Hamburg. Waffenbehörde soll vor der Tat von Philipp F. Warnungen ignoriert und geschwiegen haben. Welche Rolle spielt der Hanseatic Gun Club?
Am vergangenen Donnerstag wurde in der Sitzung des Innenausschusses erneut viel über den Amoklauf von Alsterdorf gesprochen. Im Saal 151 des Rathauses wurde berichtet, wie viele Polizisten im Einsatz waren (1017), wie viele Schüsse Philipp F. an jenem schicksalhaften Abend des 9. März abgefeuert hat (135) und wie viele Notrufe in der Einsatzzentrale der Polizei in der ersten Viertelstunde eingegangen sind (19).
Der offenbar psychisch labile Amokschütze Philipp F. richtete in nur 16 Minuten in einem Gemeindezentrum der Zeugen Jehovas sieben Menschen und anschließend sich selbst. Innensenator Andy Grote (SPD) und Polizeipräsident Ralf Martin Meyer gaben rund einen Monat nach der Tat viereinhalb Stunden lang detailliert Auskunft über die schreckliche Tat. Es wurde sehr viel gesagt. Doch knapp eine Woche nach der Ausschusssitzung geht es vor allem um eines: um das, was nicht gesagt wurde.
Amoklauf in Hamburg: Gab es schon vorab weitere Hinweise?
Nachdem ein Mitarbeiter des Hanseatic Gun Club am Dienstagabend dem Abendblatt bestätigte, dass man nach einem Hinweis des Bruders von Philipp F. schon vor dem Amoklauf am 9. März die Waffenbehörde über den offenbar kritischen psychischen Zustand des späteren Amokläufers am Telefon informiert hatte und dies auch bei den Vernehmungen durch das Landeskriminalamt wenige Tage nach der Tat wiederholte, stellen sich nun die Fragen, ob der Amoklauf möglicherweise doch zu verhindern gewesen wäre – und warum all dies nicht auch im Innenausschuss offengelegt wurde.
Bereits am Dienstag stellte das Abendblatt hierzu Polizei, Innenbehörde, Waffenbehörde und Staatsanwaltschaft Hamburg zwei entscheidende Fragen: War den Behörden tatsächlich schon vor dem Amoklauf der Hinweis, über den bereits am Donnerstag „Die Zeit“ und das Nachrichtenportal „t-online“ berichteten, bekannt, dass der Hanseatic Gun Club einen Mitarbeiter der Waffenbehörde direkt informiert hatte? Und: Hätte man im Innenausschuss, in dem auch LKA-Chef Jan Hieber anwesend war, über die Vernehmung nach dem Amoklauf berichten müssen?
Amoklauf in Alsterdorf: Oberstaatsanwältin Oechtering verweist auf laufende Vorermittlungen
Oberstaatsanwältin Lilly Oechtering schickte dem Abendblatt zunächst eine schriftliche Sammelantwort, in der es heißt: „Zutreffend ist, dass derzeit kein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Aufklärung der Amoktat anhängig ist. Darüber hinausgehende Auskünfte, insbesondere im Zusammenhang mit waffenrechtlichen Abläufen, können vor dem Hintergrund laufender Vorermittlungen derzeit nicht erteilt werden.“
Doch bereits am Mittwochmorgen berichtete „Die Zeit“, dass ein Disziplinarverfahren gegen einen Beamten der Waffenbehörde eröffnet wurde, der bislang unter anderem für die Kontrolle von Waffenbesitzern zuständig war. Dies wurde auch dem Abendblatt bestätigt.
Demnach soll der Beamte in Verdacht stehen, einen Hinweis auf die Gefährlichkeit von Philipp F. fahrlässig oder bewusst nicht dokumentiert und verfolgt zu haben. Dies ist nun Teil der strafrechtlichen Beurteilung – genauso wie die genaue Verbindung zwischen dem Hinweisgeber aus dem Hanseatic Gun Club und dem Behördenmitarbeiter.
