Oslo. Der junge Finne Klaus Mäkelä, schon ein Star am Pult, kommt mit seinem Oslo Philharmonic in die Elbphilharmonie. Ein Besuch in Norwegen.

Auf einmal, aus dem Nichts kommend, war dieser Name ständig zu hören. Staunend und fast ungläubig wurde einem in Konzertpausen von diesem blutjungen finnischen Dirigenten erzählt, der zwei wichtige Philharmoniker-Chefposten in Paris und Oslo ergatterte – und beide Verträge waren schon verlängert worden, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte, damit man ihn auch ja nicht gleich wieder an die Konkurrenz verliert.

Leicht schlaksig sah er aus auf seinen PR-Fotos. Die musterschülernde Brille. Arme wie Alba­tros-Flügel. Große, energiegeladene Gesten, als würde er im nächsten Moment ungebremst abheben müssen. Ach was, der ist doch garantiert zu grün hinter den Ohren, um auch noch so gut zu sein, wie er gehandelt wird, kam schnell als erste, nicht ganz unverständliche Reaktion.

Elbphilharmonie: Finnisches Talent spielt Konzert

Klaus Mäkelä, jetzt erst 26 Jahre jung und optisch noch jünger, geboren in Helsinki, wunderkinderte zunächst auf dem Cello, bis er in der Talent-Schmiede des legendären Maestromachers Jorma Panula auf Senkrechtstarter mit Taktstock umschulte und damit einen Gang höher schaltete. „Er wollte, dass wir so früh wie möglich mit dem Dirigieren beginnen sollten, weil es dann ganz natürlich werden würde. Ich fing mit zwölf an.“

Seine Anfänge nahmen jedenfalls schnell Fahrt auf, wohl begünstigt durch die Situation in der kleinen, aber immens aktiven Musiknation Finnland („fünfeinhalb Millionen Menschen und dreieinhalb Millionen Saunas“, witzelt Mäkelä), wo jeder alle kennt oder wenigstens jemanden, der etwas Weiterhelfendes weiß. Nach ersten Runden auf diesem Parkett wurde man überregional auf ihn aufmerksam. Die üblichen Agenturen aus London witterten einen interessanten, gut vermarktbaren Newcomer. Finnen gehen immer, scheint eine ihrer Regeln zu sein. Der Rest ging dann noch schneller.

Mäkeläs denkt nur an die Musik

Ob das alles, was er jetzt erlebt, nicht vielleicht zu viel zu früh ist? „Das sollen andere entscheiden“, ist sein Konter, der wie schon mehrfach bei Interviews abgerufen, aber dennoch ehrlich wirkt. „Ich denke nie über Karriere nach, was sollte das meinem Leben geben; viel lieber denke ich über Musik nach.“ In Oslo, ein Land neben seiner finnischen Heimat, hat Mäkelä bereits ein begeistertes Stammpublikum.

Das Osloer Konserthus ist mitten in der Woche gut und generationsübergreifend gefüllt, die Stimmung entspannt vorfreudig. Garderobenpersonal gibt es hier nicht: Alle hängen ihre Mäntel im Foyer auf, wird schon nichts passieren, wir sind in Skandinavien. Der Saal selbst, in den 1970ern irgendwie in eine City-Baulücke geklemmt, ist, man kann es nur so deutlich sagen, von ausgesuchter Scheußlichkeit.

Osloer Konserthus: „Schlimmste Konzerthalle Europas!“

„Das Orchester klingt zwar immer gut, aber die Balance ändert sich ständig, weil der Saal gegen die Regeln der Akustik gebaut wurde“, erklärt Mäkelä das Dauer-Problem. „Je nachdem, wo man sitzt, hört man etwas vollständig anderes.“ Mit ihm als Maskottchen soll es hoffentlich klappen, der Stadt und dem Land einen Neubau als kulturpolitische Notwendigkeit verständlich zu machen. Das Konserthus ist keine klassische Schuhschachtel wie die gute alte Laeiszhalle mit entsprechend sinnvoll geregelter Akustik, erst recht kein postmoderner Weinberg-Saal mit mittiger Bühne.

Wie ein Schalltrichter geformt ist dieses Etwas, ein viel zu hoher Allzweck-Raum, der – die Plakate hängen bereits – auch von den Dubliners oder Iggy Pop bespielt wird. „Schrecklich, die schlimmste Konzerthalle Europas!“, wird Mäkelä am Tag nach seinem Konzert beim Garderoben-Gespräch seufzen. „Aber es ist ein so tolles Orchester.“

Mäkelä startet von 0 auf 100

Auch damit hat er – soweit man das in diesem ziemlich schalltötenden Raum beurteilen kann – recht. Die Chemie zwischen dem Chef, der viel jünger ist als die allermeisten vor seinem Pult, und den Musikern wirkt und funktioniert, als hätte die erst 2020 begonnene Freundschaft etliche Jahresringe vorzuweisen. Den gemeinsamen Abend beginnt Mäkelä nicht brav mit gut abgehangenem Standard-Repertoire, sondern mit „Peru Negro“ des Peruaners Jimmy López Bellido.

