Hamburg. Carsten Brosda spricht über die Schließung von Molotow, PAL und der Sternbrücken-Clubs – und die Suche nach alternativen Standorten.

Noch wenige Tage, dann schließt sich nach fast einem Vierteljahrhundert ein wildes, lautes und alternatives Kapitel Hamburger Clubgeschichte: Das Party-Dreieck an der Stresemannstraße, Ecke Max-Brauer-Allee mit Astra Stube, Waagenbau, Fundbureau, Beat Boutique und Bar 227 müssen Anfang Januar den Bauarbeiten für die Erneuerung der Sternbrücke weichen. Auch das PAL in der Karolinenstraße macht das Licht aus. Und als wäre das noch nicht bitter genug, wurde auch dem legendären Live-Club Molotow zum 30. Juni am derzeitigen Standort am Nobistor gekündigt.

Zwar wird nach neuen Standorten oder Zwischenlösungen gesucht, im Fall von Fundbureau, Bar 227 und Beat Boutique bereits mit Erfolg, aber dennoch ist das ein Schlag für die Musikszene der Stadt mit DJs, Produzentinnen und Produzenten, Bands, Labels und Booking-Agenturen. Und natürlich für Musikfans und Nachtschwärmer. Die Stadt wird enger, es mangelt an günstig gelegenen bezahlbaren Freiräumen. Dabei sind Clubs schützenswerte Kulturorte, wie auch Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) betont und verspricht, weiterhin in Zusammenarbeit mit mehreren Behörden bei der Rettung der Sternbrückenclubs mitzuhelfen und die Umstände für Hamburger Clubbetreibende zu verbessern.

Hamburger Abendblatt: Beim letzten Berlin-Besuch war es mal wieder nicht einfach, in die Clubs zu kommen: Vor Sisyphos, about blank, Kater Blau und – natürlich nur aus Recherchegründen – KitKat war ewiges, teilweise stundenlanges Schlangestehen angesagt, Berghain konnte man gleich vergessen. Das ist in Hamburg ein seltenes Bild. Sind wir Clubkultur-Provinz?

Carsten Brosda: Auf keinen Fall! Die Szenen unterscheiden sich ja sehr. Schon die Art der touristischen Besucherinnen und Besucher der Städte ist eine ganz andere. Nach Berlin fahren viele, um gezielt Party zu machen, das ist ein weltweit wirkender Magnet. Das ist auch der Nachwendezeit zu verdanken, einer kulturellen Stunde null, gut nachzulesen in „Die ersten Tage von Berlin: Der Sound der Wende“. Dafür ist unser Nachtleben breiter aufgestellt, wir haben zum Beispiel mehr kleine Livemusikclubs. Aber wie in vielen Bereichen machen wir auch darum nicht so viel Gewese.

Das stimmt. Der vielleicht populärste Technoclub, Südpol in Hamm, ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Auch bei Leuten, die vom Berghain zumindest mal gehört oder gelesen haben.

Brosda: Manchmal gibt es ja auch Subkulturen, die gar nicht in das Licht der Öffentlichkeit wollen. Als ich noch im Ruhrgebiet gelebt habe, gab es in den 90ern in Essen auf dem Bahnhofsgelände das Baikonur, und das schien alles eher so semilegal. Das wollte man nicht an die große Glocke hängen, aber alle, die es wissen mussten, wussten, dass es das gab.

Ende März sollen Fundbureau und Beat Boutique und später auch die Bar 227 hier eine neue Heimat finden: in den Kasematten hinter den Deichtorhallen. In den 90er-Jahren wurde dort im Traxx gefeiert. Insgesamt ist geplant, zwölf Kasematten kulturell und gastronomisch wiederzubeleben.
Ende März sollen Fundbureau und Beat Boutique und später auch die Bar 227 hier eine neue Heimat finden: in den Kasematten hinter den Deichtorhallen. In den 90er-Jahren wurde dort im Traxx gefeiert. Insgesamt ist geplant, zwölf Kasematten kulturell und gastronomisch wiederzubeleben. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Carsten Brosda im Interview: „Es gehört auch zur Clubkultur, dass Neues entsteht“

Der anziehende Nimbus des Geheimnisvollen. Kein Geheimnis ist, dass für die Sternbrückenclubs die Lichter ausgehen. Nicht zu vergessen das PAL in der Karolinenstraße. Der „Bahnhof Soul“, wie Jan Delay ihn nannte, ist dann ebenso Geschichte für immer wie die legendären Clubs am Nobistor, die 2005 dem Endo-Klinik-Ausbau weichen mussten: Click, Phonodrome, Weltbühne. Diese Orte sind, so laut diese Hauptstraßen-Ecken auch sind, für immer still. Das ist ein Verlust für die Stadt.