Behördenmitarbeiter arbeitete früher beim Hanseatic Gun Club
So sorgt für zusätzliche Brisanz in diesem Zusammenhang die Abendblatt-Information aus Kreisen des Hanseatic Gun Clubs und der Behörden, dass der Beamte ein Mitarbeiter des Sportschützenvereins am Jungfernstieg gewesen war – und möglicherweise bis heute ist. Zur Erinnerung: Über den Club hatte Philipp F. im Dezember 2022 die spätere Tatwaffe, eine halbautomatische Pistole des Typs P30 von Heckler & Koch, erhalten.
In der Politik ist man entsetzt über die neuen, im Innenausschuss nicht offengelegten Informationen. Im Gespräch mit dem Abendblatt sagt Dennis Gladiator, der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion: „Nach offenkundigen Versäumnissen im Umgang mit dem bekannten Buch des Täters, in welchem er seine krankhaften Ideen niederschrieb, werden nun weitere Versäumnisse aufgedeckt. Sollten sich die Hinweise bestätigen, dass ein Mitarbeiter der Waffenbehörde Hinweise auf die Gefährlichkeit des Täters verschwieg, sind die Aussagen des Innensenators, dass diese Tat wohl nicht hätte verhindert werden können, nicht mehr haltbar.“ Sein Fazit: „Hamburg braucht einen neuen Innensenator.“
CDU stellte am Mittwoch Kleine Anfrage
Am Mittwoch stellte die CDU zudem eine Kleine Anfrage an den Senat zu den neuen Erkenntnissen. Unter anderem heißt es in dem Fragenkatalog zu der nun öffentlich gewordenen Verbindung zwischen Behördenmitarbeiter und Hanseatic Gun Club: Wann wurden der Polizeipräsident sowie der Senator darüber informiert? Und: Wie beurteilt die zuständige Behörde die Erkenntnisse, die durch die neuen Informationen bekannt wurden?
Auch Deniz Celik, der innenpolitische Sprecher der Linken, der ebenfalls am Donnerstag im Innenausschuss anwesend war, dürfte auf die Antworten gespannt sein. „Die neuen Vorwürfe gegenüber der Waffenbehörde sind sehr schwerwiegend, und es macht einen fassungslos, dass der Innensenator in der letzten Sitzung darüber geschwiegen hat. Statt einer transparenten Aufarbeitung möglicher Versäumnisse erleben wir eine Salamitaktik, wo die Wahrheit scheibchenweise herausgerückt wird.“
Celik fordert im Gespräch mit dem Abendblatt sofortige Konsequenzen: „Die Waffenbehörde und der Innensenator geben ein desolates Bild ab, und das muss politische Konsequenzen haben.“
Wusste Grote bereits am Donnerstag um die Brisanz?
Am späten Mittwochnachmittag reagierte auch die Innenbehörde auf die Abendblatt-Anfrage vom Vorabend. Ein Behördensprecher ließ ausrichten, dass der betreffende Sachverhalt Gegenstand laufender Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft sei. „Der Ermittlungsstand ist vom Generalstaatsanwalt ausdrücklich nicht für öffentliche Kommunikation freigegeben“, heißt es in dem Antwortschreiben.
Offenbar ahnte Grote bereits zum Ende der Innenausschusssitzung am vergangenen Donnerstag, dass nach den ersten Veröffentlichungen rund um die mutmaßliche Kontaktaufnahme zwischen dem Hanseatic Gun Club und der Waffenbehörde weitere unangenehme Nachfragen auf ihn zukommen könnten.
„Mir ist rund um die Kommunikation mit dem Hanseatic Gun Club eines wichtig: Wir können momentan nicht sagen, wie sich der Sachverhalt weiterentwickelt. Wer hat hier wem was gesagt? Und hat irgendjemand vielleicht irgendwas der Waffenbehörde gesagt oder nicht?“
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Grote fragte den wenige Plätze neben ihm sitzenden Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich, ob dieser mehr dazu sagen wolle, was der verneinte. Grotes Schlusswort am vergangenen Donnerstag: „Dann können wir diesbezüglich auch keine weiteren Auskünfte erteilen.“ Sechs Tage später werden diese nun vehement eingefordert.