Hamburg. Nach dem Amoklauf mit acht Toten gerieten Senator, Polizeipräsident und Waffenbehörde unter Druck. Nun ziehen sie Konsequenzen.
Die Luft war dünn im Raum 151 des Rathauses, als Innensenator Andy Grote und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer am Dienstagmittag nach einer guten Stunde die Landespressekonferenz beendeten. Das lag allerdings weniger an den kritischen und zahlreichen Nachfragen über das Maßnahmenpaket rund um die zuletzt in die Kritik geratene Waffenbehörde, das Grote und Meyer fast 100 Tage nach dem schlimmsten Amoklauf der vergangenen Jahrzehnte in Hamburg vorgestellt hatten, sondern viel eher an der drückenden Hitze.
Doch auch bei deutlich kühleren Temperaturen im April war die Luft im Raum 151 schon einmal dünn für die beiden Protagonisten gewesen, als sie im ersten Innenausschuss nach dem dramatischen 9. März Rede und Antwort stehen mussten. Kurz zuvor hatte der Amokläufer Philipp F. sieben Menschen in einem Gemeindezentrum der Zeugen Jehovas in Alsterdorf erschossen, ehe er sich selbst richtete.
Amoklauf in Alsterdorf: Neue Regeln für die Waffenbehörde
Besonders die Abläufe in der Waffenbehörde waren bereits im April in die Kritik geraten, weil Wolf K., ein Mitarbeiter der Waffenbehörde, zunächst mündlich und anschließend auch durch einen anonymen Brief über den späteren Amokläufer gewarnt worden war. Wolf K. ist mittlerweile freigestellt worden – zuletzt hatte sogar die Generalstaatsanwaltschaft mitgeteilt, dass sie im Zusammenhang mit der Waffenerlaubnis des Attentäters gegen den Mitarbeiter der Waffenbehörde wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt.
„Die Amoktat vom 9. März hat unsere Stadt erschüttert. Solche gravierenden Ereignisse müssen immer Anlass sein, Strukturen und Verfahren kritisch zu hinterfragen“, sagte nun also Grote am Dienstagmittag im Rathaus. In dem vorgestellten Maßnahmenpaket erläuterten er und Meyer, dass es von nun an einen neuen standardisierten Umgang für die Waffenbehörde gebe. Dass ein psychisch auffälliger Mensch trotz Warnungen legal eine Waffe besitzt, soll nicht mehr vorkommen können. „Insbesondere ist die verbindliche Einbeziehung des Landeskriminalamts (LKA) in die Risikobewertung vorgesehen“, heißt es in dem dreiseitigen Paper.
Ein weiterer Punkt ist die Festlegung klarer Compliance-Regeln für Mitarbeiter der Waffenbehörde, die zukünftig nicht mehr nebentätig in einem Hamburger Schießclub oder Schützenverein arbeiten dürfen. Zur Erinnerung: Wolf K. war nebentätig beim Hanseatic Gun Club beschäftigt, den auch der spätere Amokschütze besucht hatte. Außerdem soll die Waffenbehörde von 27 auf 33 Mitarbeiter aufgestockt werden. Meyers Ziel: Statt bisher zwei sollen zukünftig drei Teams der Behörde Waffenkontrollen durchführen. 300 Kontrollen im Monat sollen möglich sein. Insgesamt soll sich die Quote der tatsächlich durchgeführten Kontrollen sogar verdoppeln.
