Hamburg. Die Local Heroes spielten in Winterhude das größte Konzert ihrer Karriere. Ein Triumph – mit fiesen Seitenhieben und vielen Hits.

Wenn die Sporthalle brummt, jener tapfer alternde, schlichte popkulturelle Veranstaltungsort, dann ist es immer intensiv. Sagen wir es mal so. Intensiv und schwitzig. Der abgerockten (Nicht-)Arena – Bude trifft es besser – tropft der Schweiß des Rock’n‘Roll aus jeder Pore. Immer gut, wenn die Attraktionen, die zur Unterhaltung des Publikums engagiert wurden, das mit der Frische und dem Auf-den-Punkt-in-der-Gegenwart-Sein noch hinbekommen.

So wie Kettcar beim Comeback-Konzert am Sonnabendabend. Die Band gibt es seit 23 Jahren, ein neues Album nach längerer Absenz ist gerade veröffentlicht worden. Da sind keine jungen Leute mehr, die da auf der Bühne stehen. Aber sie „liefern“, wie man so schön auf Showdeutsch sagt, immer noch so „ab“, als träten sie zum allerersten Mal an, um ihren aufrichtigen Indierock zu performen.

Kettcar in Hamburg: Heimspiel-Schwingungen, die überwältigen

In der ausverkauften Sporthalle taten Kettcar das vor einem Publikum, das der Band ihr Weitermachen und Wieder-da-Sein mit Hingabe dankte. Von den ersten Klängen – „Auch für mich 6. Stunde“, „Benzin und Kartoffelchips“ – an war die Atmosphäre enorm stimmungsvoll. Zwischen den Songs brandete immer wieder Jubel auf, da mussten Marcus Wiebusch, Reimer Bustorff, Lars Wiebusch, Erik Langer und Christian Hake nichts spielen, nichts sagen. Heimspiel-Schwingungen, und wie; die Band wirkte immer wieder überwältigt und formulierte dies auch. Es war das größte Konzert der Bandgeschichte.

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Wobei Bassist Bustorff seinen Frontmann Wiebusch ein wenig zur Räson rufen wollte, Stichwort „frisch“ und „Gegenwart“. Marcus ginge da kräftig „mit der Nostagiekeule durch den Raum“, monierte Bustorff mit Blick auf Wiebuschs Zeitreise durchs glorreiche Werk. Wiebusch hantierte da viel mit Jahreszahlen bei seinen Anmoderationen zu Stücken wie „Money Left To Burn“ und „48 Stunden“. Song-Klassiker haben das so an sich, sie sind halt: alt. Dabei sollte es laut Bustorff doch vor allem auch nach vorn gehen.

Kettcar in Hamburg: Lästern über Marius Müller-Westernhagen

Und ging es dann auch, die Band spielte vom neuen Album immerhin fünf Stücke. Künftige Live-Top-Favoriten schälten sich übrigens nicht unbedingt heraus. Eine schleswig-holsteinische Fan-Brigade in den hintersten Reihen, man bekam das hautnah mit, lobte die neusten Kettcar-Kompositionen („Schon gutes Zeug“), goutierte aber die überwiegende konzertante Besinnung auf den Back-Katalog. Für jeden Hit („Balu“, „Landungsbrücken raus“) gab’s ’ne neue Bierrutsche vom Holsten-Stand.

Die Hamburger Band Kettcar posiert für ein Foto auf Helgoland.
Die Hamburger Band Kettcar posiert für ein Foto auf Helgoland. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Was müssen „Altrocker“, die nichts so wenig sein wollen wie „Altrocker“, in jedem Fall tun? Über diejenigen lästern, die unbedingt zu jener Spezies gehören. Wiebusch tat dies formvollendet, als er von Marius Müller-Westernhagen erzählte. Den erlebte Wiebusch einst auf der Bühne der Sporthalle, als er dort vor vielen Jahren jobbte. Im Gedächtnis geblieben sind Wiebusch peinliche Ansagen ans Publikum („Ihr seid die Geilsten“) und alberne Rockstar-Posen, „Sollte ich das jemals selbst machen, schießt mir bitte ins Gesicht“.

Die Kettcar-Bubble: „Uns eint mehr, als uns trennt“

Beim Konzert der eigenen Band, Jahrzehnte später, war jeder Schuss ein Treffer. Dass der Anti-Homophobie-Song „Der Tag wird kommen“ live ein Ereignis ist, wenn 7000 Wiebuschs energischem Vortrag beiwohnen, hätte man sich denken können. Das galt auch dafür, dass die politischen Ansagen im Vergleich zu früheren Konzerten zurückhaltender waren. Kettcar 2024, da geht es immer noch darum, Haltung zu zeigen, vielleicht aber weniger konkret. „Linksgrün versiffte Gutmenschen-Nazis“ seien sie für manche wohl, sagte Wiebusch und meinte damit nicht nur seine Band, sondern auch die Menschen im Publikum. Und die sind mit ihnen gealtert oder, tatsächlich, sogar noch jung. Auch Hipster hören Kettcar. Ganz genau auf einen Nenner bringen kann man auch Kettcar-Fans nicht. „Uns eint mehr, als uns trennt“, sagte Wiebusch, und das sei viel, auch in der Kettcar-Bubble.

Die Welt ist kompliziert, aber man kann sie, muss sie irgendwie aushalten, all die Schlachtfelder, man muss ja nicht mit jedem immer hundertprozentig derselben Meinung sein. Über das zweistündige Konzert in der Sporthalle konnte es nur eine Meinung geben. Es war ein Triumph. Was pathetisch klingt, muss noch lange nicht falsch sein: Der hamburgischen, eminent relevanten, vor Kraft strotzenden Band Kettcar wird im dritten Jahrzehnt ihres Bestehens so viel Liebe entgegengebracht wie noch nie. Sie können also nicht viel falsch gemacht haben.

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