Hamburg. Die beeindruckende Pianistin, das San Francisco Symphony und Esa-Pekka Salonen begeistern. Sympathisch verschrobener Auftakt.

Als Yuja Wang im Januar in der New Yorker Carnegie Hall die vier Rachmaninow-Konzerte und seine Paganini-Variationen in einem Viereinhalb-Stunden-Irrsinn mit dem Philadelphia Orchestra bezwang, musste sie nach dieser Weltpremiere nicht k.o. von der Bühne getragen werden, sondern spendierte – eine ging noch, kein Problem – tatsächlich eine Zugabe. Am Ende gab es für alle, die auf der Bühne dabei gewesen waren, Tapferkeitsmedaillen mit Klavier-Motiv, fast wie hinter der Ziellinie eines Marathonlaufs.

„Phänomen“ ist als Kategorie untertrieben für diese Pianistin, die noch schneller spielt als ihr Schatten und dabei so präzise wie ein Schweizer Uhrwerk, ohne deswegen auch nur einen Sekundenbruchteil im schnöde Mechanischen steckenzubleiben.

Traumkombination in der Elbphilharmonie: Yuja Wang und „Rach 3“

Sie und insbesondere „Rach 3“ in der Elbphilharmonie, das ist eine Traumkombination, mindestens so kongenial wie Ernie und Bert. Weil es ja „nur“ das eine Riesen-Konzert war, nichts allzu Besonderes aus ihrer Perspektive, brachte sich Wang danach mit Horowitz’ berühmt-gefürchteter „Carmen-Fantasie“ auf untere Betriebstemperatur. Und ging wahrscheinlich noch eine Runde Üben, um endlich halbwegs ausgelastet zu sein.

Wang kann ihren Rachmaninow frei fließen lassen, kann Melodieeinfälle rhapsodisch auskosten und Akkord-Gewitter aus dem Nichts losdonnern lassen, nichts verhärtet oder verklumpt, alles ist frei, mutig und spontan empfunden so schön, als wäre es ihr gerade erst zugefallen.

Das Eingangsthema hatte ein wunderbar melancholisches Aroma, es gab den Ton für das Stück vor. Sachdienlich, wenn man dabei ein Top-Orchester wie das San Francisco Symphony neben dem gestressten Steinway hat, mit dem Alleskönner Esa-Pekka Salonen an seiner Spitze, der so gelassen und derart souverän dirigieren kann, dass es wie auf tiefenentspanntem Autopilot wirken kann. Mit gefühliger Verschmalzung hatten sowohl Salonen als auch Wang rein gar nichts im Sinn, ihr Rachmaninow ist eher ein Sehrfrühmoderner und kein Spätestromantiker.

Elbphilharmonie: Sympathisch verschrobener Auftakt

Die frische Qualität dieses US-Orchesters war in Hamburg nur vom Hörensagen bekannt; dass Salonen sich 2021 nach seiner Ära in Los Angeles für diesen Posten entschieden hat, gab offensichtlich mächtig Auftrieb.

Im zweiten der drei interessant bestückten Gastspiel-Abende in der Elbphilharmonie glänzte man mit cooler Klarheit und brillanter Prägnanz. Das bewährte System Salonen funktioniert bestens, in kleineren Show-Einlagen (Sibelius’ „Valse Triste“, mehr Heimspiel geht für einen Finnen nicht, und das funkelnde Vorspiel zu Wagners 2. Akt vom „Lohengrin“ als Zugaben) ebenso wie auf der Langstrecke von Bartóks „Konzert für Orchester“: Makellos choreografierte Holzbläser-Passagen, lässig tolle Blechbläser, straff gezügeltes Detail-Management in den Streichern, mit mustergültig organisierten Abläufen bei Rhythmik und analytischer Schärfe. So und nicht anders muss Bartók sein, eigenwillig, energiegeladen.

Sympathisch verschrobener Auftakt des Abends als Hör-Postkarte von der San Francisco Bay Area war Gabriella Smiths „Tumblebird Contrails“, ein kurzes Stück, das sehr aus instrumentalen Spezialeffekten bestand. Glissandi, die sich spektakelnd durchs Orchester zogen, halb Marvel-Soundtrack, halb Avantgarde zum Angewöhnen. Auch das: große Klasse.

Am heutigen Freitag, 20.30 Uhr, findet ein "Soundbox"-Konzert mit Salonen, Wang und Mitgliedern des San Francisco Symphony Orchestra im Kleinen Saal der Elbphilharmonie statt. Evtl. Restkarten.

Aktuelles Album: Yuja Wang „The American Project“ Musik von Abrams und Tilson Thomas (DG, CD ca. 19 Euro). t

Nächste Salonen/Wang-Konzerte: 5. / 7. Mai mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester, Werke von Lindberg und Bruckner. Elbphilharmonie, Gr. Saal. Evtl. Restkarten.