Hamburg. Auf “Putzlicht“ verbindet der Hamburger Sänger den Sound einer Rockband mit der Poesie des Liedermachers.

Manchmal sieht man ihn an späten Abenden und Nächten. Im Club, an der Bar. Irgendwo. Und dann denkt man sich tatsächlich immer: Junge, du hast einen Job zu erledigen. Als Nächstes aber dann schon: Nee, lass mal. Lass dir Zeit. Damit bist du gut gefahren.

Niels Frevert ist der große Säumige unter den deutschen Songwritern. Fünf Jahre ist es jetzt schon wieder her, dass er etwas Neues gemacht hat. Sieht man mal von der Fanhymne „Ewald Lienen“ ab, die Frevert mit Fettes Brot aufnahm. Exzellenter Song, übrigens. Muss man gar kein St.-Pauli-Fan sein. Exzellenz ist eh so das Ding von Frevert. Die Songs, die es bei ihm ins Aufnahmestudio und von dort auf ein Album schaffen, sind handverlesen. Es gibt keinen Ausschuss, kein Füllmaterial. Es ist alles pure Essenz. Und deswegen lässt er uns um seinetwillen, aber auch um unseretwillen immer lange warten.

Mit der Reife kommt die Gelassenheit

Das neue Album ist jetzt da, es heißt „Putzlicht“. Es ist seit 1997 erst das sechste Solowerk des 1967 in Hamburg geborenen Musikers. Mit seiner Band Nationalgalerie hatte er zwischen 1991 und 1995 gleich vier Alben veröffentlicht. Wenn man jung ist, muss alles erst einmal raus. Mit der Reife kommt die Gelassenheit. Und bei Frevert war es zudem so, dass sich in den mittleren Jahren zum Gelassenen noch das Leise gesellte.

Seit dem meisterhaft gelungenen „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ (2008) war Frevert der Mann für die in­trospektive Akustikgitarrenversponnenheit. Er schrieb die schönsten Lieder, vom Aufwachen auf Sand und dem Niendorfer Gehege: träumerische Aufblendungen der Welt, die das sensitive Bewusstsein des Ichs streifen. Nach „Zettel auf dem Boden“ (2011) ging Frevert vom Hamburger Indie-Label Tapete zu Grönland Records. Auf dem wurde der Sound dicker, aber nicht weniger lyrisch: Es war alles ein Streicher-getuntes, großsphärisches Spiel mit dem Schönklang.

Wohlige Melancholie der stillen Großstadtstunde

Und nun also „Putzlicht“, ein Album, das allein schon im Titel die wohlige Melancholie der stillen Großstadtstunde trägt, die Frevert so seelenverhangen zu besingen weiß. Es hat sich jedoch wieder etwas getan im Klanggewand seiner Oden an die komfortabel mit dem Glauben an die Erzählbarkeit des Alltags gepolsterte Innerlichkeit. Man muss jetzt tatsächlich auf Ewald Lienen zurückkommen: Gefallen an der elektrischen Gitarre hat Frevert vielleicht tatsächlich anlässlich seines Fußballsongs gefunden.

„Putzlicht“ ist jedenfalls die Coldplayisierung des Niels Frevert. Und das ist, nur um ganz sicherzugehen, eine gute Nachricht. Gar nicht mal so sehr, weil man ihm endlich mehr Airplay wünschte (das aber ganz sicher auch), sondern weil der Pop-Aspekt seines Schaffens zuletzt unterbelichtet geblieben ist. „Putzlicht“ amalgamiert den vollen Sound einer Rockband mit der Poesie des Liedermachers. Bei „Leguane“, dem ersten veröffentlichten Stück dieser von Philipp Steinke (Boy, Revolverheld, Kettcar) perfekt produzierten Platte, dengelt die Gitarre genauso engagiert wie bei „Brückengeländer“. Ansonsten pumpen die Songs, sie haben Druck; sie sind mehr Springsteen als Dylan. Sie machen wahnsinnig Spaß. Sollte Frevert, dessen sicher auch einer gewissen Lust auf noch größere Popularität geschuldeter Weggang zum größeren Label sich am Ende nicht auszahlte, eine künstlerische Krise gehabt haben, dann ist der erste Song „Immer noch die Musik“ übrigens der bestmögliche Pep Talk.

Ein Album wie aus einem Guss

Aber wahrscheinlich hat er sich gar nicht wirklich überreden müssen, dieser Niels Frevert, der weiß, dass der „Weg nach draußen“ „so weit weit und leer“ ist, wie es im Titelsong heißt, in dem Bläser zu hören sind, es ist nicht das einzige Mal auf dieser Platte. Es könnte Leute geben, die dieser den ein oder anderen Allgemeinplatz vorwerfen. Dabei ist doch gerade „Wind in deinem Haar“ („Sing doch einfach nur mal über das Schöne“) genau die affirmative, umarmende Hymne, die doch jetzt endlich auch im Formatradio mal rauf und runter laufen müsste. Ein kleiner, großer Song. Wie eigentlich alle anderen auf diesem Album, das wie aus einem Guss ist. Es gibt Lines zum Mitskandieren („Irgendwann kam der Sommer/Er blieb so lange wie nie/Ich sah einen ,Ton Steine Scherben‘-Aufkleber auf einem SUV“), es gibt die Eleganz deutscher Wortkomposita („Rausschmeißerschlussakkord“), es gibt so rohe und treibende Energie wie beinah seit Jahrzehnten nicht („Dieser Moment“). Und es gibt das Bekenntnis zu langen Songtiteln wie „Ich suchte nach Worten für etwas, das nicht an der Straße der Worte lag“.

Der immer glorreiche und manchmal unterschätzte Hamburger Singer-Songwriter Niels Frevert hat also endlich wieder ein neues Album. Er betreibt auch auf diesem Album Selbstbespiegelung, und zwar als die konkreteste denkbare Form des künstlerischen Trotzes. Warum es also wieder so lange gedauert habe? „Weil ich jeden Morgen auf Knien gebetet hab, dass es nur dauert“, singt Frevert. Was mit einem politischen Statement ist, wäre das nicht zwingend nötig in diesen bewegten Tagen? Fragt das wirklich jemand? Nun, das haben ja Kettcar mit ihrem letzten Werk abgeliefert, oder nicht. Die Befindlichkeitslyrik des großen Poeten Niels Frevert ist das musikalische Gegengewicht. Außerdem gab es doch auf der letzten Platte dieses Lied „Speisewagen“. Wir winken es als entschiedenen Anti-Flugverkehrbeitrag durch.

Und „Putzlicht“ ist über alle Zweifel erhaben. Es wird in diesem Jahr keine besseren, schöneren und wahreren Songs geben.

Konzert am 19.10. im Mojo Club