Polizeipräsident Meyer: Waffenbehörde wurde kritisch überprüft
„Mit dem Ziel, eine solche Tat in Zukunft frühzeitig zu erkennen und ihre Wahrscheinlichkeit möglichst weitgehend zu reduzieren, haben wir die vergangenen Wochen und Monate genutzt, um die Geschehnisse um diese Amoktat intensiv aufzuarbeiten“, sagte der Polizeipräsident. „Dabei haben wir verschiedenste Abläufe um die Waffenbehörde überprüft, kritisch hinterfragt und Veränderungen vorgenommen.“
So wurde auch erläutert, dass das Landeskriminalamt in Zukunft unterstützend tätig sein soll, unter anderem durch den Aufbau eines Kompetenzzentrums. „Fallbegleitende Beratungen, Fallanalysen sowie die Risikobewertung sollen zukünftig im LKA gestärkt werden“, heißt es in dem dreiseitigen Maßnahmenpaket. Und weiter: „Die Erfahrungen aus den Ereignissen von Brokstedt, Deelböge und anderen auch bundesweiten Fällen zeigen, dass die Kompetenz ausgebaut und gebündelt werden muss.“
Hamburgs Innensenator Grote fordert Verschärfung des Waffenrechts
Innensenator Grote forderte zudem erneut eine Verschärfung des Waffenrechts als Konsequenz des Amoklaufs. „Hamburg hat neben den beabsichtigten Änderungen, die das Bundesinnenministerium auf den Weg gebracht hat, zusätzliche Vorschläge zur Verschärfung des Waffenrechts eingebracht“, sagte Grote, dessen Vorschläge bei der Innenministerkonferenz in der vergangenen Woche allerdings keine Mehrheit fanden. „Leider sind wir am Widerstand der CDU-Kollegen gescheitert.“
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Auf wohlmeinende Reaktionen aus der Politik musste Grote allerdings auch am Dienstag vergeblich hoffen, nachdem die einstündige Landespressekonferenz vorbei war. Besonders krass formulierte Deniz Celik, der innenpolitische Sprecher der Linken, seine Kritik am vorgestellten Maßnahmenpaket: „Dass erst sieben Menschen getötet werden mussten, bis standardisierte Verfahren bei Hinweisen in der Waffenbehörde implementiert und Interessenkonflikte überprüft werden, ist desaströs. Diese Unzulänglichkeiten sind ein Versagen des Polizeipräsidenten und des Innensenators, das sich durch die Einführung längst überfälliger Maßnahmen weder kaschieren noch rechtfertigen lässt.“
FDP und Linke werfen Grote und Polizei in Hamburg Versagen vor
Auch die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein fand deutliche Worte: „Der rot-grüne Senat leistet sich heute zum zweiten Mal nach einer schrecklichen Gewalttat eine traurige Versäumniskorrektur: Schon nach dem Morden von Brokstedt musste die Justizsenatorin neue Standards des Informationsaustausches und der Zusammenarbeit verkünden, von denen jeder Laie erwartet hätte, dass sie längst gelten. Jetzt stellt Innensenator Grote ein sogenanntes Maßnahmenpaket vor, mit dem eine bisher offenbar unterbesetzte, mangelhaft vernetzte und nicht ausreichend qualifizierte Waffenbehörde arbeitsfähig gemacht werden soll.“
Die Kritik der Opposition ließ Polizeipräsident Meyer an sich abperlen: „Auch wenn die Aufarbeitung noch nicht vollständig abgeschlossen ist, haben wir inzwischen wichtige Maßnahmen identifiziert. Dort, wo wir bereits jetzt besser werden können, wollen wir besser werden, und das tun wir mit diesem Maßnahmenpaket.“
Amoklauf Alsterdorf: Grote räumte Fehler bei der Waffenbehörde ein
Knapp sechs Wochen ist es nun schon her, dass er und Grote das letzte Mal öffentlich zur Waffenbehörde und deren Wirken rund um den Amoklauf Stellung beziehen mussten. Beim zweiten Innenausschuss zum Thema hatte sich Grote selbst gefragt: „Hat die Waffenbehörde alles richtig gemacht?“ Seine damalige Antwort auf die eigene Frage: „Das ist nicht so. Mit dem Wissen von heute ist nicht alles so gelaufen, wie wir uns das heute vorstellen wollen.“
Nun haben Innenbehörde, Waffenbehörde und Polizei also reagiert. Und trotzdem bleiben auch weiterhin Fragen offen – auch nach der einstündigen Landespressekonferenz. Weitere Antworten werden Grote und Meyer aber schon an diesem Donnerstag geben müssen. Dann erneut im Innenausschuss, der sich nun schon zum dritten Mal in Folge mit der entsetzlichen Tat von Alsterdorf beschäftigt. Was schon jetzt klar ist: Es wird heiß werden.