Hamburg. Vor der Erkältungssaison fehlen Arzneien für Kinder und chronisch Kranke. Apotheker und Ärzte warnen. Eine gute Nachricht gibt es.
488 waren es im Juli, mittlerweile sind es 512: Bei so vielen Medikamenten gibt es Lieferengpässe in Deutschland. So steht es auf der offiziellen Liste des Bundesgesundheitsministeriums von Karl Lauterbach (SPD). Man könnte meinen, dass man deshalb auf vergleichbare Pillen und Säfte zurückgreifen kann. Doch die gibt es auch nicht. Arzneien gegen Bluthochdruck, Antibiotika für Kinder, Zytostatika für Krebspatienten – Lieferengpässe, wohin man klickt.
So ergeht es Hamburger Ärztinnen und Ärzten sowie den Apothekern Tag für Tag. „Wir fragen bei einigen Medikamenten täglich ab, ob sie verfügbar sind“, sagt Kinderärztin Dr. Charlotte Schulz aus Hoheluft-Ost. Dabei hatte Lauterbach aufgrund der katastrophalen Infektionslage im vergangenen Winter ein Paragrafenwerk erlassen, das da heißt „Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“.
Wenige Gesetze zeigen so eindrücklich wie dieses, dass sich die Realität einfach nicht der Gesundheitspolitik anpassen will.
Apotheken: Medikamente fehlen – was Hamburger Kinderärzte jetzt raten
Das hat schon jetzt Folgen für die Hamburgerinnen und Hamburger. Die Zahl der Infektionen steigt wieder, ob es grippale Infekte sind, immer noch und wieder Corona oder RSV. Das ist das Respiratorische Synzitial-Virus, das Schleimhäute und Atemwege befällt und besonders für Säuglinge und Kleinkinder gefährlich werden kann und ebenso ein Risiko ist für Erwachsene mit Herz- oder Lungenschwächen. Hier ist schnelles Handeln erforderlich. Moderne Schnelltests geben Auskunft über die Art der Erkrankung, auch PCR-Tests sind hier häufig angezeigt. Und es braucht eben Medikamente, um die Erkrankung im Zaum zu halten.
Bei Kindern sollte man „sorgsam mit Antibiotika umgehen“, sagt Schulz. Die Kleinsten brauchen passgenaue Antibiotika – die gerade nicht verfügbar sind. „Wir schauen mit Sorge auf den Herbst“, sagt Schulz. Apothekerin Dorothea Metzner aus Steilshoop sagte, die Versorgungslage mit wichtigen Arzneien habe sich nicht nur nicht verbessert, sondern gar verschlimmert. Daran habe auch Lauterbachs Gesetz nichts geändert. „Es ist ein Kampf“, sagt sie über die Versuche, für ihre Kundinnen und Kunden die richtigen Produkte zu beschaffen.
Hamburger Apotheken mit Protesttag am 27. September
Es gebe jetzt Plastikfläschchen mit Pulver, um die einzelnen Dosen Amoxicillin (ein Antibiotikum) für Kinder aufzubereiten. Es gebe nicht einmal eine Markierung auf der Flasche, bis wohin aufgefüllt werden müsse, und keine Dosierhilfen. Das könne dazu führen, dass Kinder zu wenig oder zu viel Antibiotika bekämen. Also müssen die Apotheker wieder ran, nicht nur mehr beraten, sondern am besten auch beim Anrühren helfen.
Während der Bundesgesundheitsminister am Donnerstag in Berlin seine Pläne zur Bekämpfung des Arzneimangels vorstellte (Bericht auf den Politikseiten), fühlen sich Hamburgs Pharmazeuten von Lauterbach bestenfalls vergessen, aber im Prinzip richtiggehend ignoriert. Wie die Praxisärzte beklagen sie höhere Personalkosten, gestiegene Mieten und die generelle Inflation, während sie die „Preise“ für ihre Leistungen nicht erhöhen können. Auf eine neu eröffnete Apotheke kommen in Deutschland zehn schließende. Metzner will sich auch am 27. September an einem neuerlichen Protest beteiligen. Dann sollen bundesweit die Apotheken für einen halben Tag die Türen zusperren.
