Hamburg. Unter dem Motto „Molotow must stay“ haben Tausende für den Erhalt Hamburger Clubkultur demonstriert. Etliche Musiker protestieren mit.
Die Hamburger Clubszene hat ihrem Frust lautstark Ausdruck verliehen: „Molotow muss bleiben!‟ lautete der Titel einer Demo, die sich am Sonnabend vom stilbildenden Musikclub am Nobistor als Protestzug über die Reeperbahn, den Millerntorplatz und die Ludwig-Erhard-Straße bis zum Lindner-Hotel am Michel bewegte.
So viele sind vors Molotow gekommen an diesem Nachmittag, um für die Hamburger Clubkultur zu kämpfen. All die herzblutenden Konzertfans und schönen Nachtgestalten. Die Punker und Waver, die Indie- und Pop-Cliquen. Die ganz Jungen, die in dem Musikclub am Nobistor nun erst postpandemisch den Rock ’n’ Roll lieben lernen. Und viele Ältere, die seit den 90er-Jahren in dieser legendären Hamburger Spielstätte ihren Heimathafen gefunden haben. Damals noch im alten Quartier der längst abgerissenen Esso-Häuser.
Molotow muss bleiben: Heute demonstriert die Hamburger Clubkultur mit Liveacts
„Molotow must stay“ („Molotow muss bleiben!‟) heißt es in großen Lettern auf Plakaten an der markanten rot-schwarz-weißen Fassade – beim mittlerweile dritten Zuhause des Clubs am Nobistor auf St. Pauli. Unter diesem Motto hat das Molotow gemeinsam mit dem Clubkombinat Hamburg und dem Veranstaltungskollektiv Dans zur großen Demo aufgerufen.
Stein des Anstoßes ist die Kündigung des Mietvertrags, sodass Betreiber Andi Schmidt und sein Team die Spielstätte zum 30. Juni 2024 verlassen müssen. Das Haus soll einem Hotel-Neubau der Lindner-Gruppe weichen. „Riot statt Hyatt“ steht auf einem Demo-Plakat. „Geld frisst Stadt“ auf einem anderen.
Hamburger Band Sempf äußert sich auf der Bühne vor dem Molotow lautstark
Zunächst äußert sich der Widerstand auf der Bühne vor dem Molotow im lautstarken Punkrock-Sound der Hamburger Band Sempf – auf einem Lkw, der mitten auf die Reeperbahn gefahren wird. Und nachdem der Stromgenerator repariert worden ist.
„Wir sind dagegen, dass der subkulturelle Nährboden der Stadt immer mehr aufweicht“, erklärt Sören Warkentin aus dem Team des Molotow vom Bühnenwagen herab. Dieser Protest sei für alle, die die Clubkultur in Hamburg und im ganzen Land am Laufen halten. Und diese kämpferische Energie entlädt sich dann direkt beim kurzen Auftritt der Bremer Punkband Team Scheisse.
Demo vor dem Molotow: Es geht um weit mehr, als um einen einzigen Musikclub
Bei der Demo wird überdeutlich, dass es um weit mehr geht als um einen einzigen Musikclub. Es geht um das sub- und popkulturelle Herz der Stadt. Um Orte, die Identitäten prägen und Gemeinschaften stiften. Denn da auch der Elektro-Club Pal und die Spielstätten an der Sternbrücke zum Jahresende schließen, befürchtet die Szene einen unwiederbringlichen Aderlass.
„Kleinere Clubs geben unbekannten Bands Auftrittsmöglichkeiten, fördern die musikalische Vielfalt und sind gleichzeitig wichtiger Ort der Begegnung‟, sagt etwa Demo-Teilnehmerin Kerstin Holzwarth. Die Grafikdesignerin erzählt, dass das „Molo‟ sie einen Großteil ihres Lebens begleitet hat. „Hier habe ich fantastische Bands gesehen, die Nächte durchgetanzt, bin selbst aufgetreten, habe mit meinem DJ Kollektiv 45° Degrees aufgelegt – und mit vielen Menschen eine gute Zeit verlebt.‟
Und Susanne Hasenjäger, Musikexpertin und Moderatorin beim NDR, erklärt: „Ohne Orte wie dem Molotow hat Subkultur keinen Platz. Und ohne Subkultur, wie sie seit Jahrzehnten auf dem Kiez wachsen konnte, gibt es irgendwann auch keine etablierte Kultur made in Hamburg mehr.‟
Demo für das Molotow: Tausende laufen die Reeperbahn entlang
Tausende Demonstrierende laufen die Reeperbahn entlang. Vorbei am Beatles-Platz, der daran erinnert, welch internationale Strahlkraft von der hiesigen Clubkultur ausgeht. Und auch vorbei am Areal der Esso-Häuser, wo seit 2014 eine Baubrache liegt. Eigentlich hätte das Molotow in einen dort geplanten Neubau einziehen sollen.
