Hamburg. Ein Hamburger Musiker wütete zuletzt wegen einer Doku über die „Hamburger Schule“. Der Sender verteidigt nun die Filmemacherin.
„RTL2-Lifestyle-Blödsinn“, „Frechheit“, „Etikettenschwindel“, „von persönlicher Agenda triefender IchIchIch-Vlog“ – mit diesen Worten kritisierte der Musiker Bernd Begemann zuletzt einen Dokumentarfilm über die Hamburger Musikszene der späten 80er- und frühen 90er-Jahre und löste damit nicht nur im Netz eine lebhafte Diskussion aus. Insgesamt in zwei Facebook-Wortmeldungen ging Begemann die Filmemacherin Natascha Geier stellenweise frontal an.
Auf Abendblatt-Anfrage reagiert der für die Doku „Die Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik“ verantwortliche Sender NDR nun eher ausweichend, was die Kritikpunkte des in der Szene anerkannten Begemann, aber auch seine Vorgehensweise anbelangt.
Im Kern, das kann man wohl sagen, zielten Begemanns Worte auch darauf, dass er als – tatsächlich nicht zu leugnende – Gründungsfigur in dem Zweiteiler nicht zu Wort kam. Dazu sagt der NDR nun schlicht Folgendes: „Bernd Begemann kommt in dem Zweiteiler kurz vor, aber nicht als Interviewpartner – wie auch andere wichtige Musikerinnen und Musiker. Dass er eine wichtige Figur für die Entstehung der Hamburger Schule ist, ziehen wir in keinem Moment in Zweifel.“
Bernd Begemanns Facebook-Tirade: NDR nimmt Filmemacherin Geier in Schutz
Bei der Planung mit der Autorin der Dokumentation, Natascha Geier („eine exzellente Filmemacherin“, „in den 1990ern selbst Teil“ der Szene), habe die Redaktion, von der ursprünglich auch die Idee zu dem Dokumentarfilm ausgegangen sei, „über eine Liste mit möglichen Interviewpartnerinnen und -partnern“ entschieden. Und zwar im Hinblick auf eine Auswahl, „die uns ermöglicht, in zwei Folgen mit je 30 Minuten“ alle Themen zu behandeln.
Zudem sollte die Auswahl „eine gewisse Vielfalt“ abdecken: Männer und Frauen, Musiker und Nicht-Musiker, „damit wir im Film verschiedene Perspektiven haben“. Thematisch berücksichtigt werden sollten die bekanntesten Bands wie Tocotronic und Die Sterne, die Rolle von Frauenbands, zeitlicher und gesellschaftlicher Hintergrund, Einfluss der „Hamburger Schule“ auf Kunst, Theater und Literatur.
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Jochen Distelmeyer, dessen Darstellung in Absenz Begemann in deutlichen Worten („wie einen Trottel“) brandmarkte, sei übrigens über sein Management angefragt worden, habe aber eine Absage geschickt. Der sich eher an den Rändern der Szene bewegende Maler Daniel Richter sei ausgewählt worden, da „über die reine Musikszene hinaus“ berichtet werden sollte.
Nicht einverstanden mit den Schwerpunkten der (vom Umfang her allerdings eher eng bemessenen und insgesamt fraglos gelungenen) Doku waren auch andere Zeitzeugen, etwa die Journalistin Ella Grether, die in der Musikzeitschrift „Spex“ wichtige Texte zur Hamburger Schule schrieb und in der Doku ebenfalls nicht zu Wort kommt.
Sie sah sich, wie ihr ausführlicher Post auf Facebook zeigte, stellvertretend für andere Kolleginnen aus der Musikgeschichtsschreibung hinauskatapultiert und warf der Doku damit Sexismus vor. Als weibliche Akteurin hätte sie sicherlich in der Tat zur Stoßrichtung des Films gepasst, der ja sexistische Zustände explizit anspricht.
Reizthema „Hamburger Schule“: Klassentreffen im Knust geplant
Der Verzicht auf Grether als Interviewpartnerin habe „nichts mit mangelnder Wertschätzung zu tun“, sagt der NDR. Man habe auch hier eine Auswahl treffen müssen. Um etwa das Thema des strukturellen Sexismus anzusprechen, habe man auf Interviewpartnerinnen wie Bernadette La Hengst, Nixe Walsh, Christiane Rösinger und Myriam Brüger gesetzt.
Dass es auf die Doku auch kritisches Feedback geben würde, habe man erwartet, teilt der NDR abschließend mit, „schließlich war die Hamburger Schule schon immer meinungsstark und diskussionsfreudig“. Unter Beweis stellen dürften die Protagonistinnen und Protagonisten das am 7. Juni im Knust: Dann ist „Ein Abend über die Hamburger Schule“ anberaumt, ein Klassentreffen mit Filmvorführung, Buchvorstellung („Der Text ist meine Party“), Diskussionsrunde und Konzert.