Literaturhauses bereits gefüllt. Mit Stammpublikum, also mehr älteren als jüngeren Leuten. Mit Udo-Jürgens-Fans, nicht denen von Helene Fischer.

Mit Fans des Hausherrn vor allem, der bekanntlich ein Experte leichter Unterhaltungsmusik ist und den Profi auf allerköstlichste Weise auch immer heraushängen lässt. Das ist Voraussetzung gelingender Niveau-weshalb-warum-Abende am Schwanenwik: Ein jeder muss seine Rolle spielen, und jeder leidet dabei für sich allein. Wobei Letzteres ja eigentlich nur auf den Politiker Brosda zutrifft, der erwiesenermaßen Geschmack und eine Plattensammlung hat, auf der sich aufbauen lässt. Er hat an diesem Abend unter anderem John Prine, Kinky Friedman, Loretta Lynn dabei. In Rainer Moritz‘ Top Ten tummeln sich dagegen Namen wie Vico Torriani und Bernd Clüver. Ojemine. Es gäbe auch für andere Kombattanten als Carsten Brosda keine leichtere Übung, als im Vergleich zur Moritz-Playlist extrem cool auszusehen.

Brosda gegen Moritz im Literaturhaus: Wirkungsvolles Geschmackstheater

Wie Brosda aber in Wirklichkeit aussieht: geschafft, konsterniert, fassungslos. Wahrscheinlich ist das tatsächlich seine authentische Reaktion auf Schlagertexte („Es liegt der Wald im letzten Abendschimmer/Der Nebel steigt herauf vom Wiesengrund/Und streichelt traumverloren seinen Hund“), im Abwenden auf der Bühne des Literaturhauses, einmal hält er sich demonstrativ ein Arte-Programmheft vors Gesicht, ist er aber ein Mann des Theaters. Es muss schon wirkungsvoll sein, damit das Publikum lacht.

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Für dieses Lachen ist es gekommen, nun schon zum siebten Mal. Diesmal steht der Abend, der am Dienstag wiederholt wird, unter dem Motto „Schräge Nummern“. Man könnten nun sagen, dass „Schlager“ immer schräg ist. Country kann es jedoch durchaus auch sein. Brosda zieht Nummern aus dem Hut, die vielleicht erwartbar sind, etwa Johnny Cashs Crossgender-Song „A Boy Named Sue“. Aber noch weitaus mehr von dem, was keineswegs jeder kennt, etwa Amanda Shires‘ „Bulletproof“. Brosda ordnet die Geschichte der Songs, ihre Herkunft (gibt es etwa andere Versionen, Interpreten?) genauso ein wie Moritz. Seriöses Kulturinteresse ist auf allen Seiten da und will bedient werden.

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Aber das lange eingeübte Spottverhalten der Duellanten (Brosda: „Ihren Ehetherapeuten möchte ich nicht haben“) ist doch beinah genauso wichtig wie deutsch getextete Liedabsurditäten. Man wundert sich auch diesmal nicht, dass der arg malträtierte Senator, dessen SPD diesmal immerhin von Moritz-Sottisen weitgehend verschont bleibt, immer ein bisschen gemeiner ist. Aber man wundert sich abermals sehr wohl, wie textsicher und beglückt das Publikum eines hohen Hauses der Kultur auf Songzeilen wie diese reagiert: „Heißer Sand und ein verlorenes Land/Und ein Leben in Gefahr/Heißer Sand und die Erinnerung daran/Dass es einmal schöner war/Schwarzer Tino, deine Nina/War dem Rocko schon im Wort/Weil den Rocko sie nun fanden/Schwarzer Tino, musst du fort“.

Rainer Moritz zählt NDR an: Dem Sender müsse die ESC-Erlaubnis entzogen werden

Mal ganz vom affektierten Vortrag der Sängerin Mina abgesehen – grundsätzlich werden diesmal öfter als bei den vorherigen Ausgaben Youtube-Clips abgespielt – fragt sich man als Erstmals-Hörer irritiert, was hat es alles zu bedeuten? Hä? Weil Moritz auch Evergreens wie Drafi Deutschers „Marmor, Stein und Eisen bricht“ spielt, mokiert sich Brosda einmal nicht zu Unrecht über die eigenwillige Interpretation des Mottos „Schräge Nummern“. Ein paar Schritte ins je andere Terrain erlauben sich beide. Moritz offenbart dabei seinen „Bonanza“-Spleen, Brosda hält es schaurig-schlageresk mit Juliane Werding und deren Umweltschnulze „Der letzte Kranich vom Angerburger Moor“. Außerdem hat er die Pottversion von „Griechischer Wein“ im Programm, eine stabreimende Erfrischung namens „Bottroper Bier“.

Rainer Moritz (links) und Carsten Brosda duellierten sich im Literaturhaus. Bernd Clüver ertönte dabei aus den Boxen, hm.
Rainer Moritz (links) und Carsten Brosda duellierten sich im Literaturhaus. Bernd Clüver ertönte dabei aus den Boxen, hm. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Als Moritz einmal auf die parodistische Version eines populären Schlagers zu sprechen kommt, versagt sich Brosda ein schneidendes „Wie, das Original ist gar keine Parodie?“ nicht. Als Moritz seiner überraschten Freude („Dass das so gut ankommt!“) über heftige Mit- und ja auch Weitersingerei, nachdem die Musik vom Band längst aus ist, Ausdruck verleiht, knurrt Brosda mit Blick in die Reihen ein in mancherlei Richtung ausdeutbares „Das wundert mich nur so halb“. Der rhetorisch gewandte Sozialdemokrat kann sich immer noch beglückwünschen, mit seinen Literaturhaus-Gigs eine Form des öffentliche Auftritts gefunden zu haben, an denen er sich selbst mal wenigstens so halb von der Leine lassen kann.

ESC: Literaturhauschef bietet sich als TV-Experte an

Aber der Crowdpleaser, der Favorit des Publikums ist doch Rainer Moritz mit seinem unbeirrbar kuratierten Seicht-Set. Dass heute niemand mehr so singt und textet („Schön und kaffeebraun/Sind alle Fraun in Kingston Town“), weiß er selbst, aber in diesem Format ist doch recht vieles erlaubt. Der Saal, erklärt der Hausherr einmal, vibriere bei diesen Abenden so, wie er bei Lesungen nie vibriere. Na, wen wundert‘s.

Aber versteckt sich in seiner Spitze gegen den NDR („Dem Sender muss die Erlaubnis entzogen werden, den ESC zu präsentieren, immer Letzter oder Vorletzter, das geht nicht – von mir aus kann der Saarländische Rundfunk ab sofort ran“) nicht doch gar nicht so heimlich tiefer Ernst? „Ich stünde bereit“, sagt Moritz dann noch und meint eine mögliche Funktion als Experte. Selbst das ist womöglich gar kein Witz.