Hamburg. Herausragendes Wetter und entspannter Melodic Rock sorgten auf der ausverkauften Freilichtbühne für einen stimmigen Konzertabend.

Bei der Bandprobe meiner kleinen Hobby-Krachkapelle vor vier Wochen spielte unser Schlagzeuger nicht das übliche Stoner-Metal-Gedresche, sondern eine vermeintlich einfache Figur aus Bassdrum, Snare und nervös zischelnder Hi-Hat. „Sag mal, das ist doch … ,Rosanna‘?“, fragte ich perplex. Der Trommler war bislang nicht bekannt für einen Hang zum gern als Papabauch-Rock verunglimpften 80er-Jahre-Sound von Toto.

„Ja, Mann, der Song ist ein verdammtes Biest“, stöhnte der offensichtlich überforderte Mann hinter den Kesseln. Am Dienstag konnte er sich bei Totos Auftritt im ausverkauften Stadtpark abschauen, wie es geht.

Toto in Hamburgs Stadtpark: „Sind hier irgendwelche Swifties?“

Denn das ist das Geheimnis des vielleicht nicht mehr großen kommerziellen Erfolges, aber der bei allen Pausen, Besetzungswechseln und Auflösungen respektablen Langlebigkeit der 1977 in Los Angeles gegründeten Band: Lass das Schwierige einfach klingen und umgekehrt. Kann nicht jeder. Bis auf den Gitarristen und Gelegenheitssänger Steve Lukather ist live kein Gründungsmitglied mehr an Bord, wichtige Wegbereiter und Wegbegleiter aus bald 50 Jahren, wie die Rhythmusgruppen-Brüder Jeff und Mike Porcaro, sind gestorben.

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Toto während ihrer The Dogz Of Oz-Tour 2024 auf der Stadtpark Open Air Bühne in Hamburg © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Das zweite kompositorische Mastermind der Band David Paich ist nur noch in besonderen Ausnahmefällen mit auf der Bühne, wird aber im Stadtpark pünktlich zum 70. Geburtstag mit „Happy Birthday“ bedacht. Und es finden sich um Lukather immer wieder Top-Musiker, um die vermeintlich soften, aber in ihren Strukturen extrem ausgefuchsten Toto-Songs nicht nur live zu reproduzieren, sondern um immer neue Facetten anzureichern.

Und obwohl oder gerade weil Toto in den vergangenen zwei Jahren häufig in Hamburg zu erleben war (2022 zum fünften Mal im Stadtpark und 2023 bei der „Night Of The Proms“ in der Barclays Arena), folgt ihnen immer noch ein großes Publikum. Dafür braucht Toto seit „Old Is New“ 2018 nicht einmal ein neues Album. 4000 haben sich in Winterhude versammelt und freuen sich nach den Regenschlachten bei King Gizzard & The Lizard Wizard und Dropkick Murphys über den herrlichen Sommerabend vor der Konzerthecke. Fantastische Bedingungen. 

Toto spielt in Hamburg: Mit dabei ist ein völlig neues Gesicht

Als Toto sich für den Auftaktsong „Girl Goodbye“ um Schlagzeug, Congas und zwei große Keyboard-Batterien versammelt, heißt es erst mal, die diesjährige Aufstellung durchzuzählen (sieben müssen es sein) und zu diskutieren. Steve Lukather, der mittlerweile auch optisch zum Mozart des Adult Oriented Rock gereift ist, zaubert an den Saiten und singt auch mal, klar. Joseph Williams bestreitet als Frontmann den Hauptanteil der knapp 20 Songs und rasselt mit dem Tamburin. Am Schlagzeug ist Shannon Forrest (2010 Trommler auf Taylor Swifts Album „Speak Now“) nach fünf Jahre langer Abwesenheit wieder zurück, sogar 18 Jahre weitestgehend anderswo beschäftigt war Keyboarder Greg Phillinganes. Bass spielt seit vier Jahren Lukathers Kindheitsfreund John Pierce von Huey Lewis & The News, und Warren Ham kümmert sich seit vier Jahrzehnten um Congas, Shaker, Flöten, Saxofon und Begleitgesang. „Unser Schweizer Taschenmesser“, nennt ihn Lukather. 