Die Chemie zwischen dem jungen Chef und seinen Musikern wirkt.
Die Chemie zwischen dem jungen Chef und seinen Musikern wirkt. © Fred Olav Vatne | Fred Olav Vatne

Eine volle Packung Rhythmus und hoch dosierter Irrsinn, streckenweise wie Bernsteins „Mambo“ auf Speed. Harmlos jedenfalls nicht. Auch in Schostakowitschs 1. Violinkonzert, mit dem hochenergisch auftrumpfenden Julian Rachlin, und Bartóks „Wunderbarem Mandarin“ hält Mäkelä die Zügel straff in der Hand. Es macht Spaß, Mäkelä bei seiner spielerisch leicht wirkenden Arbeit zuzusehen, man wird als Zuhörer sehr nahe herangeholt an die Musik.

Mäkelä nicht das erste mal in Elbphilharmonie

Die technischen Aspekte des Dirigierens seien nicht besonders schwer zu erlernen, findet er. Stimmt ja auch. „Jeder kann das lernen, und das auch noch in sehr kurzer Zeit. Ein sehr wichtiger Teil ist allerdings die Psychologie: Alles, was man sagt, kann man auf 100 verschiedene Arten sagen. Und der Job ist es, 100 Künstler wie einen klingen zu lassen, alles kommt aus ihrem Inneren, nicht von mir, sondern von ihnen.“

Vor einigen Monaten war Mäkelä zu Gast in der Elbphilharmonie gewesen, mit dem Amsterdamer Concertgebouw-Orchester, die nun wirklich nicht mit jedem auf Europa-Tournee gehen. Tschaikowsky und Schostakowitsch Sechste. Totaler, atemraubender Abräumer-Abend, mit einer schier endlosen Stille nach dem Schlussakkord, an der sich ablesen ließ, wie beeindruckt und gepackt knapp 2100 Menschen waren.

Auch in Oslo ist an diesem Abend die Begeisterung groß im Saal. Die Kundschaft scheint wählerisch, denn das Angebot in der norwegischen Hauptstadt kann sich sehen und hören lassen. In Spaziergangnähe zum Konzerthaus steht seit 2008 das spektakuläre neue Opernhaus am Wasser, weiß und cool wie ein kunstvoll angerichteter Stapel gigantischer Eisschollen, von innen genauso hui wie von außen.

Tagsüber flanieren Touristen aus aller Welt auf den Terrassen-Ebenen herum, abends steht dort beispielsweise eine sehr beachtliche „Rigoletto“-Inszenierung auf dem Programm: Rigoletto ist mal kein herausgeputzter oder dichtgeschminkter Hofnarr, sondern eher ein rustikaler Bauerntrampel wie seine langhaarigen Kumpel, alle Heavy-Metal-Fans in zerrupften Pullovern und mit Jagdflinten, die auf einer bewaldeten Bühnenbild-Insel das tödlich endende Stück herunterschnurren lassen. Sehr Scandi-Noir-Opernkrimi, durch die Bank toll gesungen, mit enormer Inbrunst gespielt.

Mäkelä an drei Abenden in der Elbphilharmonie

Und fast unmittelbar daneben dann dieser Kunst-Klotz, auf dem „MUNCH“ steht. Das erst im Oktober eröffnete Ein-Künstler-Museum, 13 Etagen hoch und mit Hunderten Munch-Bildern vollgeschaufelt. Alle „Schrei“-Versionen sind in einem abgedunkelten Ehren-Raum versammelt, wo sie im Stundenrhythmus wechselweise zur Bestaunung freigegeben werden. Die größten Bilder von Munch sind derart riesig, dass sie per Kran von außen ins Museum gehievt werden mussten. Und als ob die Norweger nicht wüssten, wohin noch mit den vielen Meisterwerken, hängen einige sogar, als wären es nur Werbe-Plakate, in Vitrinen im Abflugbereich des Flughafens.

Das Opernhaus und das neue Munch-Museum (rechts) am Oslofjord.
Das Opernhaus und das neue Munch-Museum (rechts) am Oslofjord. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Britta Pedersen

Auf die drei Elbphilharmonie-Abende, mit denen das diesjährige Musikfest Ende Mai ausklingt, verteilen Mäkelä und die Norweger die sieben vollendeten Sibelius-Sinfonien. Nationalheiligtümer, natürlich, für den Finnen: „Auch wenn die Zeit von Nationalhelden vorüber ist: Er ist jemand, auf den unser kleines Land stolz sein kann. Ohne allzu romantisch zu werden: Die sieben Sinfonien sind Meisterwerke.“ Für CD aufgenommen sind sie bereits, unter eigenwilligen, anstrengenden Corona-Bedingungen. „Alles war geschlossen, und alles, was wir spielten, war Sibelius. Wir lebten in einer Sibelius-Blase. Das war schon sehr speziell.“ Und auf die Frage nach seiner Maxime als Dirigent hat Mäkelä eine smarte Antwort parat: Sein Lehrer Panula habe ihm und allen anderen Azubis immer eingebläut: „Sei hilfreich, aber störe nicht.“

Konzerte: 30. /31.5., 1.6. Sibelius’ Sinfonien 1–7 mit dem Oslo Philharmonic Elbphilhar­monie, Großer Saal, www.elbphilharmonie.de
Aufnahmen:
K. Mäkelä „Sibelius“ (Decca, 4 CDs, ca. 30 Euro). Die Reise nach Oslo wurde unterstützt vom Oslo Philharmonic Orchestra.