London. In Hollywood wurde zuletzt spekuliert, die Ära des Superhelden-Kinos sei vorbei. Doch die Filmstudios machen unbeirrt weiter. Mit „Madame Web“ vergrößert Sony sein „Spider-Man“-Universum.
Unzählige Superhelden haben es in den letzten 20 Jahren auf die große Leinwand geschafft. Allein das Marvel Cinematic Universe umfasst mittlerweile 33 Filme. Lange Zeit galten sie als garantierter Kassenmagnet.
Doch 2023 blieben erhoffte Blockbuster kommerziell hinter den Erwartungen, darunter „The Flash“ und „Ant-Man And The Wasp: Quantumania“. „The Marvels“ geriet gar zum Flop, der nicht einmal seine Kosten einspielte. In Hollywood ist bereits von Superhelden-Müdigkeit die Rede. Spektakuläre Effekte, beliebte Charaktere und etablierte Stars genügen offenbar nicht mehr, um das Publikum massenweise in die Kinosäle zu locken.
Studios trotzen der Superhelden-Müdigkeit
Die Studios hält das bisher allerdings nicht davon ab, weiter einen Superhelden-Film nach dem anderen zu produzieren. Nun kommt „Madame Web“ in die Kinos. Die Titelheldin ist eine Mutantin mit telepathischen und hellseherischen Fähigkeiten. Wie sie dazu gekommen ist, erzählt der erste Kinofilm über die vergleichsweise unbekannte Heldin. Vermutlich soll es der Auftakt einer Reihe von „Madame Web“-Filmen werden. „Ich weiß nicht, was passieren wird“, sagt Hauptdarstellerin Dakota Johnson im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London, „aber ich bin definitiv offen dafür.“
Die Figur der Madame Web stammt von Marvel. Der Film der Marvel-erprobten Regisseurin S.J. Clarkson („Jessica Jones“, „The Defenders“) gehört zum „Spider-Man“-Universum des Studios Sony Pictures, das die Rechte an den „Spider-Man“-Charakteren hält und unter anderem die „Venom“-Filme produziert hat. Hingegen ist „Madame Web“ (noch) nicht direkt mit dem Marvel Cinematic Universe (MCU) verknüpft. Spider-Man, in den Comics ein enger Verbündeter von Madame Web, kommt übrigens auch nicht vor.
Dakota Johnson als Titelheldin
Cassandra Webb (Dakota Johnson) alias Cassie hat zunächst keinen Schimmer von ihrer Zukunft als Madame Web und von ihrer bewegten Vergangenheit, denn sie ist Vollwaise. Rückblick: Als Cassies Mutter mit ihr hochschwanger ist, sucht sie im peruanischen Dschungel nach einer seltenen Spinne, deren Gift Superkräfte verleihen soll. Als sie die Spinne findet, wird sie von ihrem Bodyguard Ezekiel (Tahar Rahim) hintergangen und angeschossen. Ezekiel will das Serum selbst nutzen. Ein mysteriöses Dschungelvolk kann Baby Cassie mit Hilfe einer Spinne gesund zur Welt bringen, bevor ihre Mutter stirbt.
Rund 30 Jahre später lebt Cassie in New York ein gewöhnliches Leben. Erst als die Krankenwagen-Fahrerin bei einem Rettungseinsatz eine Nahtoderfahrung macht, werden ihre Fähigkeiten aktiviert, die sie anfangs nicht unter Kontrolle hat und als Belastung empfindet. Unterdessen wird Ezekiel, der dank seiner Superkräfte als eine Art bösartiger Spider-Man ein reicher Mann geworden ist, von einem sich wiederholenden Albtraum heimgesucht. In dieser Vision kämpft er gegen drei junge Mädchen mit Spinnen-Kräften und stirbt schließlich.
Besessen davon, sein Leben zu retten, plant Ezekiel, die noch ahnungslosen Teenager Julia Cornwall (Sydney Sweeney), Anya Corazon (Isabela Merced) und Mattie Franklin (Celeste O'Connor) zu finden und umzubringen, bevor sie ihre Kräfte erlangen. Doch beim ersten Versuch kreuzen sich die Wege mit Cassie. Sie nimmt das Trio unter ihre Fittiche. Bald stellt sie fest, dass die überwältigenden Ereignisse kein Zufall sein können. Cassie begibt sich auf eine Reise, um ihre Vergangenheit und die ihrer Mutter zu erforschen.
Handlung weitgehend vorhersehbar
„Ich wollte einen großartigen Film mit großartigen Charakteren machen“, sagt Regisseurin Clarkson im dpa-Interview, „und sicherstellen, dass die Handlung durchgehend stark ist und jedem Charakter eine individuelle Reise gibt, die sich jedoch in das Hauptthema einfügt.“ Leider zeichnet sich schon in der ersten Viertelstunde des Films ab, wo diese Reise hinführen wird, und zwar für fast alle Charaktere. So wie Madame Web die Zukunft vorhersehen kann, kann das Publikum die Handlung weitgehend vorhersehen.
Zudem kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Dakota Johnson nicht mit Leidenschaft dabei war. Ihr Auftritt erinnert an die schauspielerische Verweigerung von Salma Hayek und Angelina Jolie in „The Eternals“. Zu reserviert und emotionslos bewegt sie sich durch den Film. Auf die Frage, ob sie sich eher aus wirtschaftlichen als aus künstlerischen Gründen für die Rolle entschieden habe, winkt sie im dpa-Interview ab. „Der künstlerische Aspekt ist für mich von großer Bedeutung“, betont die 34-jährige. „Es ist mir wichtig, dass das Kreative meine Ansprüche erfüllt und das, was ich mit meiner Arbeit erreichen möchte.“
Co-Darstellerinnen stehlen Johnson die Show
Doch egal ob Cassie fröhlich, traurig oder angespannt ist, zu keinem Zeitpunkt vermittelt Johnson glaubhaft den Eindruck, dass es um ihr Leben und das der drei Teenager geht. Tatsächlich stehlen ihr ihre Co-Darstellerinnen, die übrigens alle über 20 sind, die Show. Das gilt besonders für die aus der Serie „Euphoria“ bekannte, vielseitige Sydney Sweeney, der eine große Hollywood-Karriere vorausgesagt wird. Auch Tahar Rahim („Napoleon“, „Der Mauretanier“) ist charismatisch und als Bösewicht fabelhaft. Ezekiel hätte aber mehr Zeit und bessere Dialoge verdient gehabt.
Es dauert etwa eine Dreiviertelstunde, bevor „Madame Web“ wirklich Fahrt aufnimmt. Dann hat der Film durchaus spannende Momente. Dass die Damen es mit einem Bösewicht mit Spider-Man-Fähigkeiten zu tun bekommen, ist eine interessante Umkehr des Narrativs. Leider wurde aus dieser Idee zu wenig gemacht. Viele Handlungselemente und Dialoge sind formelhaft und bedienen die üblichen Hollywood- und Superhelden-Klischees.
Dass „Madame Web“ trotz all dieser Kritikpunkte einigermaßen unterhaltsam ist, liegt insbesondere an den drei jungen Schauspielerinnen. Ob das ausreicht, um das Superhelden-müde Publikum zurück in die Kinos zu locken, wird sich zeigen. „Ich hoffe, dass es ein Erfolg wird“, sagt Dakota Johnson. „Aber bei einem Film wie diesem weiß man das nie.“