Und erst seit einer Woche ist als zweiter Keyboarder mit Dennis Atlas ein völlig neues Gesicht dabei, weil der eigentliche Tastenmeister Steve Maggiora im Stadtpark im Vorprogramm mit The Effect spielt, der – jetzt wird es wirklich wild – Band von Steve Lukathers Sohn Trevor Lukather und Schlagzeuger Nic Collins, der dem Vorbild seines Vaters Phil Collins folgt. 

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Die US-Band Toto sorgt in Hamburg für einen stimmungsvollen Konzert-Abend. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Toto vergisst im Stadtpark auch Vorbilder wie Jimi Hendrix nicht

Mehr musikalisches Talent war wohl selten im Stadtpark versammelt. Und das braucht dort auch nur aus dem Handgelenk geschüttelt zu werden. Mit „Hold The Line“ wird wie gewohnt einer der ganz großen Klassiker sehr früh präsentiert, um sich dann in ausufernden Arrangements nicht durch „A Thousand Years“, aber beinahe 50 Jahre vor- und zurückzuarbeiten, von „99“ (1979) über „Pamela“ aus dem Jahr 1988 nach 1992 und zum Instrumental „Jake To The Bone“ etwa. Und zwischendurch ist gern Zeit für ein Solo, zum Beispiel von Greg Phillinganes an den Keyboards. Der hat die Chuzpe, bei einer Open-Air-Show erstmal mit Hotelbar-Akkordteppichen rumzusmoothen, bevor er zu „Burn“ überleitet. Generell hat der Kontrast vom soulinspirierten Glatzkopf Phillinganes und dem wilden Langhaar-Rocker Dennis Atlas neben ihm ein ganz eigenes kleines Entertainment-Element. 

Natürlich hat Toto über die Jahrzehnte genug Material angehäuft, „I‘ll Supply The Love“ hört man immer wieder gern. Aber auch Vorbilder wie Jimi Hendrix werden mit dem Cover „Little Wing“, seit 2015 fester Bestandteil von Totos Setlist, nicht vergessen. Und „A Thousand Years“, veröffentlicht 1988, wurde vor dieser Tournee noch nie live gespielt.

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Die Sonne sinkt langsam, „Georgy Porgy“ groovt richtig, der Pegel in manchem Bierbecher sinkt etwas schneller, Hungrige bugsieren Pommes bis in die vorderen Reihen, und eine gewisse Gemütlichkeit lässt sich durchaus auch auf der Bühne erkennen. Mit einem Schlagzeug-Solo und einer ausführlichen, aber charmant-herzlichen Vorstellung der Band von Steve Lukather („Sind hier irgendwelche Swifties?“, fragt er, als er zum Trommler kommt) werden nicht wenige Minuten in den zwei Stunden vertrödelt. Aber Toto, auf Midtempo gebucht, ist keine Gruppe für falsche Hast. Die 4000 Fans im Stadtpark und Hunderte Zaungäste auf der Grünfläche daneben schwitzen auch so zur Genüge.

„Beat It“, das Lukather 1982 für den King of Pop einspielte, grüßt kurz Michael Jackson und „With A Little Help From My Friends“ die Beatles und Joe Cocker in Woodstock. Dann darf sich die Anhängerschaft auf die beiden größten Erfolge freuen: „Rosanna“, das verdammte Biest, und „Africa“. „Ich segne die Regenfälle in Afrika“, singt Joseph Williams und reißt das Publikum zu „Yeh-Yooh“-Chören mit. Sonnenuntergang, Abendschwüle. Schön ist das. Da lacht mein Papabauch-Herz.