Hamburg. Bald rückt der Räumdienst an: Der legendäre Sternbrücken-Club lässt es mit Livemusik noch einmal krachen. So war der Abend.
„Sauft uns bitte leer!“, ruft Betreiber Daniel Höötmann von der flachen Bühne der Astra Stube hinab. Alles muss raus an diesem letzten Konzertabend des legendären Sternbrücken-Clubs. Im neuen Jahr rückt der Räumdienst an. Bis zum 12. Januar müssen Höötmann und sein Team ihren heiß geliebten Laden final verlassen. Doch zum allerletzten Mal schallt noch einmal Livemusik durch die charismatische Butze. Es rappelt noch einmal im Karton. Bis ein weiteres Stück Hamburger Clubkultur Geschichte ist.
Astra Stube: So war der letzte Konzertabend im Sternbrücken-Club
„Und was wird von uns bleiben, was wird mit uns geschehen?“, singt Deniz Jaspersen mit seiner Indierock-Band Herrenmagazin. Die Zukunft ist offen. Auch für die 1999 eröffnete Astra Stube, die nun nach einem neuen Standort sucht. Was jedoch unwiederbringlich verloren geht, sind all die Schichten an Farbe, Schweiß und Glück, die in den Wänden stecken.
Die Aufkleber auf den Klospiegeln, die kaum einen Blick auf sich selbst freigeben. Und wie die Lichtflecken der drei Discokugeln über die Köpfe streifen. Eine ist an einem Lüftungsrohr angebracht. Dahinter ein Relief von einem Zweimaster. Und daneben die rot leuchtende Bar mit ihren Flaschen, Schnapsgläsern und einem Schild: „No Racism“ plus Herzchen. Kein Rassismus.
Die Haltung, sie wird sich weitertransportieren. Und sie ist durch unzählige Auftritte und Abende gefestigt worden. Durch das Herzblut des Teams. „Die Astra Stube war nur möglich durch die Leute, die hinter ihr stehen“, sagt Höötmann mit Nachdruck.
Eine räudige Ecke, die von innen leuchtet
Doch der unnachahmliche Blick aus den beiden Panoramafenstern auf die Kreuzung Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße, der wird nur noch in der Erinnerung bleiben. Wie die weißen Scheinwerfer des Autoverkehrs in den Club hineinscheinen. Und wie die roten Rücklichter von dannen ziehen. Urbane Spezialeffekte.
Kaum an einem Ort ist die Stadt und ihre Architektur so selbstverständlich mit der Kultur verwachsen. Eine räudige Ecke, die von innen leuchtet.
„Ist doch wärmer als ich dachte“, sagt Jaspersen angesichts des dicht bepackten Ladens. Nur ein paar Dutzend Gäste passen in die Astra Stube. Eine dicke Traube an Menschen steht bei geöffneter Türe davor. Aus einem Seitenfenster hinter der Bar verkauft das Tresenpersonal kühle Getränke nach draußen. Alles muss raus. Auch die Emotionen. Sauna, Umarmungen und nichtsdestotrotz ein Sinn für Humor.
Stoischer Gesang, quengelige Melodica-Klänge, verschleppter Rocksound
Herrenmagazin-Schlagzeuger Rasmus Engler präsentiert seine Band Adams Kostüm. 23 Jahre hätten sie darauf gewartet, endlich auftreten zu dürfen. Wer‘s glaubt. Ein Gewusel auf der Bühne. Und los geht die rumpelige Fahrt. Stoischer Gesang, quengelige Melodica-Klänge, verschleppter Rocksound. Engler fragt, wer nicht bei der „Molotow muss bleiben“-Demo am Nachmittag war. Niemand hebt die Hand.
Dieser Sonnabend ist ein emotionaler Tag für die Hamburger Clubszene. Erst der Protestzug für den Erhalt des Kiezclubs mit 5000 Menschen, dann der Abgesang auf die Clubs, die dem Abriss der Sternbrücke weichen müssen.
Wenn die kleinen Off-Orte verschwinden, an denen Newcomer sich ausprobieren können, wirkt sich das auf die gesamte Hamburger Kultur aus. Und die Stadt muss sich die Frage stellen: Was schätzen wir wert? Was inspiriert uns? Und wie wollen wir zusammenleben?
Astra Stube: Alles muss raus
In der Astra Stube spielt die Hardcore-Band Ludger ein sehr kurzes Set mit sehr kurzen Songs, die dafür umso inbrünstiger geschrieen werden. Alles muss raus. Und dann feiern die Fans das Indierock-Trio Junges Glück, das sich eigentlich 2007 aufgelöst hat. Eine jener Hamburger Bands, die mit ihren klugen wie einnehmenden Songs lange nachhallen. Und deren Existenz ohne Clubs wie die Astra Stube nicht denkbar wäre. Sie sind die Essenz des Musiklebens der Stadt.
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Band und Fans stehen fast Nase an Nase. Auf Augenhöhe. Die Musik ein schönes Dahinpreschen. „Und daraus neue Formen zu erschaffen“, singt Niclas Breslein von Junges Glück eindringlich. Neues wird immer weiter entstehen in der Hamburger Clubkultur. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen. Denn wer kann der Szene eine nachhaltige Erschöpfung verdenken.
Sich stets neu erfinden. Und marode Viertel dann bitte mit buntem innovativen Spirit aufwerten. Natürlich nur zur Interimsnutzung, bis der nächste Investorentraum die stadtplanerische Brille rosarot färbt. Und während der Pandemie selbstredend die Menschen dann noch mit Livestreams bei Laune halten.
Astra Stube: „Reißen wir die Bühne ab!“
„Ich habe schon viele Clubs dichtmachen gesehen – Weltbühne, KdW, Schilleroper“, erklärt Deniz Jaspersen während des zweiten Herrenmagazin-Sets an diesem Abend. „Es ist nicht egal, es ist scheiße.“ Zum wuchtigen Finale bringt es nun auch nichts, noch groß um den heißen Brei herumzureden. Dann schon lieber beherzt alles krachen lassen. „Reißen wir die Bühne ab!“, ruft Gitarrist König Wilhelmsburg. Und die Menge singt die Songs inbrünstig mit. Zeilen wie „Was treibt euch an / was gibt euch Recht / dass ihr auf offenen Gräbern tanzt?“
Handys hoch, Herzen auf – die letzten Momente aufsaugen. Alles ist nah. Ein Beben im Magen. Eine Träne im Knopfloch. Ein letztes Trommel-Dreschen. Ein letztes Wabern der Gitarre. Und das war‘s. Bye-bye, Astra Stube!