Hamburg. Am Sonntag hat eine spektakuläre Inszenierung von Messiaens Riesenoper „Saint François d‘Assise“ Premiere. In Hamburg war sie noch nie zu hören.

„Ich hatte schon immer ein Faible für unaufführbare Stücke“, erzählte Georges Delnon im Elbphilharmonie-Foyer, bevor rund 140 Interessierte am Montag in die Bühnen-Orchesterprobe im Großen Saal gelassen werden. Da hat er mit Olivier Messiaens „Saint François d’Assise“ nun wirklich mitten ins Schwarze getroffen. Das Stück, das der Staatsopern-Intendant in diesen speziellen Raum hineininszeniert, ist eine himmlische Zumutung: Gute, mitunter sehr lange fünf Stunden lang erzählt der tiefgläubige Komponist Szenen aus dem Wirken des Heiligen Franziskus nach, der sinniert über den tieferen Sinn des Lebens und den noch tieferen Sinn des Sterbens.

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Begleitet wird das Ganze von etwa 300 Mitwirkenden: von einem riesigen Orchesterapparat, von Chormassen und Spezialinstrumenten wie den Ondes Martenot, einer Art archaischer Synthesizer, gleich drei davon sollen es sein. Fast nichts „passiert“ und doch geht es um das Alles und das Nichts, um Mitgefühl und Glauben und Zweifeln, und am Ende verabschiedet sich die Hauptfigur selig entrückt und erleuchtet in die Hände seines Schöpfergeists.

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Die einzige Frau ist eine Engelsgestalt, die in Delnons Version auch mal in sieben Meter Höhe durch den Saal zu schweben hat. Bevor sie so in die Luft gehen soll, brauchte Anna Prohaska einige Tage zuvor, bei der ersten Klavier-Hauptprobe im Großen Saal, noch schnell Kaffee und Kuchen in der Elbphilharmonie-Künstlerkantine. Womöglich auch Nervennahrung gegen ihre Höhenangst, die sie aber fröhlich erklärt und als Teil des Jobs ignoriert. „Ich sehe darin den künstlerischen Sinn, das ist ein tolles Bild“, meinte Prohaska mit Glitzer-Make-up im Gesicht und im weißen Umhang. „Und es klingt auch gut da oben!“, legte sie schnell nach, bevor sie zur Flugprobe enteilte.

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In Auftrag gegeben wurde dieses Stück, das Messiaen lieber „Spectacle“ als „Oper“ nennen wollte, vom schon damals legendären Opern-Intendanten Rolf Liebermann – allerdings nicht für „seine“ Hamburger Staatsoper, sondern für Paris, wo er einige Jahre ebenfalls amtierte. Vor der Premiere im November 1983 war ein junger, lernbegieriger kalifornischer Dirigent namens Kent Nagano ein Jahr lang Haus- und Arbeitsgast bei Messiaen und dessen Frau in Paris, um diese Uraufführung minuziös aus nächster Nähe vorzubereiten.

„Damals war Messiaen ein Titan“, erzählt Nagano im Foyer. Jahrzehnte und eine Weltkarriere später dürfte es nur sehr wenige Dirigenten geben, die sich besser im klangfarbenschillernden Labyrinth dieser Partitur auskennen. Und auch den Wunsch Messiaens dechiffrieren können, der als Synästhetiker Töne auch farbig wahrnahm, eine Stelle solle nach „leuchtendem Grün und einem Purpurrot-Rand mit weißen Flecken“ klingen.

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Kaum ein Haus wagt sich an diesen Brocken, Nagano hat ihn mehrfach und zuletzt 2013 als Generalmusikdirektor in München gestemmt, drastisch bebildert vom Aktionskünstler Hermann Nitsch, der seine Projekte gern blutig hat. Jetzt aber, in Delnons karg-strenger Sichtweise, das genaue Gegenteil: kein klassisches Bühnenbild. Alles ist sehr statisch, noch meditativer als ohnehin. Für Delnon werden „Elementarteilchen entschleunigt, bis zum Stillstand“.

Über die Orchester-Spielfläche wurden zwei Laufstege installiert, mit einem mittigen Podest, auf dem vor allem Jacques Imbrailo als Franziskus singpredigt. Hinter ihm der Chor-Freiraum, über ihm, an den Saalschall-Reflektor montiert, hängt ein großer LED-Ring, auf dem eine Filmmontage mit Bilderrätseln abläuft, die gegenbebildern, kommentieren und mitunter verdoppeln, worüber im Text gegrübelt wird.

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In Hamburg war dieser Messiaen noch nie zu hören, schon Ingo Metzmacher hätte ihn in seiner Amtszeit gern realisiert. Und auch Delnons Premiere, über die bereits 2014 nachgedacht wurde, als die Elbphilharmonie noch eine Skandalbaustelle war, hat coronabedingt vier Jahre Verspätung. Alles deutlich größer eben. Dieser „François“ wird nur dreimal in der Elbphilharmonie zu erleben sein, wegen des enormen Aufwands.

Für die Drehs der Zuspielfilme war Delnon in den vergangenen drei Monaten viel unterwegs, in Assisi, in einem Hospiz, bei einem Duschbus in Altona, für die Vogelpredigt-Abschnitt im Naturschutzgebiet auf der Elbinsel Lühesand, auf dem Seenot-Rettungsschiff „Sea-Watch 5“ auf dem Mittelmeer oder mit dem Klimaforscher Mojib Latif, der mahnend in die Kamera blickt, im Wald.

Anna Prohaska schwebt für die Flugphasen ihrer Rolle als Engel auf bis zu sieben Meter Höhe über der Bühne.
Anna Prohaska schwebt für die Flugphasen ihrer Rolle als Engel auf bis zu sieben Meter Höhe über der Bühne. © Bernd Uhlig | Bernd Uhlig

Beim ersten Probenbesuch in der letzten Woche hatten die Nerven rund ums Regiepult noch etwas blank gelegen. „Es geht um das gemeinsame Erleben eines Ereignisses, dieser Franziskus muss in der Mitte sein und die Menschen zusammenführen“, erklärte Delnon hochtouriger, als man ihn kennt, in einer Probenpause. Für ihn sei es jedenfalls mehr eine „multimediale Installation“; wichtig sei der politische Ansatz, die akuten Themen Natur, Klima, Armut, wie findet das alles in der heutigen Gesellschaft statt? „Das hat mich sehr gereizt. Die Kräfte, die Veränderung wollen, müssten dringend zusammenstehen – das alles hat Franziskus vorgedacht.“ Sprach‘s und eilte wieder zurück in den Saal.

Einige Tage später probte sich dort Nagano, dann mit dem gesamten Orchester, im Kleinschliff durch das Vogelpredigt-Bild. Bis zum Schlussakkord gelangte er nicht ganz. Pause. Dienst ist Dienst, selbst bei diesem vertonten Gottesdienst.

Termine: 2. / 6. / 9. 6., jeweils 17 Uhr. Am 16.6. (19 Uhr) und 17.6. (20 Uhr): Symphoniker Hamburg und Sylvain Cambreling mit Messiaens „Turangalîla-Sinfonie“, Laeiszhalle, Gr. Saal. Für alle Aufführungen gibt es noch Karten.