Einst löste er den Konflikt um die Hafenstraße – nun äußert sich Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi über den Umgang mit Autonomen und die Probleme mit der Roten Flora.
Er machte das „Wunder von Hamburg“ möglich: Klaus von Dohnanyi, Hamburger Bürgermeister von 1981 bis 1988, löste 1987 den Konflikt um die Hafenstraße.
Das Hamburger Abendblatt sprach mit dem 85-Jährigen in seiner Wohnung an der Heilwigstraße in Harvestehude über das Verhältnis von Gewalt und Politik und seine Bereitschaft, im Konflikt um die Rote Flora zu vermitteln.
Hamburger Abendblatt: Sie waren zu Zeiten der Hafenstraßen-Auseinandersetzung Ende der 80er-Jahre Bürgermeister in Hamburg. Gibt es Parallelen zu dem heutigen Konflikt um die Rote Flora?
Klaus von Dohnanyi: Die Fälle ähneln sich sehr. Zu meiner Amtszeit gab es die Rote Flora ja schon, zu Ende der Amtszeit von Ortwin Runde wurde sie verkauft.
War der Verkauf ein Fehler?
von Dohnanyi: Ich denke ja. Man hätte das in enger Abstimmung mit den Leuten aus der Roten Flora machen müssen, die Sache hat ein explosives Potenzial. Im Nachhinein betrachtet war der Verkauf wohl ein Fehler.
Was ist zu tun?
von Dohnanyi: Man muss ein Vertrauensverhältnis zu den Besetzern herstellen, das ist das Entscheidende. Man muss ein Vertrauensverhältnis aufbauen, das ist mir damals mit den Hafenstraßen-Besetzern gelungen. Ich stellte denen schließlich ein Ultimatum, dass die Barrikaden abgebaut und die Wohnungen für die Polizei zugänglich gemacht werden müssen, dann würden sie einen Vertrag bekommen. Und dann, bevor das 24-Stunden-Ultimatum ablief, rief mich einer von denen an und sagte: Herr Bürgermeister, die Hafenstraße ist besenrein.
Der Chef des Verfassungsschutzes sagt, dass wir es bei der Roten Flora mit sehr staatsfeindlichen Leuten zu tun haben. Glauben Sie, dass mit man mit denen verhandeln kann?
von Dohnanyi: Das weiß ich nicht, aber bei uns war es ja auch nicht einfach. Schrittweise haben wir uns in den Gesprächen angenähert. Im übrigen sind solche Besetzungen keine Hamburger Besonderheit: In Zürich gibt es gegenwärtig ein solches Projekt, in Kopenhagen gab es mit „Christiania“ ein ganzes Quartier; in Berlin hatten wir viele besetzte Häuser. Man muss versuchen, solche Konflikte zu lösen, ohne dass die ganze Stadt darunter leidet.
Was würden Sie konkret vorschlagen?
von Dohnanyi: Ich mache keine Vorschläge. Man sollte mit den Leuten aber reden.
Wenn man Sie jetzt mit ihrer Erfahrung fragen würde, ob Sie vermitteln würden, wären Sie dazu bereit?
von Dohnanyi: Wenn der Bürgermeister mich dringlich bitten würde, tue ich für ihn alles. Ich will mich aber nicht aufdrängen. Bei der Verleihung der Heuss-Medaille 1988 habe ich gesagt: Nur der Kutscher auf dem Bock kann die Pferde zügeln.
Man sollte dafür auch nicht nicht gelobt werden! Das ist unser Job.
Und der Bürgermeister sollte mit den Autonomen persönlich reden?
von Dohnanyi: Man muss mit denen reden, der Senat darf sich niemals zu fein sein dafür. Unsere Welt wird immer komplizierter und fragiler, die gesellschaftlichen Bindekräfte nehmen ab, die Vermögensungleichheit nimmt weiter zu, es wird immer mehr „Aussteiger“ geben und solche Konflikte hängen auch mit diesen großen Entwicklungen zusammen. So wie man im 19. Jahrhundert mit der aufkommenden Gewerkschaftsbewegung reden musste, muss man heute auch mit diesen Gruppen reden, auch wenn sie offenkundig Rechtsbrecher sind.
Sie standen im Hafenstraßenkonflikt zwischen der Frage, das Recht mit einer Räumung durchzusetzen, oder nachzugeben und den Konflikt zu befrieden. Schließlich haben sie alleine gehandelt, ohne Rücksicht auf Partei und die Stimmung in der Stadt. War das mutig oder leichtsinnig?
von Dohnanyi: Es war ein Alleingang. Montagnacht habe ich im Rathaus spätnachts überlegt, was ich denn noch tun könnte. Alle wollten ja räumen, aber mir war klar, dass es dann Tote geben könnte. Damit wäre ich nicht fertig geworden. Dann habe ich mir das mit dem Ultimatum überlegt: Barrikaden weg und Wohnungen auf – oder es wird geräumt. Und das hätte ich dann auch getan. Gott sei Dank kam es anders.