Brosda: Ich hoffe, dass es gelingt, den Clubs an anderer Stelle Platz zu bieten, sodass die Clubkultur erhalten bleiben kann. Für drei haben wir mit viel Unterstützung der Finanzbehörde und der Sprinkenhof GmbH in den Kasematten hinter den Deichtorhallen ein Quartier gefunden, von dem ich auch glaube, dass es durch die innerstädtische Lage und die Nähe zum Oberhafen spannendes Potenzial hat. Es gehört auch zur Clubkultur, dass Neues entsteht, das ist keine Szene, die wie ein Opernhaus seit 350 Jahren am selben Ort steht und das vom Staat auch für die nächsten 350 Jahre gewährleistet sein soll. Sie ist viel fluider und auch abhängiger von der Hingabe einzelner Betreibender und vom Publikum.

Dieser fluide Zustand braucht aber Freiräume, um sich zu entfalten. Gut erreichbar, nicht mitten im Wohngebiet, aber auch nicht am Ende der Welt, bezahlbar.

Das geht so lange gut – und das ist für die Stadt die Aufgabe –, wie wir es schaffen, immer wieder aufs Neue Flächen und Zwischenräume zu finden, die bespielt werden können. Das wird natürlich immer schwieriger in einer Stadt, die sich immer mehr verdichtet und von Flächenkonkurrenz geprägt ist.

Kultursenator Carsten Brosda (SPD) ist seit Februar 2017 im Amt.
Kultursenator Carsten Brosda (SPD) ist seit Februar 2017 im Amt. © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Carsten Brosda: „Mit Geld löst man es am Ende auch nicht unbedingt“

Gute Beispiele sind das Moloch, das 2019 zumachte, weil die Wohnbebauung immer weiter herangerückt ist. Die MS „Stubnitz“ muss dauernd umziehen, weil an ihrem Liegeplatz in der HafenCity weitere Wohnwürfel aus dem Boden schießen. Die Stadtparkbühne wird immer leiser gedreht. Wie kann die Stadt denn da einwirken, ohne viel Geld in die Hand nehmen zu müssen, wir haben ja nichts?

Mit Geld löst man es am Ende auch nicht unbedingt. Zumeist sind es Rechtsfragen, die diese vielen derzeit parallel laufenden Debatten bestimmen. Wichtig und richtig ist, dafür habe ich mich ja auch eingesetzt, dass im Koalitionsvertrag der Ampel steht, dass Clubs zu Kulturorten erklärt werden. Das kann im Baurecht manches vereinfachen. Das kann aber nur im Bund geändert werden, da lobbyieren wir seit Jahren für und nicht allein. Das gleiche Problem betrifft auch Sportplätze, Kitas. Hier kann helfen, neue baurechtliche Möglichkeiten für Mischgebiete zu nutzen, in denen etwas höhere Lärmbelastungen in der Stadt möglich sind.

Dafür müssen viele Hände ineinandergreifen.

Daher haben wir uns nach einem langen Prozess im Kulturausschuss mit Expertenanhörungen darauf verständigt, einen runden Tisch einzurichten, bei dem es um Nachtleben und Nachbarschaft geht. Dazu gehören die Stadtentwicklungsbehörde, die Bezirke, das Clubkombinat, die städtischen Liegenschaftsbesitzenden. Wir wollen dabei helfen, dass Nachtkulturflächen sowohl erhalten werden als auch entstehen und geplant werden können, obwohl sich die Stadt verändert. Und wir wollen gemeinsam Mechanismen entwickeln, mit denen Konflikte frühzeitig erkannt und möglichst gemeinsam und kreativ gelöst werden.

Stichwort: Gentrifizierung.

Ja. Oft ist es so, dass in einem eher unattraktiven Areal ein Club öffnet, dieser weitere Bars und Ähnliches anlockt und junge Menschen deshalb in die Nähe ziehen. Zehn Jahre später hat sich deren Lebenssituation verändert, und ihnen erscheint in der eigenen Nachbarschaft plötzlich ein Biomarkt plausibler als der Club, dessentwegen sie mal da hingezogen sind.

Weitere zehn Jahre später wäre eigentlich ein Friedhof ganz schön.

