Hamburg. Nach dem Amoklauf von Alsterdorf organisierte Arne Dornquast schnelle Hilfe. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft am runden Tisch.

Der eckige Tisch, an dem Hamburgs vielleicht wichtigster runder Tisch vorgestellt wird, ist zunächst einmal nur eines: nicht rund. Trotzdem nehmen Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer und Arne Dornquast, ihr Amtsleiter für Arbeit und Integration, an diesem eckigen Tisch sehr gerne Platz, um am Dienstagmittag im Saal 151 im Hamburger Rathaus zum ersten Mal etwas detaillierter eine nicht nur aus ihrer Sicht ziemlich runde Sache zu erklären: die Position des Hamburger Opferbeauftragten und seinen runden Tisch.

„Der Opferbeauftragte hilft schnell und unkompliziert. Mit dieser Institution bieten wir den Hamburgerinnen und Hamburgern eine professionelle Versorgung für den Fall eines Großschadensereignisses“, sagt Schlotzhauer, die sich vorab noch für das sperrige Wort im Behördendeutsch entschuldigte. Denn ein Großschadensereignis ist zunächst einmal eines: ein ganz schlimmes Ereignis mit ganz vielen Opfern und Betroffenen. Beispiel Nummer eins: die Messerattacke von Brokstedt, Beispiel Nummer zwei: der Amoklauf von Alsterdorf.

Amoklauf Alsterdorf: Dornquast und runder Tisch sorgten für schnelle Hilfe

„Im Kern geht es darum, dass wir den Menschen, die gerade schlimmes Leid erfahren haben, möglichst schnell Unterstützung und Hilfe anbieten wollen“, sagt Dornquast, der seit Sommer 2021 neben seiner Rolle als Amtsleiter für Arbeit und Integration auch die Position des Hamburger Opferbeauftragen ausfüllt – und vor allem in den Stunden, Tagen und Wochen nach dem Amoklauf bei den Zeugen Jehovas in Alsterdorf gebraucht wurde.

Dornquast und Schlotzhauer werfen an diesem Dienstagmittag Folie um Folie an die Wand, erklären Arbeitsprozesse und theoretische Abstimmungsentscheidungen. Doch wer wirklich wissen will, wie die praktische Hilfe wirkt, der muss bei Michael Tsifidaris nachfragen. „Die Behörden und ihre Mitarbeiter haben mit sehr viel Fingerspitzengefühl geholfen“, lobt der Hamburger Sprecher der Zeugen Jehovas, der derzeit mit dem Campmobil durch Südschweden tourt.

Dornquast wurde noch in der Nacht informiert

Im Urlaub war auch Arne Dornquast, als er in der Nacht vom 9. auf den 10. März von der Polizei angerufen wurde. Der gebürtige Hamburger machte sich am nächsten Morgen auf den Weg zurück in die Heimat, um im Gespräch mit Tsifidaris erste Hilfsmaßnahmen und Angebote zu besprechen. Nur vier Tage nach der schlimmen Tat, bei der sieben Menschen erschossen wurden, ehe sich der Täter selbst richtete, tagte bereits der erste runde Tisch. Neben Dornquast und Tsifidaris, die an dem in Wahrheit auch eher eckigen runden Tisch Platz nahmen, waren auch Vertreter aller relevanten Einrichtungen dabei.

Im fernen Südschweden zählt Tsifidaris die Tischbesetzung auf: das Zentrum für Trauma und Konfliktmanagement, das Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes, Vertreter vom Weißen Ring, das Landesversorgungsamt, die Polizei mit den Abteilungen Kriminalpolizei, Staatsschutz und Polizeiakademie, die sich um die psychologische Komponente bei der Polizei gekümmert haben, die Psychotherapeutenkammer, die Notfallseelsorge bei der Feuerwehr, die Senatskanzlei mit Eike Westermann, die Staatsanwaltschaft, die Opferhilfe Hamburg, die Traumaambulanz des UKE und des AK Nord und weitere Opferbeauftragte aus anderen Bundesländern. „Jeder aus der Gemeinde, der traumatologische, therapeutische oder weitere behördliche Unterstützung gebraucht hat, hat diese Unterstützung am Ende auch erfahren“, sagt Gemeindesprecher Tsifidaris.

