Hamburg. Hamburger Soulbruder hält Versprechen – und deckt beim Nachmittagskonzert im Stadtpark das Spektrum seiner Solokarriere ab.
Meine Güte, man kann doch zu einem Frack keine Wanderschuhe tragen“, kichert der Nebenmann am Sonntag beim Konzert von Stefan Gwildis im Stadtpark in seinen Bierbecher. Doch, Gwildis kann. Und muss. Schließlich heißt es für den Barmbeker Soulbruder an diesem Nachmittag: drei Stunden und zehn Minuten lang ständig am Bühnenrand auf- und abzumarschieren.
„Woher kommst du, Schwester? Düren! Und woher kommst du, Schwester? Konstanz!“, begrüßt er einige ausgesuchte Ladys im Publikum. Und immer wieder predigt er Liebe, lieben und lieben lassen, egal woher sie kommen oder welche Hautfarbe sie haben. Gwildis tobt mit wehenden Haaren und flatterndem Fracksaum über die Grasnarbe. Er hat etwas von einer Mischung aus James Brown und dem Priester Reverend Brown aus „Der Prinz aus Zamunda“. Die Energie, die er in sein Mikro überträgt, sorgt wahrscheinlich für sorgenvolle Blicke drüben im Mischpult-Turm: Gleich patzt hier alles.
Stefan Gwildis liefert im Stadtpark ab – aufgekratzter, denn je
Tatsächlich wirkt es so, als wäre Stefan Gwildis, endlich nach Jahren wieder auf der Stadtparkbühne in all ihrer Pracht, an diesem Tag noch aufgekratzter, als er es bei seinen Shows eh immer ist. Als müsste er noch etwas Extra geben, noch einen Gang höher schalten.
Vielleicht auch aus Trotz. Denn im Publikum sind deutliche Lücken zwischen den Menschen. Knapp Tausend haben sich auf dem abgelatschten, staubigen Geläuf versammelt, wo sonst 4000 gekommen sind. Vor der Pandemie. Ein Problem, mit dem auch ein Herbie Hancock oder eine Band wie The National dieses Jahr im Stadtpark zu kämpfen hatten.
Stefan Gwildis im Stadtpark: Fans lassen sich durch den Konzerttag tragen
Aber die Tausend haben vierfachen Spaß und lassen sich von der 15 Frauen und Männer starken Band von Gwildis sanft groovend durch den langen Konzerttag tragen. Mitsingen, Mitwedeln, Mitklatschen. Nicht nur der Mann im Frack, der nach den ersten Songs „Bunt“ und „Sommer in der City“ und einem Soul-Medley hechelnd zum Schweißtuch greift, beweist Ausdauer. Und Atempausen gibt es auch genug, wenn Gwildis zum Beispiel TV-Koch Nelson Müller begrüßt und ihm das Mikro für „September“ überlässt. Earth, Wind und Feiern, das geht auch bei „Schwerelos“, „Stimmen der Zukunft“ und „Spiel das Lied“ mit dem Kinderchor Luku: Laut. Niedlich.
Dafür, dass Stefan Gwildis seine Gage mit vielen, sehr vielen Menschen teilen muss, haut er richtig einen raus. Mit einer Sackkarre wird eine Harfe auf die Bühne gewuchtet, damit sie „Das beste, was es gibt“ begleiten kann. Der Sound ist für ein großes Ensemble generell sehr gut abgestimmt, und die Arrangements, die Gwildis-Komponist Tobias Neumann an den Keyboards überwacht, hätten wohl auch den Funk Brothers, der Begleitband ungezählter Motown-Stars gefallen.
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So fügen sich auch die Songs des neuen, am Freitag erschienenen Albums „Bunt!“ wie „Metamorphose“, „Dreh dich!“ und – begleitet vom inklusiven Chor Bitte Lächeln – „Maakellos“ gut in das Gesamtgefüge. Wobei der Applaus natürlich bei Klassikern wie „Allem Anschein nach bist du’s“, „Amelie“ oder „Laß ma’ ruhig den Hut auf“ besonders laut aufbrandet.
Stefan Gwildis im Stadpark: Alles und mehr gegeben
Der Himmel ist blau, der anbrechende Abend mild, und folglich wollen weder Band noch Fans nach Hause. So gibt es noch „Anker werfen“ und „Papa will da nicht mehr wohn’“ als Zugabe. Stefan Gwildis hat mal wieder alles und mehr gegeben und gibt anschließend noch lang Autogramme, bis die Stadtpark-Saison 2022 abgeschlossen wird – nach einem letzten Höhepunkt.