Hamburg. Vor der Neujahrsmatinee ließ sich die Hamburger Band etwas Besonderes einfallen. Dann setzte sie ein positives Signal.
Die Band hat Kuchen gebacken. Und die Schnapsreste aus dem Tourbus noch mit aufs Büfett gestellt. Neujahrsempfang auf Rock-’n’-Roll-Art. Und was für eine hinreißende Idee von Kettcar und dem Knust, am 1. Januar zur Matinee zu laden! Ab 15 Uhr, versteht sich. Ausschlaf- und katerfreundlich eben. Ein herzliches Hallo und feste Umarmungen zu Sekt und Bananenbrot.
Doch dem nicht genug. Die Band hat sich zu diesem Jahresauftakt eine besonders charmante Aktion ausgedacht. Fünf textsichere und mutige Fans singen vor dem eigentlichen Konzert von Kettcar jeweils einen Song als Karaoke-Version – akustisch begleitet von der Band.
Kettcar-Fans singen vor Konzert im Knust Karaoke mit Band-Begleitung
Den Anfang macht ein Typ namens Dirk – unter heftigem Applaus der Menge im ausverkauften Saal. Er singt nicht ganz so druckvoll wie Kettcars Marcus Wiebusch. Doch mit warmer, tiefer Stimme intoniert er wirklich rührend Zeilen wie „Tu immer, was dein Herz dir sagt“ aus der Nummer „48 Stunden“. Eine Fanliebe, die sich schüchtern herantastet. Und die im Knust frenetisch bejubelt wird.
Seine Nachfolgerin Sandra hat „Rettung“ ausgewählt. Und moderiert das Liebeslied über eine abgestürzte Nacht auch direkt souverän an: „Der richtige Song für Silvester und Neujahr.“ Als Nächster umfasst Hannes das Mikro energisch mit beiden Händen und liefert eine inbrünstige Variante von „Balkon gegenüber“.
Kettcar-Matinee als Auftakt eines ereignisreichen Jahres
Sachte begleitet die Band im Sitzen diese Interpretationen. MTV Unplugged kann jeder, um das eigene musikalische Zartbesaitetsein zur Schau zu stellen. Die eigenen Fans ins Rampenlicht zu holen, zeugt von einer besonders innigen Beziehung. Und wenn sich dann Karaoke-Sängerin Josephine mit rauchiger Stimme an den Hit „Balu“ wagt und wenn kleine Unsicherheiten vom anschwellenden Chor der Menge aufgefangen werden, dann sorgt das für die erste Gänsehaut des jungen Jahres. Ein Soli-Prinzip in Musik.
Schön schräg schmeißt sich schließlich Benne in das Stück „Ich danke der Academy“. Die Band strahlt und applaudiert. „Das machen wir in der Sporthalle noch mal“, sagt Wiebusch äußerst erfreut.
Diese Matinee ist für Kettcar der Startschuss für ein höchst aktives Jahr: Am 5. April erscheint beim Band-eigenen Label Grand Hotel van Cleef das nun mehr siebte Kettcar-Album mit dem Titel „Gute Laune ungerecht verteilt“. Und wer die Band kennt, ahnt, dass es durchaus auch ums Eingemachte gehen dürfte. Darum, wie Fairness und Teilhabe eben nur für manche selbstverständlich sein können. Im April geht es dann zudem auf große Tour – mit einem Auftritt in der Sporthalle Hamburg als Finale.
Kettcar setzt positives Startsignal für Hamburger Clubkultur
Doch im Knust gibt es erst einmal einen fulminant krachenden Ritt durch das indierockende Werk der Band. Und zahlreiche Zeilen und Songs von Kettcar eignen sich tatsächlich auch bestens als Jahresmotto. „Money Left To Burn“ etwa. Oder „Das Beste ist immer der Feind des Guten“. Worte, die das Publikum aus vollem Herzen mitsingt.
Für die Hamburger Musikszene war 2023 kämpferisch und auch traurig zu Ende gegangen – mit der Demo für den Erhalt des Molotow sowie mit der Schließung der Sternbrücken-Clubs. Mit seiner Matinee setzt das Knust nun ein positives Startsignal für die hiesige Clubkultur 2024. Ein energiegeladener Beweis dafür, wie kollektiv bewegend und sinnstiftend Livemusik ist. Und wie sehr Musikclubs eben auch Orte der Begegnung sind. Emotionale Heimathäfen.
Kettcar vom Erfolg der Matinee selbst überrascht
„Frohes neues Jahr“, ruft Kettcar-Bassist Reimer Bustorff dann auch beherzt von der Bühne herab. „Wir sind ganz baff und freuen uns sehr, dass das mit unserer Matinee so aufgegangen ist.“ Er hätte gedacht, die Leute machten zu Neujahr eher solche Dinge wie Vierschanzentournee gucken.
Zur Belohnung für das geballte Erscheinen gibt es für die treue Fangemeinde auch einen neuen Song, der mit dem Titel „Doug & Florence“ auf der Setliste notiert ist. „Alle Türen stehen dir offen / sie sind nur sehr weit weg“, singt Wiebusch eindringlich. Eine Nummer über die Ungleichverteilung in unserer Gesellschaft. Mit dem Aufruf: „Paketzusteller of the world unite / unite and take over“.
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Viele der gut gereiften Kettcar-Songs, die im Knust erklingen, lassen sich wunderbar mit in dieses neue Jahr nehmen. Als Wegbegleiter. Als Aufbauhilfe. Als Energieschub. Die Anti-Homophobie-Hymne „Der Tag wird kommen“ etwa. Die Hamburg-Melancholie von „Landungsbrücken raus“. Und das dauerbrennende „Deiche“. Im Knust ein herrliches frühabendliches Ausrasten. Ein schöner Auftakt.