Hamburg. Sängerin Anna Depenbusch spricht über blank liegende Nerven, schwache Ticketnachfrage und den Tourabschluss in der Laeiszhalle.

Es regnet und stürmt, eine Seltenheit dieser Tage, sogar in Hamburg. Das Interview mit der Hamburger Sängerin und Pianistin Anna Depenbusch wird kurzerhand nach einem kleinen Spaziergang in ihren Proberaum in der Nähe der Feldstraße verlegt. Es ist ein leises Gespräch, denn „Frau Rachals“, ihr heißt geliebter alter Flügel, kann auch mal zickig werden.

Depenbusch hingegen ist in bester Stimmung vor ihren Heimspielen am 27. und 28. August in der Laeiszhalle. Es ist der Abschluss ihres 2020 begonnenen „Echtzeit“-Projekts, ihrem in einem Durchlauf ohne Nachbearbeitung aufgenommenen Album mit zugehöriger und von Verschiebungen und Absagen begleiteten Konzertreise. Auch für sie waren diese zwei Jahre eine Zeit des Umbruchs, der Tränen und der neuen Perspektiven. Ihre Nerven liegen blank, sagt sie und lacht dabei.

Hamburger Abendblatt: Wir sahen uns zuletzt in Berlin, als Sie „Echtzeit“ aufgenommen haben. Ein sehr ambitioniertes, auch vermeintlich antikommerzielles Herzensprojekt. Einen Monat später schloss Corona alle Türen. Wie haben Sie diesen Rückschlag hingenommen?

Anna Depenbusch: Sehr wechselhaft. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Musik das Einzige ist, was uns noch hilft. Dass ich den schönsten Beruf für unsichere Umbruchzeiten habe. Aber immer ist da auch die Angst. Erst, dass wir die Bühnen nicht mehr voll kriegen, dann dass wir sie nicht voll und warm kriegen. Bitter. „Echtzeit“ allerdings war ein echter Höhepunkt, es hatte die meiste Aufmerksamkeit meiner Alben bekommen – und die zweithöchste Chartplatzierung.

Aber Sie sind ja auch eine Bühnenpersönlichkeit, und die hatten es schwer seit März 2020.

Depenbusch: Bei mir war es on/off. Teilweise hatte ich – besonders im Früh- und Spätsommer zwei Wochen am Stück mit Auftritten, dann wieder nichts. Mittlerweile haben wir alle verschobenen Konzerte endlich nachholen können, und das hat sehr großen Spaß gemacht. Aber die erste Phase war hart. Nach einem Konzert war die Tour zu Ende, ich saß auf gepackten Koffern und habe geheult. Ich hatte alles, das Album, die Promo, die Tour aus eigener Hand vorfinanziert und entsprechende Panik. Zum Glück kam erste Hilfe von Bekannten, Aktionen und Verbänden und später die Überbrückungsmaßnahmen.

Jetzt kehren Sie für zwei Abende in die Laeisz­halle zurück. Künstlerinnen mit Ihrer Popularität haben aus vielerlei Gründen derzeit arg mit geringer Kartennachfrage zu kämpfen. Merken Sie das auch?

Depenbusch: Ja, total. Woran das bei meinem Publikum oder auch in den Theatern liegt, kann ich mir nicht genau erklären. Ich glaube, dass neben gesundheitlichen und finanziellen Gründen und einem Überangebot an Konzerten vielleicht das Durchschnittsalter eine Rolle spielt. Ältere Konzertfans haben wenig Angst, etwas zu verpassen, weil sie schon viel erlebt haben und von diesen Erinnerungen zehren. Die können auch noch ein weiteres Jahr warten. Die Kids hingegen sind hungrig, die gehen in die Clubs, die wollen was erleben.

Haben die vergangenen zwei Jahre Ihr Selbstverständnis als Künstlerin verändert?

Depenbusch: Die Routine hat sich verabschiedet. Es geht jetzt mehr schief auf der Bühne. Und es ist deutlich, deutlich emotionaler. Die Erleichterung, die Begeisterung, die Dankbarkeit, Glück und Adrenalin lassen sogar Tränen im Publikum fließen, und es geht schon so weit, dass sogar mir die Tränen kommen. Das hat es früher nicht gegeben, ich wurde davon mehrfach förmlich überrollt. Die Nerven sind einfach dünn. Für die Laeiszhalle kann ich für nichts garantieren.

Interessante Bücher liegen hier in ihrem Proberaum, Fachliteratur über die Philosophie der Zeit und der Physik. Studieren Sie wieder?

Depenbusch: Ich studiere nicht wirklich, nur als Gasthörerin. Das war eine Reaktion auf die abgesagte Tour und auf die zur Verfügung stehende Zeit, die ich nicht mit Trübsalblasen verschwenden wollte. Aber die Philosophie der Physik und ihre historische Entwicklung begeistern mich sehr.

Das klingt sehr trocken und methodisch im Vergleich zu ihrer sehr harmonischen, emotionalen und pointierten Musik.

Depenbusch: Na,ja. Mein Albumtitel „Die Mathematik der Anna Depenbusch“ und Lieder über Persönlichkeiten der Wissenschaft wie Wolfgang Pauli, einem Rockstar der Physik oder Emmy Noether haben schon ihre Ursprünge in meinem Faible. Schwingungen, Resonanz, Akustik, Obertöne – das kann man Ihnen auf der Geige zeigen, aber auch mit strahlenden Augen vorrechnen. Ich liebe das, ich bin Zahlenfan.

Heißt Ihr kommendes Album „Die Quantenphysik der Anna Depenbusch“?

Depenbusch: Nein, ich kann mir im Gegenteil vorstellen, dass es jetzt so richtig emotional wird. Es gibt aber noch keine Songs, kein Konzept, und keine Deadline. Hamburg bekommt jetzt noch mal ein „Echtzeit“-Gala-Finale mit vielen Facetten, da passiert was, was nur dort passieren wird. Mein Wunsch ist, dass es mein Abend für Hamburg wird.

Konzerte Sa 27.8., 20.00, So 28.8., 19.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Karten ab 37,75 im Vorverkauf; www.annadepenbusch.de