Hamburg. Viel Pathos und finsterer Leidenschaft: Klaus Mäkelä, Sol Gabetta und das Oslo Philharmonic begeisterten. Zugabe war Kontrastprogramm.

Klaus Mäkelä hat offenkundig ein Faible fürs smarte Repertoire-Bündeln. Sein erstes Elbphilharmonie-Gastspiel, mit dem Amsterdamer Concertgebouw, brachte zwei Sechste zusammen, die von Tschaikowsky und Schostakowitsch. Dann folgte, als Pflege des finnischen Nationalheiligtums, das Sinfonien-Gesamtpaket von Sibelius, auf drei Abende verteilt.

Und jetzt ein reines Schostakowitsch-Doppel, mit starker Betonung der ohnehin allgegenwärtigen Referenzen und der hineinkomponierten, fahnenmastgroßen Verweise auf diese politisch so aufgeladene Künstler-Biografie.

Klaus Mäkelä mit Schostakowitsch-Doppel in der Elbphilharmonie

Für die Tournee-Reise mit seinem Oslo Philharmonic, die ihn nun erneut nach Hamburg brachte, hatte der Weit-unter-Ü-30-Senkrechtstarter die Cellistin Sol Gabetta beim 1. Cellokonzert als gleichgesinnte Sparringspartnerin neben sich, gekoppelt wurde es mit der Zehnten. Eine dieser mittleren, erschütternd zerklüfteten Sinfonien, in denen man schon sehr taub sein muss, um das Komponisten-Monogramm D-S-C-H und dessen vielschichtigen Überlebenswillen trotz und nach Stalins Terror-Regime zu überhören.

Das berühmte Viertonmotiv aus den Tönen D, Es, C und H taucht bereits, eine clevere Klammer, im Cellokonzert auf, aber entschieden weniger plakativ eingesetzt.

Alles geben, kein Zurückhalten, mit höchstem Druck das Limit austesten

Von Haus aus ist Mäkelä auch Cellist, und wohl kein ganz schlechter; er weiß also, wie sehr man dieser so unbremsbaren und charakterstarken Solistin nichts vorschreiben muss. Gabetta kann und kennt das Stück wie ihren Cello-Kasten, er ebenso, man sieht sich beim Schlussakkord und der Rest regelt sich auf dem Weg, so schien die Devise zu lauten. Für die noch überschaubar gallige Schärfe und den ironischen Biss sorgte Mäkelä mit klaren Ansagen ans Orchester. Hin und wieder schon etwas zu theatralisch dosiert vielleicht, aber effektiv, um seine Ansicht über das Stück zu vermitteln: alles geben, kein Zurückhalten, mit höchstem Druck austesten, wie bald die Tacho-Nadel am Limit anschlägt.

Mäkelä und Oslo Philharmonic: Prestige-Gastspiel in der Elbphilharmonie

Gabetta hatte mit dieser Perspektive keinerlei Probleme, sie denkt, fühlt und spielt genau auf dieser Wellenlänge. Und fräste sich förmlich durch ihren Part. In den Ecksätzen hielt das Tutti bravourös mit, im abgedunkelten, getragenen Mittelteil kostete und lotete Gabetta die langen Melodiebögen aus, als wären sie das letzte auf der Welt, was ihr so gerade eben noch zum Festhalten am Leben bliebe.

Sol Gabetta war in der Elbphilharmonie die Solistin in Schostakowitschs 1. Cellokonzert.
Sol Gabetta war in der Elbphilharmonie die Solistin in Schostakowitschs 1. Cellokonzert. © Daniel Dittus

Das alles war schon ziemlich beeindruckend, das Orchester aus Oslo hatte seine Hausaufgaben für dieses Prestige-Gastspiel gründlich gemacht. Noch packender, garstiger, schroffer und drastischer wurde es nach der Pause, mit der kurz nach Stalins Tod vollendeten Zehnten. Mäkeläs Gefühl für diese Langstrecke, die wie ein abgründiges Minenfeld vor ihm lag, spielte er im ersten Einsatz vielversprechend aus.

Die tiefen Streicher grübelten matt und fahl auf ihrem ersten Motiv herum, noch unklar, wohin sich dieses Blatt wohl wenden würde. Mäkelä ließ sie bei dieser Sinnsuche gewähren, weil er wusste, wie steil die Steigerungsnotwendigkeiten noch sein werden, bevor das Finale in seinem Selbstbehauptungsrausch endet. Es entfaltete sich ein ausgiebiges Ringen mit dem Material und seiner dramatisch-tragischen Zerrissenheit. Jede Menge gut genutzte Gelegenheiten für die Holzbläser, ihre darstellerische Zielstrebigkeit beim Trudeln zwischen Aufbruch und tiefer Skepsis vorzuführen.

Elbphilharmonie: Mäkela atmet die Musik geradezu mit

Ein Stück, das ideal Mäkeläs Stärke wirken ließ: In den depressiv vernebelten Passagen atmete er die Musik geradezu mit, seine Körpersprache hielt sich dort konsequent mit autoritären Anordnungen zurück, er folgte dem Flow des Geschehens und justierte nur das Nötigste. Kein Zeichen ans Tutti, sich auf einem Mittelmaß-Niveau auszuruhen, ein kluger Trick, um dessen Gestaltungs-Ehrgeiz zu belohnen.

Sobald aber, besonders lautstark im zweiten Satz, die brachiale Orchestermaschine loslegte wie eine traumatisierte Stampfwalze auf dem Kriegspfad, eskalierte Mäkelä mit, intensitätsgierig und unbarmherzig tief in den Schmerz bohrend. Da war dann Schluss mit Understatement, Hier war er nicht mehr nur Teil des Ganzen, sondern ging mit herrischen Drachentöter-Gesten auf die Herausforderungen los.

Nach diesem zweiten Ringkampf mit dem Schicksal musste es eine harmlose, kleine Zugabe sein, alles andere wäre untergegangen: Glinkas „Ruslan und Ludmilla“-Ouvertüre ist zwar etwas wunschkonzertig überzuckert und arg niedlich, war aber als virtuos runtergeratterter Rausschmeißer und kleines Kontrastprogramm-PS das einzig Richtige, nach derart viel Pathos und finsterer Leidenschaft.

Mäkelä-Konzerte mit dem Orchestre de Paris: 18./19. März, Elbphilharmonie, Gr. Saal, u.a. Werke von Sibelius, Berlioz und Mahler.