Hamburg. Der junge Finne dirigiert das Concertgebouworkest in der Elbphilharmonie und verzauberte das Hamburger Publikum.

Wenn es nicht so umwerfend wäre, wäre es fast erschreckend. Dass ein 25 Jahre junger Dirigent, der als Cellist in seine Karriere startete, so selbstverständlich und so sicher eine Präzisions-Maschine wie das Concertgebouworkest aus Amsterdam lenkt und mit ihm eins wird. Dass er die Musik so komplett verinnerlicht und bombig fest im Griff hat. Wie geschmeidig und energiegeladen ein Konzert verlaufen kann, das von Anfang an jedem Einzelnen, auf der Bühne und im Saal, klar macht: Habt Vertrauen, lasst euch fallen. Alles kann passieren, nichts wird schiefgehen. Und jetzt anschnallen, jetzt kommt Musik.

Aber zurück auf Los: Klaus Mäkelä sieht auf Porträt-Fotos aus wie der Praktikant und nicht wie der Boss und ist momentan der „It-Maestro“ der internationalen Dirigenten-Szene. Seit vergangenem Jahr Chef beim Oslo Philharmonic, 2022 wird er, als Nachfolger von Paavo Järvi und Daniel Harding, auch Chef beim Orchestre de Paris. Senkrechtstarter wäre also untertrieben, und der Welpen-Eindruck täuscht, gewaltig sogar.

Klaus Mäkela: Zwei russische Sechste auf dem Programm

Neulich, bei einem BR-Konzert in München miterlebt, bohrte Mäkelä sich minuziös durch hakelige Frühmoderne von Bartók und Martinu; jetzt standen, was für eine sympathisch überraschende Kombination, zwei russische Sechste auf dem Programm: Schostakowitschs’ – dessen dreisätzige Atempause zwischen der noch hochpolitischeren Fünften und der herzzermalmenden „Leningrader“ – und die „Pathétique“, Tschaikowskys dramatisch verdämmernde Letzte.

Für die Amsterdamer tief verinnerlichtes Repertoire: Haitink, Chailly, Jansons, durch Namen wie diesen hängen die Messlatten sehr hoch. Jeder Dirigent, der nach ihnen nicht untergehen will, muss tunlichst wissen, was er will und wie er es bekommt. Nachdem das Orchester beim Elbphilharmonie-Debüt im Februar 2020 mit Mahler Neun und dem verschlafenen Dirigat von Myung-Whun Chung den Eindruck hinterließ, dass man an musikalischer Zusammenarbeit eher desinteressiert sei, waren sie nun alle, bis ans letzte Pult, von Anfang an mit vollster Kraft und Intensität dabei.

Tosender Applaus in der Elbphilharmonie

Die Streicher glühten bereits in der ersten langen Melodielinie, mit der Schostakowitsch sein Largo ins düster Epische weitet. Die frostige Leidensgeschichte erhielt von Mäkelä grell schneidende Schärfe. Er dirigierte mit markanten, nicht überzogenen Gesten und offensichtlich komplett angstfrei. Mit enormem Respekt vor der Aufgabe, aber auch mit einer straffen Ideal-Linie im Blick, von der er kein bisschen abwich. Und gleichzeitig dem Tutti alle Freiheiten ließ, nach Belieben nur genau das zu tun, was er von ihnen verlangte.

Das Orchester, üppig besetzt, revanchierte sich dafür mit makelloser Pracht. Der Holzbläser-Satz (auch später bei Tschaikowsky) zum Hinknien, feinst ausbalanciert, das Blech auf den Punkt kontrastscharf und strahlend, aber nie plump brachial. Im zweiten Satz jonglierte Mäkelä lässig mit dem doppelbödigen Sarkasmus. Im Finale polierte er die dahingaloppierende Realsatire auf Hochglanz, stürmend und drängend, ohne Schwächeln. Tosender Applaus, nicht nur der noch ungewohnten Lautstärke wegen, klar, was sonst.

Mäkelä ließ Musik sich auf ihre Größe besinnen

Tschaikowsky setzte fort, was derart toll begonnen hatte. Mäkelä ließ die Musik erzählen, pulsieren, stocken und sich auf ihre Größe und Kraft besinnen. Gespannte Stille durchdrang nach dem Verwehen des Schluss-Motivs den Saal, schier endlos und ebenso von Mäkeläs Charisma beherrscht wie alles andere bei diesem sensationellen Konzert.

Nächste Konzerte: 30.5., 1./2.6. 2022: Alle sieben Sibelius-Sinfonien mit dem Oslo Philharmonic. Elbphilharmonie, Großer Saal.