Bislang gingen rund 70 Anrufe in Opfer-Hotline ein

Dabei waren die Probleme der Opfer und der Betroffenen der Tatnacht genauso vielfältig wie unterschiedlich. So musste dem einen geholfen werden, schnelle psychotherapeutische und traumatologische Hilfe zu finden, beim anderen ging es ganz profan darum, einen Mantel mit Portemonnaie, den man am Tatort zurückgelassen hatte, wiederzubekommen. Während das Behördenangebot am ersten Wochenende noch sehr zurückgehalten angenommen wurde, erhielten Dornquast und sein vierköpfiges Team in den Wochen danach insgesamt 70 Anrufe von 40 Familien.

Dabei saßen auch Mitarbeiter von Polizei und Staatsanwaltschaft am runden Tisch, um im Gespräch mit Vertretern der Opfer auszuloten, wer wann vernehmbar ist. „Die Polizei und die Staatsanwaltschaft haben ihre Aufgaben mit Einfühlungsvermögen und Sorgfalt erledigt. Alle Beteiligten haben nicht nur einen professionellen Job gemacht, sondern mit viel Herz und Menschlichkeit geholfen. Das hat uns allen aus der Gemeinde sehr imponiert“, sagt Tsifidaris, der bislang bei allen Runden dabei war.

Opferentschädigungsgesetz klärt auch finanzielle Ansprüche

Nach der ersten Zusammenkunft am runden Tisch wurde sich noch mehrmals im Zwei-Wochen-Rhythmus digital über Zoom zusammengeschaltet. Dabei waren auch nicht nur die kurz- und mittelfristigen Probleme ein Thema, sondern auch langfristige Hilfe im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes. Geklärt werden sollten Fragen wie: Wer hat Anspruch auf welche finanzielle Unterstützung? Insgesamt 30 Mitarbeiter der Sozialbehörde sind mittlerweile mit den zum Teil höchst komplexen Antworten beschäftigt.

Dabei ist der runde Tisch in Hamburg vor allem eine Folge einer grauenhaften Tat in Berlin. Denn nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016, durch den 13 Menschen starben und 67 Besucher des Weihnachtsmarktes zum Teil schwer verletzt wurden, hatte es heftige Kritik an der anschließenden offenbar mangelhaften Betreuung aller Opfer, Angehörigen und Hinterbliebenen gegeben. Als erste Konsequenz wurde 2017 auf Bundesebene ein Opferschutzbeauftragter installiert, in Hamburg wurde diese Stelle 2018 geschaffen.

Amoklauf Alsterdorf: 3300 Gläubige waren bei der Trauerfeier

„Das war ein ganz tolles Zusammenspiel“, lobt im fernen Schweden Gemeindesprecher Tsifidaris, der auch die unkomplizierte Hilfe der Stadt bei der anschließenden Trauerfeier hervorhebt. Nur zwei Wochen nach der Tat waren rund 3300 Gläubige in der Sporthalle Hamburg zusammengekommen, um Abschied zu nehmen, weiterer 90.000 verfolgten die Feier nach Angaben der Organisatoren über das Internet.

Ebenfalls bei der Trauerfeier dabei war Arne Dornquast, der zuvor allen Hinterbliebenen, deren Familien und den am Tatabend Beteiligten persönliche Briefe geschickt hatte. „Man muss auch in so einem schwierigen Moment den richtigen Ton treffen“, sagt Dornquast. „Das ist wichtig.“ Unwichtig ist dagegen, ob der Tisch am Ende wirklich rund oder doch eckig ist.