Hamburg. Hamburger Krankenhaus erhält im aktuellen Jahr mehr als 1000 Bewerbungen und muss die Hälfte ablehnen. Welches Konzept dahintersteckt.

  • Die Lage ist dramatisch: Bis 2049 werden in Deutschland voraussichtlich mindestens 280.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt
  • Doch schon jetzt suchen Krankenhäuser und Reha-Kliniken händeringend nach Personal
  • Umso überraschender die Zahlen, die ein Hamburger Krankenhaus gerade verkündet hat

Applaus, Applaus! Den gab es für Pflegekräfte während der Corona-Pandemie im Überschuss. Doch der gewünschte Branchenaufschwung blieb aus. Offene Stellen gibt es nach wie vor zuhauf, Bewerbungen und Nachwuchs eher nicht. Im Asklepios Klinikum (AK) Harburg ist die Lage allerdings umgekehrt: Praktika und Freiwilligendienste (FSJ) sind hier heiß begehrt. Mit über 1000 Bewerbungen und 500 Praktikanten in diesem Jahr vermeldet das Krankenhaus nun zwei erstaunliche Zahlen.

Asklepios Harburg: Wie ist der Ansturm aufs Pflege-Praktikum zu erklären?

Erstaunlich, weil sie nicht ins Gesamtbild der Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich passen. So spricht die Bundesagentur für Arbeit in einer aktuellen Studie von einem „Fachkräftemangel bei examinierten Pflegefachleuten in nahezu allen Bereichen“.

Umso mehr freut sich Nicole Schlüsselburg vom AK Harburg über den hohen Andrang an jungen Menschen. Als zuständige Koordinatorin für Praktika und Freiwilligendienste betont sie: „Unsere Praktikantinnen und Praktikanten sind unser Personal von Morgen.“ Denn die Berufsorientierung, so das Klinikum, sei die „Grundlage für die Ausbildung zukünftiger Fachkräfte im Gesundheitswesen“.

Asklepios Harburg
Freuen sich über die 500. Praktikantin: Pflegedirektor Andre Schepanski mit Praktikantin Era Djelili und Koordinatorin Nicole Schlüsselburg (v.l.). © HA | Asklepios

Eine von ihnen heißt möglicherweise Era Djelili. Mit ihr hat das AK Harburg jüngst einen Meilenstein erreicht: Djelili ist die 500. Praktikantin des Jahres 2024 am AK Harburg. Zurückzuführen sei dieser Erfolg vor allem auf das hauseigene Werbekonzept. Dahinter steckt ein ganzes Karriere- und Ausbildungsteam, das auf Messen, Schüler-Eltern-Abenden und in Schulklassen aktiv ist. Wer sich dabei für ein Pflegepraktikum begeistern lässt, der hat die Auswahl zwischen verschiedenen Einsatzbereichen. Anästhesie, Geriatrie und das Herzkatheterlabor sind drei Beispiele.

Nach dem Praktikum ist vor der Ausbildung – für 100 Personen pro Jahr

Um den Nachwuchs langfristig zu binden, setzt man nach dem Praktikum vor allem auf Individualität: Eine Ausbildung zum Operationstechnischen oder Anästhesietechnischen Assistenten ist ebenso möglich wie die Ausbildung zur Pflegefachkraft. Diese lässt sich auch in Teilzeit absolvieren – und später um ein duales Studium ergänzen. Die Mehrheit entscheidet sich jedoch für eine der genannten Ausbildungsformen. So kommt es, dass jedes Jahr rund 100 junge Erwachsene ihre Ausbildung am AK Harburg beginnen und größtenteils auch hängenbleiben. Jeder Zweite davon habe bereits ein Praktikum oder ein FSJ hinter sich, heißt es in einer Pressemitteilung. Früh hineinzuschnuppern kann sich also lohnen.

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Entsprechend positiv fällt das Fazit des Pflegedirektors Andre Schepanski aus: „Für uns ist das hohe Interesse junger Menschen an unserem Angebot eine Bestätigung, dass der Pflegeberuf attraktiv und zukunftsfähig ist.“ Wichtig ist ihm daher, dass angehende Pfleger bereits in der Ausbildung eigene Projekte verantworten oder regelhaft eine Station übernehmen. „Immer begleitet von unserem erfahrenen Team der Praxisanleiter“, ergänzt Schepanski.

Praktikum und FSJ: Krankenhaus bei Hamburg sagt 500 Bewerbern ab

Betreuer braucht es aber nicht nur für Auszubildende, sondern gleichermaßen für Praktikanten. Eine Frage der Kapazität – auch für das recht große AK Harburg. Wohl aus diesem Grund erhielt nur knapp die Hälfte der über 1.000 diesjährigen Bewerber eine Zusage. Die restlichen 500 wurden abgelehnt und müssen auf die „vielseitige und finanziell attraktive Karriere“ zunächst verzichten. So lautet zumindest das Versprechen des Pflegedirektors an Praktikanten und Auszubildende. Immerhin verdienen Azubis am AK Harburg im ersten Lehrjahr rund 1.100 Euro. Und im späteren Berufsleben?

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Spätestens dann sind Pflegekräfte im Allgemeinen einer psychischen und physischen Belastung ausgesetzt. Hinzu kommen Schichtarbeit und ein umstrittenes Gehalt, das sich in Deutschland entweder nach einem Tarifvertrag oder dem gesetzlichen Pflegemindestlohn richtet. Letzterer regelt, dass Hilfskräfte ohne Tarifvertrag aktuell mindestens 15,50 Euro pro Stunde verdienen müssen; mit besonderer Qualifikation bereits 16,50 Euro. Pflegefachkräfte haben hingegen Anspruch auf einen Stundenlohn von 19,50 Euro. Auszubildende sind vom Pflegemindestlohn ausgenommen.

Hamburg-Harburg der 07.05.2020 Wie der Spiegel auf seiner Website heute berichtet, kämpft das Asklepios Klinikum Harbur
Beliebt wie nie: Im Asklepios Klinikum Harburg arbeiten insgesamt knapp 2500 Mitarbeiter. © imago images/Andre Lenthe | Andre Lenthe Fotografie via www.imago-images.de

Krankenhaus Hamburg: Löhne in der Pflege werden 2025 weiter leicht erhöht

Teil der Wahrheit ist auch, dass der Pflegemindestlohn im Jahr 2024 bereits gestiegen ist – und sich zum Juli 2025 weiter leicht erhöhen wird. Eine grundsätzlich positive Entwicklung, wie etwa die Gewerkschaft Verdi bemerkt. Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler sagt: „Es ist richtig, die Löhne in der ambulanten und stationären Pflege nach unten abzusichern, solange einem Großteil der Beschäftigten vor allem bei kommerziellen Anbietern der Schutz eines Tarifvertrages verweigert wird.“ Und dennoch: „Der hohen Verantwortung und Belastung wird das Mindestentgelt allerdings nicht gerecht.“

Weitere Anpassungen könnten daher ein Mittel sein, um sich für die Zukunft zu wappnen. Laut Statistischem Bundesamt werden bis 2049 voraussichtlich mindestens 280.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt. Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 entspräche dies einem Anstieg um rund ein Drittel.