Hamburg. Ein Fanatiker griff ihn an und raubte ihm ein Auge: Der Starautor überlebte. Jetzt erzählte er von einer Tanzparty mit Grass im Thalia.
Sicherheitsvorkehrungen gab es, natürlich. In den Räumen einer Handelsgesellschaft in Hammerbrook fand die Veranstaltung mit Salman Rushdie am Montagabend statt, mitgeteilt wurde der Ort erst ein paar Stunden vorher. Die Gäste waren obendrein handverlesen wie auch schon vorher im Rathaus. Dort hatte sich der indisch-britische Schriftsteller („Mitternachtskinder“, „Golden House“) ins Goldene Buch der Stadt Hamburg eingetragen. Ehre, wem Ehre gebührt. Rushdie ist ein Held der Meinungs- und Kunstfreiheit. 1989 wurde wegen seines Buches „Die satanischen Verse“ die Fatwa über ihn verhängt, ein Todesurteil aus dem Iran, weil der Roman angeblich gegen den Islam sei.
Und Rushdie starb mehr als 30 Jahre später, im August 2022, beinah bei einer Messerattacke durch einen religiösen Fanatiker. Davon handelt sein neues Buch „Knife“, über das der 76-Jährige nun auf Einladung des „Stern“ mit dessen Chefredakteur Gregor Peter Schmitz in Hamburg sprach. Und das war – wer Rushdie schon mal auf der Bühne erlebt hat, wer seine Bücher kennt, rechnete damit – eine mitunter amüsante Angelegenheit. So wie „Knife“ in keiner Weise ein, tja: todernstes Buch ist, so gelassen und schlagfertig gab sich Rushdie auf der Bühne.
Salman Rushdie in Hamburg: kein normaler Schriftsteller, seit 2022 erst recht nicht
Wobei er keinen Zweifel daran ließ, dass erst recht nach dem Attentat („Warum jetzt, so viele Jahre später? Für mich ist es so, als sei der Täter aus einer Zeitmaschine gestiegen“) Vorsicht ein Gebot sei. Man konnte diese Vorsicht live in Hamburg beobachten, Personenschützer, auch ein bisschen Polizei: Das ist kein normaler Schriftsteller, er ist nicht der einzige unter Personenschutz, aber der bekannteste. Er ist das Symbol des aufrechten Autors; er ist es zwangsläufig geworden, er füllt diese Rolle und, wie alle Welt vor drei Jahren so schockierend sehen musste, tatsächlich mit Todesmut. „Ich muss und will mich dennoch nicht jede Minute hinter einem SWAT-Team verstecken“, erklärte Rushdie.
Und setzte beim Dialog mit seinem Gegenüber Schmitz auf Pointen, die die Abgeklärtheit dessen erkennen ließen, dem zur Traumabewältigung der vielleicht bestmögliche Job zur Verfügung steht: der des Schreibens. Einer der Ärzte, die ihm das Leben retten konnten, aber nicht beide Augen, („Ich versuche mich immer noch daran zu gewöhnen, die Welt jetzt nur noch mit einem Auge beobachten zu können“) habe zu ihm gesagt, er solle froh sein, dass der Beinahe-Killer „nicht gewusst habe, wie man jemandem mit einem Messer umbringt“. Befreiendes Lachen, im Publikum und auf der Bühne: Es gibt, wo es um Leben und Tod ging, auch komische Aspekte.
Salman Rushdie nach dem Attentat: Zeugnis der Tapferkeit und Resilienz
Rushdie erzählte, was für ein auch im Nachhinein intimer Moment es gewesen sei, als der Angreifer über ihm war, eine Art perverse Erotik, sagte der Wahl-New Yorker sinngemäß. Und dann noch, dass er, der seiner Physis nie viel Bedeutung beigemessen habe, nun eine tiefere Verbindung zu seinem Körper habe, „das ist etwas Gutes.“
Auch in „Knife“, diesem eindrucksvollen Zeugnis der Resilienz und Tapferkeit hinsichtlich der Mordattacke, geht es Rushdie im Übrigen nicht um Rache. Der Kampf ums Überleben, so Rushdie, habe zunächst alle Käfte absorbiert, da kam der Wunsch einfach nicht auf. Aber er habe sich gewünscht, ein unrealistischer Gedanke, wie er weiß, sich beim Angriff selbst körperlich gewehrt zu haben.
Wie Rushdies Gesprächspartner richtig anmerkte, komme der Autor in den wenigen Teilen, die er überhaupt seinem Attentäter widme, diesem überdies nicht wirklich näher. Rushdie berichtete von der Unmöglichkeit dieses Vorhabens und negierte zudem Nietzsches berühmten (und immer schon ziemlich blöden) Ausspruch, wonach das, was einen nicht umbringe, nur stärker mache. „Ich bin sicher nicht stärker als vorher, nur anders“, sagte Rushdie.
Salman Rushdie: Schnaps mit Günter Grass in Wewelsfleth
Abgesehen von der Schilderung seiner persönlichen Bewältigungsstrategien tat Salman Rushdie dann noch das, was ein Schriftsteller auch tun muss: Er kommentierte den Zustand der Welt. Das war nicht originell („Wir leben in einer Zeit, in der keiner mehr mit irgendjemanden wirklich redet, alle leben in Blasen“) und musste es auch gar nicht sein. Es stimmt ja einfach und auch das mit den Lügnern und Fake-Narrativen, derer sich Despoten und Anti-Demokraten wie Putin erfolgreich bedienen. Manche Nachfragen, etwa ob er glaube, dass Trump schon mal ein Buch gelesen habe, waren indessen eher lahm.
Gut wurde es noch mal dann, als Rushdie vom Freundschaftschließen mit Günter Grass in Wewelsfleth unter Schnapszufuhr erzählte. Der Mann weiß, wie wichtig und zielführend Anekdoten sind. Der 70. Geburtstag des deutschen Nobelpreisträgers wurde später in Hamburg im Thalia gefeiert, Rushdie war, wie Nadine Gordimer und John Irving, auch da, es war eine richtige Party, „und was für ein toller Tänzer Grass war“, erinnerte sich Rushdie.
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Er genieße jetzt das Leben, „jeden Morgen denke ich, ich bin noch da“, sagte Rushdie. Was er nun wisse, sei, dass er tougher ist als vermutet. Das muss einer, der einen Mordanschlag überlebt hat, unbedingt so empfinden. Ein Vorbild und eine Inspiration war Rushdie aber auch vorher schon.