Hamburg. „Corona-Party“, „Pimmelgate“, Aufarbeitung des Amoklaufs in Alsterdorf. Kein Hamburger Senator stand so häufig in der Kritik.

Viel besser hätte die vergangene Woche für Andy Grote eigentlich nicht beginnen können. Natürlich wusste der Innensenatorbereits am Montag, dass am nächsten Morgen einer der wichtigsten Polizeieinsätze der vergangenen Monate folgen sollte. Gegen 6 Uhr früh konnten dann Spezialkräfte der GSG 9 den Terrorverdächtigen Anas K. an der Bremer Reihe in St. Georg verhaften. Der Einsatz war ein voller Erfolg – genauso wie die Hamburger Sportgala am Dienstagabend in der Handelskammer, die Grote in seiner Eigenschaft als Sportsenator eröffnete.

Sechs Minuten dauerte Grotes Ansprache an die Hamburger Meister und Meisterinnen, die im Anschluss mit einer Medaille ausgezeichnet wurden. Der 54-Jährige hatte sich festlich gekleidet, dunkler Anzug, weißes Hemd, weiße Krawatte mit schwarzen Punkten. Kurz zuvor wurde er noch schnell als Innensenator vom Fernsehen für ein schnelles Statement über den erfolgreichen Polizeieinsatz angefragt, dann richtete er als Sportsenator ein paar warme Worte an die Sportler. „Sie können stolz auf sich sein,“ sagte der SPD-Politiker feierlich. „Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu Ihren Leistungen und dafür, was Sie für die Stadt geleistet haben.“

Andy Grote in dieser Woche bei der Hamburger Sportgala 2023
Andy Grote in dieser Woche bei der Hamburger Sportgala 2023 © WITTERS | TimGroothuis

Niemand wird so häufig zum Rücktritt aufgefordert wie Grote

Grotes Problem: Ihm wurde in den vergangenen Wochen und Monaten eher selten für seine Leistungen im Dienste der Stadt gedankt. Im Gegenteil. Wahrscheinlich gibt es keinen gegenwärtigen Senator in Hamburg, dem von der Opposition und von Medien so häufig der Rücktritt nahegelegt wurde wie Andy Grote. Nicht einmal Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne), deren Ex-Lebensgefährte Michael Osterburg derzeit wegen einiger Unappetitlichkeiten vor Gericht steht.

Gerade erst forderte die CDU Grotes Rücktritt nach dem Amoklauf von Alsterdorf. Der Hauptvorwurf: Salami-Aufklärung. Vor anderthalb Jahren gab es das sogenannte „Pimmelgate“. In einem Tweet hatte ein Twitter-Nutzer Grote beleidigt. Nachdem dieser Strafanzeige gestellt hatte, wurde die Wohnung des Verdächtigen von der Polizei durchsucht. Später entschied ein Gericht, dass diese Durchsuchung rechtswidrig war. Und wieder: Rücktrittsforderungen.

Innensenator musste 1000 Euro Bußgeld nach Corona-Party zahlen

Vor zweieinhalb Jahren der wahrscheinlich gravierendste Fall: eine Corona-Party mitten im Lockdown. Die allein war schon – salopp formuliert – wenig clever. Noch uncleverer aber der wochenlange Versuch, den Verstoß (der später offiziell festgestellt und mit einem Bußgeld von 1000 Euro belegt wurde) als „Gerücht“ abzutun. Heute spricht Grote selbst von einem „Riesenfehler“. Damals von allen Seiten: Rücktrittsforderungen.

Dann wäre da noch das Disziplinverfahren gegen Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich, der im Verdacht stand, Grote geschützt zu haben, als gegen diesen wegen des Verdachts der Vorteilsnahme rund um St.-Pauli-Vip-Karten ermittelt wurde. Da war es die Linke, die Grotes Demission forderte. Und schließlich noch der wenig ruhmreiche G-20-Gipfel, als in Hamburg sowohl die Schanze als auch die Elbvororte brannten. Damals war es unter anderem die Piraten-Partei, die Grotes Rücktritt vehement forderte.

Sind die Rücktrittsforderungen berechtigt?

Nun, an die Piraten-Partei erinnert sich in Hamburg kaum noch einer. Und trotzdem ist die Frage legitim, wie es eigentlich sein kann, dass immer und immer wieder Andy Grotes Rücktritt gefordert wird. Auch interessant: Warum hat Grote bislang all das politisch überlebt? Und in diesem Zusammenhang vielleicht die wichtigste Frage: Sind die Rücktrittsforderungen berechtigt?

Im Fall der Corona-Party muss die Antwort wohl lauten: Ja. Den Rest beschrieb die „Zeit“ unlängst als „Verkettung von Pech und der Staatsanwaltschaft“. Fragt man bei Grote direkt nach, antwortet der mit einem Lachen. Rücktrittsforderungen gehören nun mal zum politischen Geschäft dazu. Und überhaupt: Bei der CDU habe man es sich offenbar zum Hobby gemacht, Grotes Kopf mit der „Copy & Paste“-Taste zu fordern. Die Polizei würde immer gelobt werden, der verantwortliche Senator immer getadelt.

