Hamburg. Die Stadionband ist ein wenig fad geworden. Gelernt haben sie einst von Travis. Die haben ein neues Album – und spielen im Docks.

Als wir kürzlich vernahmen, dass Chris Martin als Hintergrundsänger in dem Song „Raze the Bar“ zu hören ist, wunderten wir uns nicht. Er lebt in Malibu, ein Englishman mit Hollywood-Freundin (Dakota Johnson) weiß, was sich in romantischer Hinsicht gehört. Der Glasgower Musiker und Travis-Chef Fran Healy, früher Berlin, lebt mittlerweile auch schon ein paar Jährchen in Kalifornien. Also, die Wege waren kurz. Wenngleich „Raze the Bar“ vom Ende einer New Yorker Lokalität handelt.

Es ist der typische, beatleseske, melodienselige, niedliche Travis-Song, von dem man als Pop-Fan niemals genug kriegen kann. Mit „niedlich“ haben Chris Martin und Coldplay aber schon lange nichts mehr gemein; sie sind schon sehr lange viel zu groß, um noch ansatzweise niedlich zu sein. Und sie schreiben auch längst andere Stücke, fürs Stadion und so. Da, wo Fran Healy, wie er einmal sinngemäß sagte, nie wirklich hinwollte. Chris Martin dagegen wollte da sehr entschieden hin, was gut ist, aber manchmal auch schlecht. Weil es die Songs bisweilen so ranschmeißerisch macht. Um davon wegzukommen: Chris Martin hat übrigens früh gesagt, dass es Coldplay ohne Travis wohl nie gegeben hätte.

Neues Album von Travis: So gut, wie Coldplay nie sein werden

Jetzt gibt es, nach vier Jahren, ein neues Travis-Album. Es heißt „L.A. Times“ und ist ziemlich gut geworden. Fran Healy hat jetzt rote Haare. Könnte eine Midlifecrisis sein. Von seiner Frau Nora, die unterschiedlichen Quellen zufolge entweder Hamburgerin oder Kölnerin sein soll, ist er frisch getrennt. So steht es zumindest auf Wikipedia. Was heißt das für das neue Album? Klingt es nach roten Haaren?

Gar nicht. Es sind die bezauberndsten Dreieinhalb-Minuten-Popsongs, die man sich vorstellen kann. Travis sind immer noch so gut, wie die oft, allen übertriebenen Mainstreamambitionen zum Trotz, auch keineswegs schlechten Coldplay nie sein werden. „Bus“ erzählt vom Ruhm und der Frage, ob er je kommen wird, die beste Travis-Single seit Langem. Was nicht heißt, dass die letzten Singles je schlecht gewesen wären. Wer in den vergangenen zwei Jahrzehnten, in denen Travis dann eben doch nicht die ganz große Karriere gemacht haben, Song-gewordene Kuschelkissen brauchte, in die man gepflegt hineinjauchzen konnte, war bei dieser Band stets richtig.

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Darf man mit diesem Mann eigentlich Mitleid haben?

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Das schönste neue, keineswegs trübsinnige Lied ist „Live It All Again“ (Healy wird 50 bald, da blickt man zurück), das gruseligste „L.A. Times“. Die Rotoren eines Helikopters klingen immer unheilvoll. „Gaslight“ ist ein fürs schwerwiegende Thema – Manipulation in zwischenmenschlichen Beziehungen – geradezu unverschämt fröhlicher Song.

Travis: „Why Does It Always Rain On Me“ ist tatsächlich schon in Vierteljahrhundert her?

Und „River“ dann doch der eine selbstquälerische Song, in dem das lyrische Ich nach dem großen Verschwinden lechzt („I wish I had a river so long I would teach my feet to fly/Oh I wish I had a river I could skate away on“), der dann doch bitte auch auf so ein Album gehört. Ein Album, das Healy zufolge so persönlich wie zuletzt „The Man Who“ von 1999 sein soll. Wow, „Why Does It Always Rain On Me“ ist ein Vierteljahrhundert her?

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Man sollte lieber nicht in den Spiegel schauen. Am Ende kommt man doch auf die Idee, sich auch die Haare zu färben. Die immer noch grandiose, unsterbliche Band Travis kommt mit neuen Songs und alter Klasse am 5. September ins Docks. Darf man nicht verpassen.

Cover Travis - LA Times
Das Cover des neuen Travis-Albums „L.A. Times“ © Warner Music | Warner Music