Hamburg. Bei der „Auferstehungssinfonie“ mit dem Orchestre de Paris hakte es. Woran der finnische Senkrecht-Durchstarter scheiterte.
„Ja, aber...“-Abende sind die anstrengendsten und undankbarsten. Vieles ist gut, einiges ist überragend, alles ist gut gemeint und dennoch: knapp daneben. Trotzdem vorbei. Dass dieses Malheur ausgerechnet Klaus Mäkelä passierte, und mit einem Stück, wie es monumentaler besetzt nur wenige gibt, macht die Sache weder einfacher noch erfreulicher.
Denn der Finne, noch keine 28 Jahre jung, wird momentan als riesigstes Riesentalent der Taktstock-Branche gehandelt, und mit der Aussicht, 2027 sein Amt als Chef beim Amsterdamer Concertgebouw anzutreten, ist der nächste Prestige-Fleißstern bereits fest gebucht.
Elbphilharmonie: Bei Mäkelä und dem Orchestre de Paris hakt es
Das zweite der zweieinhalb aktuellen Orchester ist das Orchestre de Paris und die Liebe soll gegenseitig und beachtlich sein; nachdem Mäkelä mit den Holländern und seinem Oslo Philharmonic in der Elbphilharmonie durchweg großartige Auftritte abgeliefert hatte, fehlte nun nur noch ein Gastspiel mit den Franzosen, um das starschnitt-taugliche Bild des Vielgefragten abzurunden. Blöd nur: Es rundete sich eben nicht. Es hakte.
Wenn schon, denn schon, hatte man wohl bei der Tournee-Planung kalkuliert, also: Mahler Zwei. Die „Auferstehungssinfonie“, mit biografischen Hamburg-Bezügen auch noch, riesiger Orchester-Apparat plus Fernorchester, zwei beeindruckende Solistinnen (Wiebke Lehmkuhl für das „Urlicht“-Solo und die Sopranistin Mari Eriksmoen), dazu großer Chor, hier bewährte sich als lokaler Zuarbeiter der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor.
Mark Andres Zehnminüter „Im Entschwinden“, eine karge Lachenmann-light-Mediation über das Entstehen und Verfliegen flüchtiger Klangerlebnisse war eine intellektuell anregende Ouvertüre, die es aber keineswegs dringend als Mahler-Vorbau gebraucht hätte.
Was machen die da mit diesem exemplarischen Mahler?
So viel theoretische Voraberklärung muss sein, weil sich beim Live-Erlebnis bereits während des ersten Allegro maestoso-Abschnitts unangenehme Frage ins Bild drängten: Was machen die da mit diesem exemplarischen Mahler? Warum geht es sich so gar nicht aus und wirkt so unentschlossen und halbgar?
Mehrere Gründe boten sich an, je tiefer sich Mäkelä in Mahlers extrem disparaten Stimmungs-Welten zwischen existenziellen Angstschüben, fast kindlicher Naivität, finsterem Gegrübel und triumphalem Getöse verlor: Das Pariser Orchester spielt offensichtlich zu gern „schön“, aus jeder Walzer-Andeutung, aus jedem Menuett-Moment machten insbesondere die Holzbläser kleine Ballettmusiken und die Trompeten garnierten mit Revue-Einlagen.
Reizend gespielt, mais oui, aber ohne die für Mahler unabkömmliche Schärfe selbst in der Süße. Mit einem anderen, trittsichereren Orchester – das Concertgebouworkest hat Mahler in seinem Erbgut exemplarisch verinnerlicht – mag sich das bessern und geben. Dann bliebe aber noch der sprichwörtliche Elefant im Raum: die auf der Bühne spürbar ausgelebte Unsicherheit, die Mäkeläs allzu auf Effekt getrimmte Interpretation prägte.
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Mäkelä in der Elbphilharmonie: Riesen-Beifall trotz Malheur
Er ist längst Profi genug, um deswegen nicht ins Straucheln zu geraten. Er ist aber offenbar auch noch nicht mahlerverständig genug, um sich aus den vielen Detail-Szenen ein Gesamtbild oder gar eine größere Interpretations-Absicht zu entwerfen, die sich auch wohlüberlegt in die Tiefen vorwagt.
Viereinhalb Sätze lang polierte Mäkelä also vor allem die episch ausgebreiteten Oberflächen. Der Tote aufweckende Schlussteil des Finales – das „Auferstehn!“, der Chor!, das Fernorchester!, die Glocken! – war dann kein Problem mehr und Zünder für Riesen-Beifall.