Hamburg. Zahl der Infekte steigt drastisch. Vor allem Kinder betroffen – woran das liegt und ob Doppelimpfungen sinnvoll sind.

Ausgerechnet am ersten Schultag nach den Herbstferien häufen sich wieder die Ungewissheiten für Kinder, Eltern und Experten. Wie geht es weiter mit der seit Wochen grassierenden Erkältungswelle? Ist es in den meisten Fällen doch Corona? Rollt die Grippe jetzt im Tandem mit Sars-CoV-2, der gefürchteten und aus Australien bereits berüchtigten „Twindemie“ an? Was sich „down under“ an Influenza entwickelt, kommt normalerweise in der Wintersaison der Nordhalbkugel auf uns zu. Doch was ist schon normal in Pandemiezeiten?

Die Kleinsten sind mal wieder als Erste betroffen: Was Kinderärztin Dr. Charlotte Schulz in der Gemeinschaftspraxis in Hoheluft jeden Tag vor sich sieht, kann das eine oder das andere sein. Sie spricht von extrem vielen erkrankten Jungen und Mädchen. „Die Kinder haben derzeit grippale Virusinfekte durch zum Beispiel Rhino-, Adeno- oder RS-Viren. Das ist für viele kleine Kinder tatsächlich ganz schwierig und derzeit häufiger Einweisungsgrund in die Klinik als Corona.“

Grippe und Corona: Krankenhäuser "voll mit Patienten“

Die Krankenhäuser seien bereits „bis unter die Decke voll mit Patienten“. Insbesondere Kinder unter fünf Jahren hätten im Moment mit Atemwegserkrankungen zu kämpfen. Schulz’ Erklärung: Durch Lockdown und Corona-Schutzmaßnahmen seien Kleinkinder in den vergangenen beiden Wintern kaum den verschiedenen Erkältungserregern ausgesetzt gewesen.

„Das Immunsystem kennt die Erregertypen nicht und hat mit einer Infektion mehr zu kämpfen. Die Anfälligkeit für Erkältungen ist somit deutlich höher.“ Und die Erkältungswelle habe 2022 extrem früh eingesetzt. Sie und ihre Kollegen hätten bereits im Oktober mit ähnlich hohen Zahlen zu kämpfen wie sonst in den Wintermonaten Dezember bis Februar.

Grippe und Corona: Symptome mit Medikamenten lindern

Von den Kindern wandert ein Infekt auf die Eltern, die oft ihre Kolleginnen und Kollegen beglücken. Und schon geht ein Kreislauf wieder los, den alle Corona-Geplagten bereits hinter sich wähnten. Die Frage der Kinderbetreuung stellt sich bei einer Erkrankung, ob Kitas und Schulen ausreichend Personal haben – und am Ende die Arztpraxen und Krankenhäuser. Schulz’ Hausarztkollege Dr. Björn Parey, Vizevorsitzender der Vertreterversammlung in der Kassenärztlichen Vereinigung, sieht noch immer eine Mehrheit an Corona-Infektionen bei Verdachtsfällen, die mit Fieber oder vermeintlichen grippalen Infekten kommen.

Er hält in allen Fällen eine fünftägige Isolation mit viel Ruhe für sinnvoll. Bei Covid oder Grippe gehe es darum, die Symptome zu lindern mit Paracetamol oder Ibuprofen, Halsschmerztabletten zu nehmen oder Schleimlöser – je nach Bedarf. Ausreichendes Trinken von mehreren Litern Wasser am Tag solle nicht vergessen werden. Das Händewaschen, Abstandhalten und Masketragen helfe in jedem Fall, die Ausbreitung zu unterbrechen.

Doppelimpfung möglicherweise sinnvoll

Und da man nicht wisse, ob eine Grippewelle im Oktober oder erst im April in Hamburg zuschlage, sei möglicherweise eine Doppelimpfung sinnvoll: eine Auffrischung gegen Corona, eine gegen Grippe. Die vierte Corona-Impfung ist über 60-Jährigen sowie Risikopatienten mit erheblichen Vorerkrankungen angeraten. Die Ständige Impfkommission wird diese Empfehlung absehbar nicht ändern.

Auch Kinder können sich gegen die Grippe impfen lassen, wie Ärztin Schulz sagt. „Leider werden in diesem Jahr die Kosten der Impfung durch die Krankenkassen aber nur bei spezieller Indikation erstattet.“

"PCR-Test ist wesentlich zuverlässiger"

Die Kosten sind immer ein Thema. Doch es lohnt sich, genau hinzuschauen. Darauf macht Laborarzt Dr. Jens Heidrich aufmerksam, der mit seinem Team nach den Herbstferien vermutlich wieder anteilig mehr positive Tests herausfischen wird (zuletzt 68,7 Prozent aller Proben, bundesweit 53 Prozent). Das war bereits nach den Sommerferien so. Aber auch vor den Herbstferien war ein hamburgweiter Anstieg der PCR-bestätigten Neuinfektionen zu sehen, denn es wurde mehr getestet.

Heidrich sagt, es sei angesichts der Corona-Müdigkeit verständlich, wenn Patienten wie Ärzte weniger Bereitschaft zeigten, PCR-Tests zu veranlassen. „Aber es bleibt dabei, der PCR-Test ist wesentlich zuverlässiger und nur mit molekulargenetischer Methodik im Labor kann getestet werden, wann und ob sich eine neue Mutante entwickelt.“ Covid bleibe die „tödlichste aller Infektionskrankheiten, zumindest in den letzten 100 Jahren“.

Grippe und Corona: „Teuer ist die Behandlung der Infizierten"

Bei der hohen Corona-Dunkelziffer und ohne allgemeine Tests weiterhin einen verlässlichen Indikator für das Infektionsgeschehen zu haben, scheint sinnvoll. Im Vergleich zu den Gesamtausgaben im Gesundheitswesen, sagt Heidrich, seien die Laborkosten von 2019 auf 2020 nur von 2,76 auf 2,88 Prozent daran gestiegen. „Teuer ist die Behandlung der Infizierten und der wirtschaftliche Verlust durch den Arbeitsausfall der Erkrankten.“

Heidrich sieht nach wie vor das Spannungsfeld von Medizin und Politik. „Als Arzt mit dem Auftrag, die Menschen zu heilen und zu schützen, kann man daher nur zur Maske und häufigen Testungen auf höchstem Niveau raten. Als Politiker mit Verantwortung für das (wirtschaftliche) Gesamtwohlergehen und den Frieden in der Gesellschaft muss man gegebenenfalls andere Entscheidungen treffen.“ Seit Jahresbeginn dominiert in Deutschland die Omikron-Variante des Corona­virus. Zurzeit sind 96 von 100 Fällen die Omikron-„Unterlinie“ BA.5, gegen die es einen darauf abgestimmten Impfstoff gibt.

Lässt das Rückschlüsse auf die Pandemie zu? Heidrich meint: „Viele Experten lagen in ihren Vorhersagen leider falsch, weil sich das Virus dann doch anders verhielt als erwartet.“