Hamburger Innensenator verteidigt sein Vorgehen. Die Mehrheit der Hamburger Bürgerschaft lehnt generelle Abschaffung von Gefahrengebieten ab.
Hamburg. Vor wenigen Tagen sah es noch nach einer politischen Bankrotterklärung der Bürgerschaft aus. Nach Tagen der Diskussion einigten sich die fünf Parteien im Parlament am Montag nur darauf, dass sie sich nicht einmal auf einen Aufruf gegen Gewalt einigen können. Der Versuch der SPD-Fraktion, eine Art Anti-Gewalt-Resolution auf die Beine zu stellen, scheiterte am Streit um Formulierungen – und das nach den Angriffen auf Polizisten am 20. Dezember, der gewalttätigsten Demonstration seit Jahren mit Hunderten Verletzten am 21. Dezember, der blutigen Auseinandersetzung an der Davidwache vom 28. Dezember mit einem schwer verletzten Polizisten und dem darauf ausgewiesenen größten Gefahrengebiet in der Geschichte der Stadt.
Die zweistündige Debatte um alle diese Ereignisse am Donnerstag in der Bürgerschaft rückte nun einiges zurecht – offenbarte gleichzeitig aber auch eine tiefe Zerrissenheit des Parlaments. Das Wichtigste vorweg: Alle Fraktionen inklusive der Linkspartei distanzierten sich deutlich von Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung, alle betonten das Gewaltmonopol des Staates, und alle bedauerten die schwere Verletzung des Polizisten, der aus nächster Nähe einen Pflasterstein ins Gesicht bekommen hatte.
Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) fasste es in seinem versöhnlichen Schlusswort so zusammen: „Die Frage, wie wir unsere Stadt weiterentwickeln wollen, muss in politischen Diskussionen gelöst werden und nicht durch Steinewerfen.“ Es sei eine „falsche Debatte“, über vermeintlich politische Motive der Gewalttäter nachzudenken: „Es sind immer Steine gegen die Demokratie.“ Scholz machte auch seinem Ärger Luft über die überregionale Berichterstattung: „Da ist ein Bild von Hamburg gezeichnet worden, das mit der Realität nichts zu tun hat.“
Die Einigkeit in den Kernpunkten änderte jedoch nichts an den unterschiedlichen Bewertungen der Vorgänge um den Jahreswechsel. Vor allem Grüne und Linkspartei, in Teilen aber auch die FDP, forderten trotz der Bekenntnisse gegen Gewalt, auch die Verhältnismäßigkeit der Polizeimaßnahmen infrage zu stellen. „Herr Neumann, ich habe großes Verständnis dafür, dass Sie sich hinter Ihre Polizisten stellen“, sagte FDP-Fraktionschefin Katja Suding in Richtung von Innensenator Michael Neumann. „Aber nicht jede kritische Frage ist ein Anschlag auf das Gewaltmonopol.“ Auch Antje Möller (Grüne) betonte, dass das Einstehen für das Gewaltmonopol des Staates nicht bedeuten dürfe, dass über schwere, „in die Menschenrechte eingreifende Maßnahmen“ nicht geredet werden darf – damit spielte sie auf die Kontrollen im Gefahrengebiet an. Es hatte Anfang Januar für zehn Tage die Stadtteile St. Pauli, Sternschanze und Teile Altonas mit 50.000 Einwohnern umfasst, rund 1000 Menschen wurden kontrolliert.
Ins Zentrum ihrer Kritik stellte die Opposition die Widersprüche in der Darstellung der Vorgänge rund um die Davidwache am 28. Dezember, die von der Polizei als wesentliche Begründung für die Ausweisung des Gefahrengebiets angeführt worden waren. Spätestens nach dem Abendblatt-Bericht vom Donnerstag müsse die offizielle Sichtweise infrage gestellt werden, sagte Christiane Schneider (Linkspartei). Aus ihrer Sicht „nährt das den schrecklichen Verdacht, dass dieses Ereignis, vielleicht nur eine ausgeuferte Kiezschlägerei, missbraucht wurde“, um das Gefahrengebiet auszuweisen und eine Aufrüstung der Polizei zu fordern.
Auch Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan äußerte sich ähnlich: Für den Polizisten sei es persönlich zwar egal, wer ihn verletzt habe, aber politisch sei das bedeutsam. Der Steinwurf auf den Beamten dürfe nicht in einen Zusammenhang gestellt werden, in den er nicht gehöre und aus dem das Recht abgeleitet werde, weitgehende Maßnahmen zu ergreifen. Dass weder Scholz noch Neumann inhaltlich auf diese Fragen eingingen, regte Kerstan auf: „Kein Wort. Da entsteht der Eindruck, dass dieser Bürgermeister Realitäten nicht zur Kenntnis nimmt.“
Das warf auch CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich dem Senat vor, aber freilich aus ganz anderer Perspektive. Er forderte SPD, Grüne und Linkspartei auf, „nicht auf dem linken Auge blind zu sein“. Neumann sei überfordert, und Scholz habe kein Gefühl für die Stimmung in der Stadt. Wersich zählte die Ereignisse von der Attacke auf das Alsterhaus im Oktober bis zur Auseinandersetzung an der Davidwache auf und bilanzierte: „Eine Stadt, in der der innere Frieden verloren gegangen ist, ist keine gut regierte Stadt.“ Auch Wersich sprach nicht mehr von einem „Angriff auf die Davidwache“, warnte aber davor, verletzte Polizisten mit Gewalttätern gleichzusetzen: „Das ist inakzeptabel.“
Innensenator Neumann verteidigte den Kurs des Senats in Sachen Rote Flora, Esso-Häuser und Lampedusa-Flüchtlingen als strikt rechtsstaatlich. Umstrittene Vorgänge würden unter Federführung der Staatsanwaltschaft untersucht. Neumann: „Das ist nicht nur im Tatort so. Das ist Recht und Gesetz, und das wird in Hamburg befolgt.“
Am Abend debattierte die Bürgerschaft Anträge von Grünen und Linken, die gesetzliche Grundlage für die Ausweisung von Gefahrengebieten abzuschaffen. Sie wurden mit großer Mehrheit abgelehnt. Die SPD setzte mit den zusätzlichen Stimmen von CDU und FDP ihren Antrag durch, dass die Polizei künftig verpflichtet werden soll, über jedes Gefahrengebiet der Bürgerschaft zu berichten.