Medikamente: Preise in Deutschland zu niedrig?
Lauterbachs Gesetz zielte auch auf den Pharma-Großhandel, der einen Vorrat für den Winter anlegen sollte. Er sagte: „Übertriebene Ökonomisierung hat die Arzneimittelversorgung mit patentfreien Medikamenten über die letzten Jahre deutlich verschlechtert. Wir korrigieren das und ändern die Rahmenbedingungen so, dass Deutschland als Absatzmarkt für Arzneimittel wieder attraktiver wird.“ Doch die benötigten Medikamente sind überhaupt nicht verfügbar.
Das schrieb der Bundesverband der Pharma-Großhändler (Phagro) auch in einem Brief an Lauterbach. Dort heißt es: Bei 85 Prozent der in der kommenden Erkältungssaison „dringend benötigten Arzneimittel reichen die derzeit verfügbaren Bestände nicht einmal für zwei Wochen“. Die Versorgungssituation sei „äußerst prekär“. Selbst wenn man nicht in Deutschland zugelassene Medikamente einführen würde, könne das „nur im Einzelfall“ die Lage verbessern.
Der Verband forderte Lauterbach auf, „die Ursachen der Liefer- und Versorgungsengpässe zu bekämpfen, indem Sie die pharmazeutische Industrie durch eine Förderung der Herstellung und Entwicklung von Arzneimitteln unterstützen“. Die meisten Präparate kommen aus Indien oder China. Am Ende müsse für eine ausreichende Versorgung auch mehr bezahlt werden.
„Süd-Schiene“ gegen Karl Lauterbach
Andere Bundesländer haben gehandelt. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sammelte seine Amtskollegen aus Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz um sich, um eine „Süd-Schiene“ gegen den Arzneimittelmangel zu schmieden. Diese Allianz erklärte, Lauterbachs Maßnahmen reichten nicht. Sie wollen die „heimische pharmazeutischen Produktion“ stärken, die Forschung mit „wirtschaftspolitischen Maßnahmen“ unterstützen, mehr mit der Pharmabranche reden – und schlussendlich auch mehr zahlen. Denn die Rabattverträge der Krankenkassen für Arzneimittel sehen sie als Hindernis für eine ausreichende Versorgung.
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Diese Versorgung fängt im Kleinen an: Hamburger Kinderärzte empfehlen Eltern bereits, im Medikamentenschrank schon einmal vorsorglich nach Ibuprofen-Saft und Nasenspray zu schauen. Fiebersäfte generell sind derzeit besser lieferbar als zuletzt.
Medikamentenmangel: Grippewelle 2023 traf ungewöhnlich viele junge Menschen
Und in der besorgniserregenden Grippewelle aus Australien, die die nördliche Erdhalbkugel bald erreichen dürfte, schlummert eine gute Nachricht: Dem Verband der Kinderärzte in Hamburg ist es gelungen, mit dem Gros der Krankenkassen zu vereinbaren, dass auch für gesunde Kinder eine Grippeschutz-Impfung bezahlt wird. Die australische Influenza hat in den vergangenen Monaten vor allem Jüngere in einem selten dagewesenen Ausmaß mit schweren Erkrankungen getroffen.
Der Impfstoff wird aktuell in die Hamburger Praxen geliefert. Auch zertifizierte Apotheken können gegen Grippe impfen. In diesem Jahr sollte man es früher tun, als bislang gewohnt, also möglicherweise schon Ende September, Anfang Oktober. Verbandsvorsitzende Dr. Claudia Haupt sagte: „Wer den Wunsch hat, sein Kind impfen zu lassen, kann das kostenlos tun.“