Ulrich Karpen äußert Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Polizei-Maßnahmen. Der Staatsrechtler und frühere CDU-Abgeordnete nennt die Einschränkungen für die Bürger gravierend.
Hamburg. Die Debatte um die Legitimität der Gefahrengebiete, die die Polizei in Teilen Altonas ausgewiesen hatte, reißt nicht ab und reicht weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Das Abendblatt befragte den Staatsrechtler und früheren CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Ulrich Karpen, emeritierter Professor an der Universität Hamburg.
Hamburger Abendblatt: War es rechtlich in Ordnung, dass allein die Polizei in Hamburg über die Ausweisung von Gefahrengebieten entschieden hat?
Ulrich Karpen: Die Gefahrengebiete bedeuten eine erhebliche Einschränkung der Persönlichkeitsrechte. Dafür ist eine gesetzliche Ermächtigung durch das Parlament notwendig. Die gibt es in Hamburg, und die Polizei führt diese Regelung aus. Der Weg war rechtlich nicht zu beanstanden und verfassungsgemäß.
Aber war es inhaltlich richtig?
Karpen: Der Staat darf solche Maßnahmen nur ergreifen, wenn die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Vereinfacht: Man schießt nicht mit Kanonen auf Spatzen. In diesem Fall habe ich Zweifel, ob es das richtige Mittel war. Ziel der Polizei ist gewesen, die Unruhen rund um die Rote Flora zu befrieden. Das ist offensichtlich nicht gelungen. Deshalb befürworte ich, die Frage der Verhältnismäßigkeit dem Verwaltungsgericht vorzulegen. Es gab zwar auch vorher schon Gefahrengebiete, aber dieser Fall hat aufgrund der Größe und Dauer eine ganz neue Qualität.
Wer kann gegen die Einrichtung eines Gefahrengebiets klagen?
Karpen: Klageberechtigt sind die Bürger in den betroffenen Regionen, die sich in ihren Rechten verletzt fühlen. Mit einer einstweiligen Anordnung könnte das Gericht ein Gefahrengebiet über Nacht auflösen.
Wie bewerten Sie, dass die Polizei die Gefahrengebiete zunächst verkleinert und am Montag ganz aufgelöst hat?
Karpen: Das deutet darauf hin, dass die Maßnahme zu weitreichend war. Ich bezweifele deshalb, ob sie zum Ziel führt. Wahrscheinlich würden die klassischen polizeilichen Maßnahmen ausreichen. Im Übrigen zeigen die aktuellen Entscheidungen, dass es an einer langfristigen Planung mangelt. Es wirkt so, als wenn die Polizei bei der Ausweisung des Gefahrengebiets Anfang Januar vorschnell gehandelt hat.
Ist das Hamburger Polizeirecht im Vergleich zu anderen Bundesländern besonders hart?
Karpen: Unser Polizeirecht ist normal, aber die Anwendung in diesem Fall ist ungewöhnlich und sehr streng. Die Folge sind schwere persönliche Belastungen der Anwohner, obwohl 99 Prozent der Menschen gar nichts damit zu tun haben.
Zu einer Diskussionsveranstaltung an der Juristischen Fakultät der Universität Hamburg über die rechtliche Bewertung der Gefahrengebiete laden die „Kritischen Jurastudierenden" für Donnerstag, 16. Januar, ein. Beginn ist um 19.30Uhr im Gebäude der Rechtswissenschaftler (Rothenbaumchaussee 33). Auf dem Podium sitzen: Juniorprofessorin Dr. Ulrike Lembke (Öffentliches Recht und Legal Gender Studies, Universität Hamburg), Cornelia Ganten-Lange (Rechtsanwältin im Verfahren gegen die Gefahrengebiete), Tina Winter (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen Hamburg) und Dr. Christian Ernst von der Bucerius Law School.