Hamburg. Der in Bayreuth gefeierte Regisseur ist der Nachfolger von Georges Delnon und ab der Saison 2025/26 Intendant. Seine Pläne.

Er schlich sich irgendwie hinein in die Stifter-Lounge, zusammen mit Kultursenator Carsten Brosda, dann war Tobias Kratzer tatsächlich sichtbar und nicht bloß als Namens-Gerücht da, vor den Kameras und den Notizblöcken. Im Amt angekommen als nächster Staatsopern-Intendant und Nachfolger von Georges Delnon ist der jetzt 42 Jahre alte Regisseur noch nicht, das dauert noch bis 2025. Es fehlt auch noch die Person, die parallel das Generalmusikdirektor-Amt von Kent Nagano übernehmen wird. Soll sich alles baldmöglichst klären, hieß es, stay tuned.

Kratzers Vorstellung lief nach dem genretypischen Muster ab: Der frisch Berufene freut sich ausdrücklich, der Berufer ebenso. Beide lobpreisen in harmonischer Engführung den nächsten, gemeinsamen Schritt in eine neue Ära. Fotos fürs Familienalbum, danach Abgang in die Kulisse.

Staatsoper Hamburg: Kratzer knüpft an Arbeit von Delnon an

Kratzer knüpfe ausdrücklich an die Arbeit von Delnon an, erklärte Brosda zuvor, es solle gleichzeitig auch alles Nötige passieren, um die Oper zu einer vitalen Kunstform des 21. Jahrhunderts zu machen. Kratzer wiederum betonte zurück, er wolle das Haus nicht durch Ansagen prägen, sondern durch das, was gespielt werde. Beim Nachfragen abseits dieser Bühne wird Kratzer bei vielen Aspekten zwar nicht konkreter. Klar wird aber: Da sitzt wer, der will was. Etwas anderes. Im Chefsessel bequem machen will er es sich nicht, dafür ist das alles auch für ihn selbst zu sehr Premiere.

Anfrage von der Findungskommission im Sommer, Nachdenken, Fährte aufnehmen, ein schönes erstes Date, „ich bin dann da so reingewachsen“. Vor einigen Wochen fiel der Würfel. Hamburgs Oper kennt Kratzer bislang nur aus der Publikums-Perspektive, Peter Konwitschnys legendärer Klassenzimmer-„Lohengrin“, als Schüler gesehen, war eine prägende Aha-Inszenierung. Seitdem war der noch in München lebende Kratzer immer wieder zum Reinsehen hier oben.

"Wir sind unterschiedliche Naturelle"

Die übliche Intendanten-Lehrjahre – erst ein kleines, dann ein mittleres, danach großes Haus – überspringt Kratzer sehr beherzt. Große Häuser und aufwandintensive Stücke kennt er inzwischen, „mir gab Vertrauen, dass das Gremium hier mir das zutraut, ich gehe da mit einer gewissen Demut dran.“

Was er während der Laufzeit seines Fünf-Jahres-Vertrags anders machen will als sein Vorgänger und was besser – da wird Kratzer gleichzeitig grundsätzlich und diplomatisch. „Wir sind unterschiedliche Naturelle und Generationen. Ein ,Besser‘ maße ich mir jetzt nicht an. Ich gehe nicht als McKinsey durchs Haus, sondern mit einem klaren künstlerischen Programm und schaue, wie sich das verwirklichen lässt.“ Sein neuer Arbeitsplatz soll für „starke Gegenwärtigkeit“ stehen, bei Regie-Handschriften ebenso wie durch die Stück-Auswahl.

Sechs Premieren-Gänge pro Saison angestrebt

„Ich bin kein Freund von Büfetts, ein gezielt geplantes Fünf-Gänge-Menü hat auch in seinem ästhetischen Anspruch mehr als nur die Breite.“ Perspektivisch angestrebt seien wieder sechs Premieren-Gänge pro Saison, hatte Brosda zuvor angesagt. Außerdem wolle man den Zuschuss um 1,1 Millionen Euro für eben diese weitere Neuproduktion und Komponistenaufträge erhöhen.

Vor Amtsantritt werde nichts von ihm im Spielplan auftauchen, berichtet Kratzer, seinen ersten Pflock werde er -- ganz sicher sei das aber noch nicht – wohl mit der ersten Premiere der Saison 2025/26 zur Debatte stellen. Welches Stück? Klar, keine Antwort. „Überraschen, ohne beliebig zu wirken ist mir lieber, als wenn das Haus mit einem Komponisten in Verbindung gebracht wird.“

Kratzer will Kinder- oder Jugendoper realisieren

Frühere mündliche Verabredungen hat er wegen Hamburg abgesagt, davon ausgenommen bleibt sein „Ring“ ab 2024 in München, der ist unterschrieben, der bleibt. Für Hamburg im Soll seien vermutlich zwei Inszenierungen pro Saison, das müsse auch nicht ausschließlich im Großen Haus passieren. Bereits in der ersten Spielzeit will Kratzer eine Kinder- oder Jugendoper realisieren.

Bei Kratzers Namen denken viele schnell und sehr an Wagner-Opern, denn er hat 2019 bei den Bayreuther Festspielen mit einem fantasievollen „Tannhäuser“ viele Punkte in der Branche gemacht. Sich beim Repertoire schubladisieren lassen will er sich aber deswegen nicht. Den eigenen Regie-Anspruch beschreiben? „Ich versuche, dem Erfahrungspotenzial eines Stücks den bestmöglichen Raum zu geben, und mag es, wenn eine Inszenierung auf mehreren Ebenen zugänglich ist.“ Seine Maxime für die Festanstellung: „Ich möchte, dass das Haus eine hohe Qualität und eine große Strahlkraft hat und an der Zukunft der Gattung Oper mitarbeitet.“

„Ich stehe diesem Prozess total offen gegenüber"

Das Thema Generalmusikdirektor sei noch in Arbeit, bestätigt Kratzer. Favoriten? Ja, sicher. Wie viele? Tja. Hätte sich Nagano fürs Weiterbleiben entschieden, wäre das für ihn kein K.O-Argument gewesen, betont Kratzer. Große Einigung mit den Philharmonikern über das weitere Vorgehen? Ja, sicher. Von heute aus gesehen ist der 350. Geburtstag der Hamburger Oper, zurückgerechnet auf die barocke Gänsemarkt-Oper, noch viel Zukunftsmusik. Aber Kratzer will diese historischen Aspekt zur Feier des Jubiläums energisch durchbluten. Den Sommer über habe er schon mal diverse Telemann-Opern gewälzt.

Ginge es nach Kultur-Mäzen Klaus Michael Kühne, würde Kratzer flott einen neu zu bauenden Arbeitsplatz bekommen sollen. Diese Debatte sei Thema bei den Verlobungsgesprächen für den Job gewesen. Aber keine Bedingung, weder in die eine noch die andere Richtung. „Ich stehe diesem Prozess total offen gegenüber und werde mir dazu eine Meinung bilden. Der Inhalt ist der Immobilie vorgelagert.“

Staatsoper Hamburg: Tobias Kratzer ab 2025 im Amt

Nach der Stifter-Lounge-Show ist schon wieder vor der Show. Tobias Kratzer muss später am Tag mit dem Künstlerischen Betriebsbüro an der Dammtorstraße weitere Ideen anbrüten. In seiner Arbeits-Welt galoppiert 2025 jetzt mit Macht heran.