Hamburg. Bei der Gala „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“ im ausverkauften Großen Saal geht es auch um den FC St. Pauli und den HSV.
„Herzlich willkommen zu unserem kleinen Betriebsausflug von der Reeperbahn“, ruft Thomas Collien erfreut in die ausverkaufte Elbphilharmonie. Bereits zum fünften Mal ist das St. Pauli Theater für eine Gala zu Gast im großen Konzertsaal. Und all das wunderbar Schillernde, Räudige und Frivole der Kiezkultur schwappt da aufs Schönste in die an Patina doch eher arme HafenCity. Zum Auftakt setzt das Theater-Chef-Duo Collien und Ulrich Waller zu einer launigen und auch angemessen ernsten Rede an.
Elbphilharmonie: Beim Thema Fußball etwas Tumult im Publikum
Die pandemischen Jahre, die Krisen auf der Welt und auch das Energiedebakel, all das sei wirklich nicht einfach, führt Collien aus. Und Waller spricht ganz klar seine Solidarität aus gegenüber den Menschen im Nahen Osten, jüdischen Mitbürgern und jenen aus der Ukraine. Doch ein wenig lokalpatriotisches Geplänkel darf es ebenfalls sein: Sie wünschen sich lediglich einen Fußballaufsteiger in Hamburg, sagt Collien. Und angesichts der Lage des St. Pauli Theaters dürfte klar sein, welcher Verein gemeint ist. Leichter Tumult im Publikum.
Doch einigen können sich alle letztlich darauf, den weiten Strom da draußen vor der Tür zu preisen, so wie es Waller tut, indem er Wolfgang Borchert zitiert: „die stadtstinkende kaiklatschende schiffsschaukelnde sandsabbelnde möwenmützige graugrüne große gute Elbe“.
Sabbelnd und glitzernd führt Katie Freudenschuss durch die Gala
Ganz und gar nicht graugrün, dafür umso sabbelnder und vor allem glitzernd führt Humoristin, Musikerin und Sängerin Katie Freudenschuss durch die Gala. Als ihre „eigene Discokugel“ kommt sie in einem roséfarbenen und gülden leuchtenden Paillettenanzug auf die Bühne. Praktisch. Denn aufgrund des Rundum-Publikums in der Elbphilharmonie befinde sie sich eh in einer permanenten Drehsituation. 2024 wolle sie mehr Verantwortung übernehmen – für ihre eigenen Hollywood-Momente. Und sogleich stimmt sie am Flügel eine zart-ironische Nummer an über das kleine Glück in der S1 nach Poppenbüttel.
Bei all den tollen Stars, die da in gut drei Stunden auftreten, ist Freudenschuss der funkelnde Faden, der den Abend umgarnt. Witzig, einfühlsam, authentisch. Etwa, wenn sie herrlich prollig Fußball-Hymnen für die anstehende EM intoniert, die sie dann brüllend komisch in Kunstlieder verwandelt.
Die Berlin Comedian Harmonists singen Klassiker wie „Veronika, der Lenz ist da“
Die Gala wirft einige Schlaglichter auf das kommende Programm des St. Pauli Theaters. Doch mit den Berlin Comedian Harmonists gibt es zunächst eine Verneigung vor Arrangeur Franz Wittenbrink, dem König des Liederabends, der dem Kiez-Haus seit Langem verbunden ist. Und der die Männergesangsgruppe an der Spree Ende der 1990er-Jahre aus der Taufe hob.
Adrett in Frack singt sich das Quintett plus Pianist schmissig und mit Schmelz durch Klassiker wie „Veronika, der Lenz ist da“. Der „kleine grüne Kaktus“ wiederum spießt da auch mal Nenas „99 Luftballons“ auf. Besonders schön: „Irgendwo auf der Welt“. Eine butterweich schmelzende Hoffnung auf „ein bisschen Seligkeit“. Und ein sanftes Durchatmen zum Jahresbeginn.
Tim Fischer persifliert kokett „Die Dame von der Elbchaussee“
Die gesamte emotionale Klaviatur des Daseins kostet im Anschluss Tim Fischer aus. Im schwarzen Pailletten-Outfit persifliert er „Die Dame von der Elbchaussee“ wunderbar kokett, gelangweilt und mit spitzem Stein gesungen. Tief traurig und verheißungsvoll wiederum die Abschiedsode „Komm, großer schwarzer Vogel“. Und mit der „Rinnsteinprinzessin“ geht es dann wieder mitten hinein in die Kiez-Melancholie. Vergänglichkeit, Schönheit, Lebenslust – ein kurzer Auftritt, der tief wirkt.
Nicht weniger Seele, allerdings garniert mit viel Hamburger Coolness und einer gewissen Handclap-Leichtigkeit, bringt Soulbruder Stefan Gwildis auf die Bühne. Rauer Gesang, freundlicher Blick und ganz viel Herz. Mit „Bunt“ plädiert er für die „Macht der Vielfalt“. Er zupft seinen vokalen Kontrabass, spielt lautmalerisch Trompete und lässt sogar ein paar akustische Raketen fliegen. Und mit dem atmosphärisch vertonten Gedicht „Ich bin der Nebel“ verweist er auf seinen Borchert-Abend im St. Pauli Theater.
Elbphilharmonie: Anna Depenbusch besingt die Liebesgeräusche ihres Nachbarn
Wie verbunden diese Theater-Familie ist, zeigt der spontane Auftritt von Anna Depenbusch, die für die erkrankte Annett Louisan einspringt. Am Vormittag war sie noch an der Ostsee, um am Abend dann strahlend in schwarzer Robe in der Elbphilharmonie am Flügel zu sitzen. Von Chanson über Blues bis Pop reicht ihre faszinierende Bandbreite. Immer getragen von den klugen wie komischen Texten und dem besonderen Depenbusch-Eigensinn. Ob sie nun mit verruchtem Augenzwinkern die Liebesgeräusche ihres Nachbarn besingt oder ob sie Mut macht mit dem einfühlsamen „Engel“.
Absoluter Höhepunkt des Abends: Katie Freudenschuss erdichtet spontan am Flügel eine Hamburg-Hymne – aus Begriffen, die ihr das Publikum zuruft. Neben Erwartbarem wie St. Pauli und HSV, Labskaus und Michel rief da jemand auf einmal: „Bremen“. Die Gastgeberin resolut: „Ich glaub, es hackt!“ Und mit Schlagworten wie „halber Elbtower“, „Molotow“ und „Sternbrücke“ wird es dann durchaus stadtpolitisch. Zu den Melodien von „New York, New York“, „Dancing Queen“, „Smoke On The Water“ und „Yesterday“ schlägt Freudenschuss im Freestyle kongenial den Bogen von Billstedt bis Blankenese, von Udo zu Jan Fedder, von Elbe zu Alster („das Getränk!“).
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Zum großen Finale schließlich präsentiert Gustav Peter Wöhler mit seiner Band warm leuchtende Evergreens wie Stings „Message In A Bottle“ und Billy Joels „Always A Woman“.
Wie ein Bär steppt er über die Bühne. Kraftvoll und zugleich sanft singend interpretiert er die Überhits auf hochgradig charmante Weise. Und zum Schluss schmettern dann alle Stars des Abends gemeinsam mit dem Publikum „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“. Mehr St. Pauli geht nicht.