Hamburg. Die Hamburger Band gab nach zwei Jahren Pause zusammen mit Special Guest Thees Uhlmann ein bejubeltes Konzert. Eine Kritik.
Kettcar in Hamburg, das ist ein Heimspiel. Fußballmetaphern sind eine Plage, weil: Jeder bemüht sie. Das sei hier nur erwähnt, weil jetzt unverdrossen weiter gefußballert wird. Also, Kettcar mit Immer-noch-irgendwie-Hamburger Thees Uhlmann als Special Guest ist nicht nur Heimspiel, sondern, sagen wir: Gegengerade Millerntor. Das bietet sich in diesem Falle an, wo Kettcar/Uhlmann auf Kampnagel am Sonntagabend ein fröhlich bejubeltes Konzert gaben. Kein Weder-Fisch-noch-Fleisch-Konzert der unentschiedenen Sorte, sondern ein sattes Vollspann-Geschoss-in-den-Winkel-Konzert mit einem siegreichen Ausgang, der von Anfang an feststand.
Es ist halt so, dass Rockmusik in ihrer Livedarbietung zuletzt so gierig nach ihrem Recht verlangte wie der Sport als Stadionunternehmung: Die Leute waren mit Heißhunger in die Kultureinrichtung in Winterhude gekommen. Da konnte wirklich wenig schiefgehen. Schon gar nicht, wenn einer wie Uhlmann den Edeleinheizer gab.
Kettcar-Support Thees Uhlmann gibt auf Kampnagel den Performer
Am Abend vorher hatte der Wahlberliner ein kurzfristig anberaumtes Konzert im Molotow gegeben. Jetzt legte er auf Kampnagel ein 25-Minuten-Set hin, das seine grundsätzliche Support-Tauglichkeit bezeugte. Uhlmann klampfte akustisch, sang beherzt, erzählte von seiner Tochter und Friedrich Merz, von Berlin („Asozialer Hip-Hop ist hier relativ stark vertreten“) und den Toten Hosen („Bin Megafan“).
Kurz: Thees Uhlmann („Ich mag Rollenspiele“) gab den Thees Uhlmann, und das ist die halbe Miete. Die engagierte Emo-Deichkind-Erzählung könnte man grundsätzlich den Uhlmann-Vortrag auch nennen, er kommt ja von der Küste. Maulfaul ist er aber nie gewesen. Uhlmann ist ein Performer.
Die Devise „Gleich mal Schwung reinbringen“ war jedenfalls nicht ganz unwichtig und wollte sachgemäß ausgeführt werden: Mundschutzmasken machen, wie hinlänglich bewiesen ist, auch und gerade bei langen Konzertabenden müde. Wobei man immerhin seinen Körper so konditioniert hat, dass sich, fast, keine Kopfschmerzen mehr einstellen. Einfach flach atmen, eine der vielen Corona-Lektionen.
Kettcar zögerten vor der Konzertzusage
Kettcar kamen dann, nach Uhlmanns Einstimmung, zu dramatischen Gladiatorenklängen auf die Bühne; fast komisch, aber irgendwie auch sinnig. Die mussten sich ja auch durchkämpfen. Bassist Reimer Bustorff sagte dazu und beim Blick ins 1200 Mann und Frau starke, Kampnagel ausverkaufende Publikum, wie „überwältigt“ er sei, „wir sind ja zwei Jahre weg gewesen“.
Und es sind die Zeichen dieser Zeit, dass Kettcar-Konzerte wie andere auch zuletzt mehrfach verschoben wurden; ein Künstlerschicksal, das Zweifel sät, wo die Furchen tief mit Frust gefüllt sind. Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch („Danke, dass ihr gekommen seid, wegen Abenden wie diesem kann ich wieder Songs schreiben“) nahm man die verbal geäußerte Erleichterung im Hinblick auf nun wieder verhältnismäßig normale Zustände und die harte Prüfung durch vorhergehendes, erzwungenes Nichtstun nur zu gerne ab.
Das gilt auch für die Tatsache, dass die Band sich, wie Reimer Bustorff erzählte, erst mal zusammensetzte, als die kurzfristige Gelegenheit kam, auf Kampnagel aufzutreten. Man habe derzeit die Bilder des Krieges im Kopf, sagte Bustorff, „kann man da eigentlich ein Konzert spielen?“
Kettcar stehen auf der Seite des Guten
Neben Corona halt das nächste Signal einer problematischen Gegenwart: Amüsement und Unterhaltung ist nicht, jedenfalls nicht ohne Weiteres. Das große Töten und Alltag, eine moralische Frage. Die Musiker von Kettcar haben dann das gemacht, was Künstler stellvertretend für uns alle auch mal dekretieren können. „Einfach anderthalb Stunden Pause von allem machen“, so sagte es Bustorff.
Es wurden dann sogar mehr als 90 Minuten. In denen man sich wie immer fragte, ob die große Kampnagel-Halle vom Sound her irgendwie zu dumpf ist oder man selbst zu klangschnöselig. In denen man feststellte, was für ein schöner Song „48 Stunden“ ist und was für ein tolles Album „Ich vs. Wir“. Bustorff anekdotete sich trefflich durch den Abend, er ist aufmerksam beim Labelkollegen Uhlmann in die Schule gegangen und ein echter Musterschüler. Beim Tomte-Cover „Schönheit der Chance“ kam Uhlmann übrigens noch mal auf die Bühne, alter Song, nostalgische Darbietung, jedenfalls beinah.
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Vom puren Heute hatte vorher Gitarrist Erik Langer berichtet. Von seinem Freund, einem Kapitän aus dem Hamburger Hafen, der jetzt in Italien angeklagt sei, „weil er in seiner Freizeit im Mittelmeer Leben rettet“. Kettcar stehen auf der Seite des Guten, möge die Realität auch kompliziert sein, und das ist viel wert, gerade jetzt. Die Hymne für alle, die an das politische Engagement glauben, hat die Band natürlich auch im Programm. Sie heißt „Den Revolver entsichern“, ist gar nicht kriegerisch und gehörte genau in dieses Konzert.
Es firmierte im Übrigen als Abschluss des am Wochenende auf Kampnagel stattfindenden „Europacamps“, eines Ideen-Workshops, der sich dem Thema „Freiheit und Demokratie auf dem Prüfstand“ verschrieben hatte. Nun, Protest- und Politsongs haben ihre große Zeit längst hinter sich. Aber mehr als nur eine Ahnung, wie gesellschaftlich interessierter Rock klingen muss, hat man bei Kettcar immer bestens bekommen. Die Rausschmeißer des guten Konzertabends waren die Superhits „Landungsbrücken raus“ und „Deiche“. Man ging ermutigt nach Hause.