Zumindest in der eigenen Behörde soll Grote ein gutes Standing haben

In der eigenen Behörde soll der Senator jedenfalls ein gutes Standing haben, genauso wie im gesamten Hamburger Sport. In der eigenen Partei gilt das Standing dagegen eher als durchwachsen. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher lässt auf seinen in der Dauerkritik stehenden Senator dennoch nichts kommen. Zumindest bislang nicht. Zum einen, weil der Bürgermeister nicht dafür bekannt ist, oft und gerne das Personal zu wechseln. Zum anderen, weil Grote das Glück hat, aus dem Bezirk Mitte zu kommen, wo nach Johannes Kahrs’ Demission ein Vakuum entstanden ist und sich schlicht und einfach auch keine Alternative anbietet. Der Hauptgrund könnte aber ein anderer sein: Weil Tschentscher von Grotes Arbeit trotz aller Quartals-Rücktrittsforderungen überzeugt ist. Das jedenfalls hofft Grote selbst.

Tatsächlich kann der Innensenator auch Erfolge für sich verbuchen. Die Kriminalitätsstatistik zum Beispiel. Die Zahl der Straftaten ist so niedrig wie seit 43 Jahren nicht mehr. Auch der Einsatz am Abend des Amoklaufs von Alsterdorf war mindestens genauso erfolgreich wie der Einsatz am Dienstag gegen den mutmaßlichen Islamisten. Das bestreitet auch keiner – genauso wenig wie seinen Einsatz als Sportsenator für die Active City.

Während der Innenausschusssitzung kamen neue Details ans Licht

Auseinander gehen dagegen die Meinungen, ob in der ebenfalls Grote unterstellten Waffenbehörde wirklich alles vor dem Amoklauf von Alsterdorf getan wurde, um dieses „schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt“ (O-Ton Grote) zu verhindern. Die Antworten, die er im Innenausschuss vor drei Wochen lieferte, klangen plausibel. Einerseits. Andererseits kam genau während der Sitzung heraus, dass ein kurze Zeit später versetzter Mitarbeiter schon frühzeitig von möglichen psychischen Problemen des Täters gewusst hat – diese aber nicht innerhalb der Behörde weitergegeben hat.

Innensenator Andy Grote (SPD) informiert über den Ermittlungsstand zum Amoklauf von Alsterdorf. Wichtige Details kamen aber erst später ans Licht.
Innensenator Andy Grote (SPD) informiert über den Ermittlungsstand zum Amoklauf von Alsterdorf. Wichtige Details kamen aber erst später ans Licht. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

An diesem Donnerstag dann die nächste Volte: Nachdem die Staatsanwaltschaft zehn Räumlichkeiten, darunter auch die Wohnung und den Arbeitsplatz eben jenes Mitarbeiters der Waffenbehörde durchsuchte, wurden schwere Vorwürfe erhoben: Es gebe zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht der fahrlässigen Tötung sowie der fahrlässigen Körperverletzung, teilten die Ermittler mit.

Gladiator und Celik forderten diese Woche erneut Grotes Rücktritt

Es dauerte nicht einmal zwei Stunden, ehe auch diese Meldung zur üblichen Reaktion führte: Rücktrittsforderungen, die nächsten. Diesmal waren es Deniz Celik (Die Linke) und Dennis Gladiator (CDU), die deutliche Worte verloren: Der Innensenator müsse zurücktreten, schrieb Celik. Und Gladiator ergänzte, dass Grote die politische Verantwortung trage: „Andy Grote hat seine eigene Behörde nicht im Griff“, so Gladiator.

Dazu muss man wissen: Gladiator und Grote schätzen sich nicht wirklich. Dass man in anderen politischen Lagern beheimatet ist: schon klar. Aber beide verzichten auch gerne auf den kollegialen Austausch, der bei Politikern unterschiedlicher Parteien, aber gleicher Fachgebiete, ansonsten üblich ist.

Wie sind die Behörden auf die Demonstrationen am 1. Mai vorbereitet?

Ob Gladiator auch in der kommenden Woche den mittlerweile schon üblichen Grote-Rücktritt fordert, dürfte davon abhängen, ob die nächste Woche ähnlich erfolgreich startet wie diese – oder eben nicht. Denn rund um den 1. Mai wird natürlich einmal mehr überprüft werden, wie die Behörden und die Polizei auf die bereits angekündigten Demonstrationen reagiert. Ein wichtiger Barometer in diesem Zusammenhang: Was passiert am 1. Mai rund um die Rote Flora?

2017 war es, als an den Tagen des G-20-Gipfels von hier aus das Chaos orchestriert wurde. Während Grote, schon damals Innensenator, Olaf Scholz, damals noch Bürgermeister, und der Rest der Politprominenz in der Elbphilharmonie dem Philharmonischen Staatsorchester lauschten, wurde das Schanzenviertel um die Rote Flora zum Kriegsgebiet.

Die politische Verantwortung hat bis heute niemand übernommen. Scholz? Ist mittlerweile Bundeskanzler. Und Grote? Will zumindest Innensenator bleiben. Deswegen hofft er auf einen ähnlich erfolgreichen Montag wie in dieser Woche, bloß keine Schanzenrandale – und dann auch zur Abwechslung mal auf eine Woche ganz ohne Rücktrittsforderung.