So weit wollen wir nicht gehen. Aber dieselben Menschen wollen in unterschiedlichen biografischen Abschnitten unterschiedliche Dinge in ihrem Umfeld. Ich glaube, es würde manchmal helfen, sich daran zu erinnern, warum man zum Beispiel nach St. Pauli gezogen ist. Vieles kann baulich geregelt werden, wir sind mit Unterstützung der Bürgerschaft und den Sanierungsfonds immer unterwegs, den Clubs bei Lärmschutzmaßnahmen zu helfen. Nicht selten reicht schon eine banale andere Fenster-Abdichtung, bei Neubauten kann man gleich akustisch entkoppelt bauen. Aber Clubs entstehen meistens in einer Bruchkante, die sonst keiner will, und dann saniert sich die Stadt da ran. Da würde ich mir wünschen, dass wir die Probleme auch mit mehr Verständnis füreinander gelöst bekommen.

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Carsten Brosda: Die Suche nach Freiflächen im Sommer ist viel zu zäh

Es gibt ja noch genug Themen, für die Clubs kein Verständnis haben, die Stellplatzabgabe zum Beispiel. Eigentlich sind Clubs verpflichtet, für ausreichend Parkplätze zu sorgen, damit das Publikum nicht umliegende Wohnstraßen zuparkt. Wer keine Parkplätze hat – im Prinzip alle Clubs –, muss eine Stellplatzabgabe an den Bezirk zahlen. Das ist doch Mumpitz, wer fährt denn mit dem Auto feiern?

Diese Regelung stammt noch aus einer anderen Zeit. Insgesamt sind die Besonderheiten der Situation von Livemusikclubs aber inzwischen –­­ nicht zuletzt durch das intensive Wirken der Interessenvertretungen – weitgehend erkannt und berücksichtigt. Und was ich höre, ist auch die Praxis der Bezirksämter da viel pragmatischer geworden, und es finden sich in der Regel Lösungen. Das ist ein gutes Beispiel, wie man im Gespräch miteinander Abwägungsspielräume nutzen kann.

Das Fundbureau an der Stresemannstraße muss zum Jahresende dem Neubau der Sternbrücke weichen. Im Frühjahr 2024 soll der Club zusammen mit der Beat Boutique und der Bar 227 in den Kasematten hinter den Deichtorhallen neu eröffnen.
Das Fundbureau an der Stresemannstraße muss zum Jahresende dem Neubau der Sternbrücke weichen. Im Frühjahr 2024 soll der Club zusammen mit der Beat Boutique und der Bar 227 in den Kasematten hinter den Deichtorhallen neu eröffnen. © Lee Maas | Lee Maas

Noch ein Dauerbrenner: Freiflächen für Veranstaltungen im Sommer.

Das ist in der Tat viel zu zäh. Wir fragen fast jährlich im Stadtgebiet die Bezirke und im Hafen ab, wo aus deren Sicht öffentliche Nutzungen von Freiflächen möglich sei. Und stellen immer wieder fest: Da, wo es infrastrukturell sinnvoll ist, ist es so nah an Wohngebieten, dass Open-Air-Veranstaltungen vor allem für die Nachbarschaft nicht plausibel sind. Das verstehe ich auch. Nicht jeder freut sich, wenn sich im Sommer vor dem Fenster plötzlich eine Bühne aufbaut. Und weiter entfernt von Wohngebieten kommen Themen wie Naturschutz ins Spiel, jeder weiß, wie eine Wiese nach drei Konzerten aussieht – die ist erst mal weg. Der große Wunsch des Clubkombinats ist, eine feste freie, jährlich bespielbare Fläche zu haben. Da bleiben wir weiter dran.

So wie das Dockville-Areal mit Habitat, Vogelball, Spektrum, Artville und weiteren Events in Wilhelmsburg.

Ja, aber solche Areale finden sich zumeist in Industriegebieten. Im Hafen. Wo oft Dauerbetrieb herrscht und Gefahrengut und andere Fracht umgeschlagen wird, wo es rechtlich oft nicht geht und wo man sich manchmal auch fragen muss: Will ich da jetzt wirklich feiern? Wir werden nicht aufgeben, zusammen mit den Clubs diese Fläche zu finden, aber ich muss auch leider sagen: Wir haben sie noch nicht gefunden.

Carsten Brosda: „Nachtbürgermeister“ macht nur Sinn mit Kompetenzen

Was halten Sie vom kürzlich von der FDP eingebrachten Vorschlag eines Nachtbürgermeisters als Schnittstelle zwischen Stadt und Clubszene?