„Man hat am Beispiel des Molotow gesehen, als der Club aus den Esso-Häusern gehen musste, dass Versprechen von Immobilienhaien nicht eingehalten worden sind‟, erklärt Soul-Musikerin Miu, die sich dem Protestzug ebenfalls angeschlossen hat. Ihrer Ansicht nach müsse die Stadt ihre Kulturorte erhalten und in Zukunft besser schützen, um einer Durchgentrifizierung entgegenzuwirken.
Molotow soll schließen: „Akute Dummheit der Stadt“
Bereits vor dem großen Protest hatten sich sowohl in Hamburg als auch überregional Kulturschaffende und Organisationen mit der Club-Institution solidarisiert. Der FC St. Pauli ruft in den sozialen Medien ebenso zur Teilnahme auf wie die Elektro-Avantgardisten von Deichkind, die Berliner Rockband Beatsteaks und die Hamburger Indie-Musiker von Kettcar.
„Wann bekommen Live-Clubs eigentlich endlich das verdiente Ansehen für unendlich gute, unvergessliche gemeinsame Stunden, für einen dicken Platz auf der internationalen Kultur-Landkarte und für die künstlerische Vielfalt, denen sie stets ein Podium bieten?‟, fragt die Band Donots in einem Appell.
Und Sänger Enno Bunger fordert seine Fans bei Facebook dazu auf, der Lindner-Hotelgruppe sowie der Stadt Hamburg zu schreiben, „was sie erwartet, wenn sie einen der wichtigsten Kulturräume Deutschlands vernichten wollen“. Das Vorhaben sei „nicht zu begreifen“, schreibt Bunger, der die Bedrohung des Molotow sowie der Astra-Stube außerdem als „akute Dummheit und Verblödung“ der Stadt bezeichnet.
Clubkombinat: „Wir wollen nicht tatenlos zusehen, wie sich eine Stadt langsam abschafft“
Das Clubkombinat Hamburg sieht den Fall Molotow als Symptom eines größeren strukturellen Problems. Der Interessenverband von Clubbetreibenden und Veranstaltenden betont in einem Statement: „Wir wollen nicht tatenlos zusehen, wie sich eine Stadt langsam abschafft und immer stiller wird! Es gilt, Kulturorte künftig besser zu schützen und der Kultur abseits der Elbphilharmonie in Hamburg mehr Gewicht und Gehör zu verschaffen.‟
Zum Hintergrund: Auch der Elektro-Club Pal und die Spielstätten unter der Sternbrücke schließen zum Jahresende. Längst ist erneut vom Clubsterben die Rede. Mit der Demo möchte das Clubkombinat daher ein kollektives Zeichen setzen „gegenüber Investoren/-innen, Politik und Verwaltung“. Dementsprechend groß ist der Schulterschluss der Hamburger Spielstätten. Vom legendären Jazz-Schuppen Birdland über den Barkassen-Club Frau Hedi bis zum Hafenklang an der Großen Elbstraße reichen die Demo-Aufrufe.
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Doch auch aus dem Senat gibt es Rückendeckung: „Ich finde, es ist schon längst an der Zeit, darüber nachzudenken, wie wir die raue Club- und Kultur-DNA von St. Pauli und Reeperbahn besser schützen. Konkret kann und will ich mir eine Kulturstadt Hamburg ohne Molotow nicht vorstellen‟, hatte Kultursenator Carsten Brosda bereits im Abendblatt-Interview erklärt. Oder, wie es die Münchner Indiepop-Band Sportfreunde Stiller bereits 2016 in einem Buch formulierte, das beim Junius Verlag über den Kiez-Club erschienen ist: „Hamburg ohne Molotow ist wie ein Matjesbrötchen ohne Fisch – nix wert!‟
Demo vor dem Molotow: Abschlussrede vom Betreiber an die Stadt adressiert
Das DJ-Kollektiv Depri Disko spielt vom Bühnenwagen „Du trägst keine Liebe in Dir“ von Echt und „Was hat Dich bloß so ruiniert“ von Die Sterne, als die Demo vor dem Lindner Hotel am Michel zum Stehen kommt. Auf einer eigens dort aufgebauten Bühne hält Molotow-Betreiber Andi Schmidt eine kurze Abschlussrede: Die Stadt Hamburg schmückt sich gerne mit dem Titel Musikstadt. Das finde ich gut, erklärt er. Doch, so führt er weiter aus: In einer Musikstadt sollte Musik stattfinden und nicht nur Bauvorhaben.
Viel Jubel aus der friedlichen Menge. 5000 sind es an der Zahl, verkündet das Clubkombinat (die Polzei spricht von einer „vierstelligen Teilnehmerzahl“). Diese eindrückliche Demonstration hiesiger Clubkultur endet mit einem energiegeladenen Auftritt von Rocksängerin Deine Cousine. Laut und mit Haltung. Und mit einem Redebeitrag von Thore Debor, Geschäftsführer des Clubkombinats. 750 Spielstätten in ganz Deutschland hätten sich zu der Initiative „Clubs are Culture“ zusammengeschlossen. Auch um die dicken bürokratischen Bretter zu bohren. Und von Hamburg gehe nun ein starkes Signal aus.