Wir haben heute andere Themen, die im Konflikt um die Rote Flora hineinspielen: Gentrifizierung, Lampedusa-Flüchtlinge, das Recht auf Stadt. Ist es heute komplizierter?
von Dohnanyi: Nein, das hatten wir damals ganz genauso. Da wurden auch mehrere Themen vermischt. Die Politik muss immer auch solche großen Themen einfangen.
Sie nahmen 1988 an einer Diskussionsrunde mit der Gewerkschaft der Polizei teil, wo sie für Ihre Linie ausgepfiffen wurden und man Ihnen Blauäugigkeit vorwarf. Heutzutage legt die SPD großen Wert darauf, mit der Innenbehörde und der Polizei auf einer Linie zu sein. Was war da los?
von Dohnanyi: Zum Ende der Versammlung war die Stimmung damals schon positiver. Der Widerspruch zwischen rechtsflexiblen Lösungen und der Polizei ist manchmal unvermeidlich, das muss Politik aushalten. Ich musste mich hier als Bürgermeister eben mal gegen die Polizei stellen. Allerdings habe ich damals auch räumen lassen, so wie Häuser besetzt wurden.
Wie geht man mit autonomen Besetzern richtig um?
von Dohnanyi: Auf jeden Fall keinen Krieg führen, wenn es sich vermeiden lässt. Und man muss jemanden auf deren Seite finden, mit dem man reden kann. Natürlich müssen wir Eigentümerrechte respektieren, aber wenn es sich so zuspitzt, muss eine auch vom Eigentümer getragene Lösung her.
Nun ist die Gewalt in den vergangenen Wochen eskaliert. Ist das ein guter Zeitpunkt zum Reden?
von Dohnanyi: Das sind das Gewalttäter, Staatsfeinde, die den Rabatz lieben. Die spielen Katz und Maus mit Senat und Polizei spielen. Man muss das eindämmen, aber man muss auch wissen, aber allein mit Gesetz und Staatsgewalt lässt sich kein Frieden herstellen. Wenn man redet, sind die Leute auch eher beeindruckbar. Das schafft auf beiden Seiten Handlungsfähigkeit.
Wie beurteilen Sie denn die Einrichtung der Gefahrengebiete?
von Dohnanyi: Das kann ich nicht beurteilen. Ob nur eine verstärkte Polizeipräsenz ausgereicht hätte, weiß ich nicht.
Sie sprachen die Umbrüche in der Gesellschaft an. Was kann man denn tun, damit sich Menschen nicht verdrängt und ausgegrenzt fühlen?
von Dohnanyi: In Hamburg wird doch jetzt eine Menge gemacht! Der Senat fördert ja den Wohnungsbau, auch den sozialen.
Sie haben einmal gesagt: „Zur Sicherung des zukünftigen Friedens sind uns gerade die unentbehrlich, die das geltende Recht infrage stellen.“ Ohne Autonome geht es also gar nicht?
von Dohnanyi: Diese Leute gehören oft einer Bewegung an, die wir, wie auch die Occupy-Leute, zur Kenntnis nehmen müssen. Die Grünen kamen doch auch von weit draußen, jetzt sind sie rigides Establishment. Die Kunst besteht immer darin, neue Bewegungen kommunikativ so zu integrieren, dass die Gesellschaft sich weiter entwickeln kann.
Das heißt, dass ein Bürgermeister auch mutig sein muss und es hinnehmen sollte, wenn es bei einer Suche nach einer Lösung Leute gibt, die damit nicht zufrieden sind?
von Dohnanyi: Na klar! Das macht Scholz doch ständig – und gut! Es wird trotzdem immer Leute geben, die sagen, dass sie mit denen nicht reden wollen, weil es angeblich um die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats geht. Das halte ich für falsch. Wenn etwas in der Sache richtig ist, muss man es machen.
Allerdings haben die Autonomen aus der Roten Flora ja jetzt schon eine breite Unterstützung bis hin zur CDU. Die wollen ja gar keinen Frieden.
von Dohnanyi: Natürlich nicht. Das war ja in der Hafenstraße auch so. Die haben andere Wünsche – und den Spaß am Rabatz!
Kann der Rote Flora-Besitzer Klausmartin Kretschmer noch eine gute Rolle spielen in diesem Stück?
Ich weiß nicht, was er will. Ob das Gebäude zurückgekauft werden sollte, kann nur der Senat wissen. Ganz ohne Geld würde es dann allerdings wohl nicht gehen.