Hamburg. Julia Bullock mit Messiaens Liederzyklus „Harawi“ in der Elbphilharmonie. Ein spektakulärer Abend, der andernorts kaum möglich wäre.

Wieder eines dieser sensationell delikaten elbphilharmonischen Musikfest-Programme, bei dem sich Veranstalter andernorts mit Blümchen bei jeder einzelnen Person im Publikum für ihre Neugierde bedanken würden. Weil sie tatsächlich nichts von diesem fein verstörenden Einblick ins verwegen Unbekannte abgehalten hatte – im Gegenteil, die Stuhlreihen waren gut und bunt gemischt gefüllt. Auch der Weltklasse-Dirigent Esa-Pekka Salonen, unauffällig im mittleren Parkett des Kleinen Saals der Elbphilharmonie platziert, könnte seine freien Abende anders gestalten.

Aber: Olivier Messiaen, ein großer, tiefgläubiger Sinnsucher in der Musik des 20. Jahrhunderts. „Harawi“, dessen reichlich unbekannter früher Liedzyklus, in dem schon einiges seiner späteren Markenzeichen durchschimmern (das sphärisch verzückte Staunen, die im Ungefähren schwebenden Akkordfolgen) – allerdings nicht, wie in diesem Genre üblich, brav und steif vor einem Klavier heruntergesungen, sondern szenisch verfeinert und verfremdet. Eindeutig mehr Musik-Theater-Performance, entschieden kein klassischer Liederabend. Und mittendrin als emotionales Epizentrum die Sopranistin Julia Bullock. Smarte, risikosuchende Künstlerin, großartige Sängerin. Eine Stimme, die insbesondere in ihrer leisen Sanftheit unmittelbar anrührt und in ihren Bann ziehen kann.

Elbphilharmonie: frei schwebender Gesang von Liebe und Tod

Wer schon immer einmal, ganz unbedingt, zwölf wild schillernde Lieder über einen alten peruanischen Mythos zweier Liebender hören wollte, mit teilweise surrealen Texten und Vokabeln aus der prä-kolonialistischen Quechua-Sprache, raunend über Liebe und Tod, umrahmt und buchstäblich verkörpert durch eine Sängerin, einen Tänzer und eine Tänzerin, abgerundet durch eine Prise Lichtregie und einen großen amorphen Stoffhaufen am Bühnenrand – genau hier gab es das alles, endlich.

Bullock liebkoste diese Musik und gab sich ihr ganzkörperlich hin. Die Worte wurden Teil der Musik; was gesungen, gegurrt, mit sinnlicher Leichtigkeit über den Klavierpart (bravourös: Conor Hanicks eindringliche Umsetzung) hinweggeflattert oder fast noch deklamiert wurde, lieferten sachdienlich die Untertitel. Von grünen Tauben war dort die Rede, Appelle wie „Lass uns die Liebe der Welt erfinden“ transzendierten mit großer Überwältigungskraft durch die gespannte Stille des Saals im Dämmerlicht.

Elbphilharmonie: Tanzende Körper im Klangrausch

Hin und wieder griffen die tanzenden Körper die Rhythmen dieses Klangrausches auf, oder sie gaben Bewegungsimpulse an Bullock weiter, die ebenfalls den gesamten Möglichkeitsraum der Bühnenfläche durchschritt und zu ihrer Tonleinwand machte, gehend, liegend, sich an die anderen Gestalten schmiegend. Der besungene, namenlose Geliebte blieb in diesem Drama unsichtbares Wunschbild und ersehnte Projektionsfigur, bis die letzten Silben ersterbend verklangen. Extrem, toll.

CD: Julia Bullock „Walking in the Dark” (Nonesuch / Warner, ca. 17 Euro)