Das ist ein gutes Thema für unseren runden Tisch. Mannheim zum Beispiel hat damit gute Erfahrungen gemacht. Man braucht so etwas aber nicht, wenn das einer dieser Beauftragten wird, die am Ende nur ein bisschen so tun sollen, als ob sich was verändert, weil man ja einen Beauftragten geschaffen hat. Damit sind noch keine Probleme gelöst. Der bräuchte Kompetenzen. Da baue ich auf den runden Tisch, an dem ja alle Menschen mit Expertise und Kompetenzen an einem Tisch sitzen sollen. Und die Interessenvertretung bekommen die Clubs bisher ganz gut hin. Hilfreich wären ordentlich definierte Schnittstellen zwischen den Clubs und der Verwaltung für die jeweiligen Themen. Wer ist für Sanierungen zuständig, wer für Lärm, Beschwerden, und wie bekommen wir gemeinsam die Probleme gelöst.

Der Livemusikclub Astra Stube eröffnete 1999 unter der Sternbrücke.
Der Livemusikclub Astra Stube eröffnete 1999 unter der Sternbrücke. © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Und dann ist da noch das Publikum. Man kann viel am runden Tisch besprechen und am Schreibtisch planen. Am Ende entscheiden weder Politik noch Clubbetreibende, ob ein Konzept aufgeht.

Das stimmt. Da wäre es gut, wenn es gelänge, noch mehr an anderen Ecken der Stadt abseits von St. Pauli und Schanze zu entwickeln. Östlich des Hauptbahnhofs gibt es sehr nahe innerstädtische Räume, in Hammerbrook zum Beispiel, wo so etwas gehen könnte.

Carsten Brosda: Die Partyszene konzentriert sich zu sehr auf Kiez und Schanze

Das ging ja auch schon in der Vergangenheit ein wenig. Manche erinnern sich vielleicht noch an Clubs wie Front, Pleasure Dome, Zillo, Klubsen.

Ja, aber mir wurde oft erzählt, wie wenig Lust die Leute hatten, sich in den Bus Richtung Hammerbrook oder in die Bahn zum Berliner Tor zu setzen. Da wünsche ich mir in dem Sinne ein wenig mehr Berlin, Treptow ist ja auch nicht gerade Berlin-Mitte. Es wäre gut, wenn es gelänge, die Clubkultur Richtung Osten zu ergänzen. Auch rund um die Kasematten am Deichtor kann sich noch vieles bewegen.

Offensichtlich sollten Clubs immer Umzugskartons vorrätig haben: Gerade wurde dem Molotow am Nobistor zum 30. Juni 2024 gekündigt, um Platz für ein Boutique-Hotel zu machen. Eigentlich war der Standort bereits die zweite Zwischenlösung seit 2014, der geplante Neubau auf dem ehemaligen Esso-Hochhäuser-Areal ist immer noch eine Baubrache. Man gewinnt wirklich den Eindruck: Das große Clubsterben hat begonnen.

Die Nachricht von der Kündigung des Molotow durch den Eigentümer ist wirklich ein harter Schlag. Es ist wichtig, dass sich alle noch einmal klarmachen, warum der Kiez auch für Touristen so attraktiv ist: Gäste kommen nicht wegen eines Hotels, sondern brauchen einen Schlafplatz, weil sie Kultur und Clubs erleben wollen. Ein Hotel mehr auf dem Kiez verbessert deshalb überhaupt nichts, ein Club weniger aber verschlechtert sehr viel. Ich glaube, das verstehen am Ende auch Investoren. Ich finde, es ist schon längst an der Zeit darüber nachzudenken, wie wir die raue Club- und Kultur-DNA von St. Pauli und Reeperbahn besser schützen. Konkret kann und will ich mir eine Kulturstadt Hamburg ohne Molotow nicht vorstellen. Wir sind daher bereits mit den Betreibern des Clubs in Kontakt und werden uns Anfang des Jahres mit möglichst allen Akteuren treffen, um eine Perspektive für den Club zu finden. Wieder einmal.

Wo steht die Clubkultur in fünf Jahren, schlägt das Pendel eher in Richtung Berlin oder Richtung München aus?

Ich hoffe, es geht weiter Richtung Hamburg.

Clubawards Am 25.1. werden zum 13. Mal die Hamburger Clubawards im KENT Club vergeben. Bis zum 21.1. kann für den „Lieblingsclub 2022/2023“ unter clubkombinat.de/clubaward abgestimmt werden.