Wilhelmsburg. Wilhelmsburger Kreative fühlen sich vor den Kopf gestoßen – und rüsten sich für Kampf um Kultfilm-Kulisse. Worum es den Künstlern geht.

  • Nach einer Senatsentscheidung zum Soulkitchen-Areal ist innerhalb der Wilhelmsburger Kreativszene der Unmut groß
  • Um diesen kundzutun hat die Initiative Kulturkanal diesen Freitag zu einer Demo aufgerufen
  • Los geht es um 17 Uhr am Stübenplatz in Wilhelmsburg

„Eine Stellungnahme wie ein Schlag ins Gesicht!“, empört sich die Initiative „Kulturkanal“. Die Senatsdrucksache von vergangener Woche, in der es darum geht, ob und wie die Industriebrachflächen am Veringkanal kulturell genutzt werden können, löst bei den Kreativen im Wilhelmsburger Reiherstiegviertel Fassungslosigkeit und Wut aus.

Der Abriss der Soulkitchen-Halle sowie der explizite Verzicht auf eine stadtteilkulturelle Nutzung ihres Geländes – und auch der „Lidl-Halle“ und ihrer Nebengebäude auf dem alten Zinnhütten-Grundstück – widerspricht allen Vorstellungen, die man hier für die Zukunft des Kanalquartiers hatte.

Soul-Kitchen-Areal im Hamburger Süden: Senat erteilt Kulturkanal-Konzept eine Absage

Ob hier schon in jeder Hinsicht das letzte Wort gesprochen ist, ist zwar nicht sicher, aber das Maximalkonzept des „Kulturkanals“ an beiden Ufern des Veringkanals – er war einst die industrielle Keimzelle des heutigen Wilhelmsburg – wird sicherlich nicht verwirklicht. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte und die Hamburger Kulturbehörde bekennen sich zum Kulturkanal, aber laut Bezirksamt war das Nordufer – hier steht die Soul-Kitchen-Halle – nie Teil der Planungen.

Die alte Kaltlagerhalle in der Industriestraße105  ist, seitdem sie als Filmlocation diente, als „Soulkitchen“-Halle berühmt. Trotzdem soll sie abgerissen werden.
Die alte Kaltlagerhalle in der Industriestraße105  ist, seitdem sie als Filmlocation diente, als „Soulkitchen“-Halle berühmt. Trotzdem soll sie abgerissen werden. © dpa | Axel Heimken

Und: Das Nordufer sowie die Grundstücke an der Lidl-Halle sind Gewerbe- beziehungsweise im Norden sogar Industriegebiet. Politisch „gehören“ sie damit quasi der Wirtschaftsbehörde, und die verteidigt jeden Quadratzentimeter Gewerbefläche aggressiv. Solche Flächen sind rar, und sind sie einmal weg, kommen sie auch nicht wieder.

Um die Soul-Kitchen-Halle an sich geht es den Künstlern gar nicht so sehr

Andererseits brauchen auch die Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger diese Flächen, argumentiert Lionel Tomm von der Initiative „Kulturkanal“. „Dabei geht es uns nicht einmal so sehr um die eigentliche Soul-Kitchen-Halle, denn die ist mittlerweile tatsächlich nicht mehr zu retten“, sagt er. „Hier und auch beim alten Lidl hat sich die Stadt für eine andere Variante entschieden: So lange absperren, verfallen lassen und Initiativen ignorieren, bis man sagen kann: Muss abgerissen werden. Aber das Gelände ist für den Stadtteil als Begegnungsstätte sehr wertvoll!“

„Bei unseren Veranstaltungen kommen die einzelnen Wilhelmsburger im Laufe eines Tages immer wieder aus ihren sozialen Blasen heraus.“

Lionel Tomm
Initiative „Kulturkanal“

Die Initiative hatte, zunächst auf dem Soulkitchen-Gelände und nachdem dies 2022 großräumig abgezäunt wurde, auf dem Land rund um die alte Lidl-Halle am Veringhof, regelmäßig Open-Air-Happenings mit Live-Musik und Diskjockeys, aber auch einfach Begegnungsfeste veranstaltet. „Hier leben viele Menschen in großen Familien oder in Wohngemeinschaften. In den Wohnungen ist es eng, deshalb findet viel Leben draußen statt“, sagt Tomm. „Und das Schöne ist: Bei unseren Veranstaltungen kamen die einzelnen Wilhelmsburger im Laufe eines Tages immer wieder aus ihren sozialen Blasen heraus und mit anderen ins Gespräch, neben denen sie sonst einfach hergelebt hätten.“

Senat spricht von zwei vielversprechenden Interessenten für die Fläche am Veringhof

Die wenigen Parkanlagen im Wilhelmsburger Westen würden nicht ausreichen, um diesen Bedarf zu decken, sagt Tomm. „ Wenn eine große Fläche über Jahrzehnte leer steht, in einem Stadtteil wo Menschen auf engstem Raum leben und der Senat Angebote zur Nutzung ignoriert, und Zäune zieht, um die Fläche weitere Jahre leerstehen zu lassen, muss das skandalisiert werden.“

Restaurantbesitzer Zinos (Adam Bousdoukos) sitzt mit seinem Bruder Illias (Moritz Bleibtreu) in seiner heruntergewirtschaftete Kneipe im Kinofilm „Soul Kitchen“.
Restaurantbesitzer Zinos (Adam Bousdoukos) sitzt mit seinem Bruder Illias (Moritz Bleibtreu) in seiner heruntergewirtschaftete Kneipe im Kinofilm „Soul Kitchen“. © picture-alliance/ dpa | Corazon International

Eine Neu-Bebauung der jetzigen Brachflächen wäre sehr aufwändig, glaubt Tomm. Deshalb wäre es unwahrscheinlich, dass dort in nächster Zeit etwas passieren würde, obwohl in der Senatsdrucksache von zwei vielversprechenden Interessenten für die Fläche am Veringhof die Rede ist.

Bezirk Hamburg-Mitte bekennt sich nach wie vor zu den Zinnwerken

Für den Bezirk Hamburg-Mitte hat sich das Thema „Kulturkanal“ mit der Senatsdrucksache nicht erledigt. Zumal sich in der Drucksache für den Erhalt der „Zinnwerke“ ausgesprochen wird. „Der Bezirk bekennt sich weiterhin zu der Idee, am Veringkanal künstlerische, kulturelle und kreativwirtschaftliche Nutzungen zu etablieren und zu halten“, sagt Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer. „Auch wenn dieser Prozess erheblichen Anlauf gebraucht hat, so weit wie jetzt waren wir noch nie!“

Das Kreativquartier der Zinnwerke in Wilhelmsburg im Jahr 2018.
Das Kreativquartier der Zinnwerke in Wilhelmsburg im Jahr 2018. © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Derzeit ermittelt die städtische Sprinkenhof GmbH als Eigentümerin der „Zinnwerke“-Gebäude die Kosten einer baulichen Sanierung. Diese dürften deutlich über 10 Millionen Euro liegen, schätzt Neubauer. „Dazu kommt noch die Honigfabrik als soziokulturelles Zentrum. Hier stehen wir vor massiven Sanierungsanstrengungen und rechnen mit Kosten in Höhe von rund 20 Millionen Euro, die wir derzeit einwerben. Die Stadt wird also in den nächsten Jahren am Veringkanal sehr viel Geld in die Hand nehmen müssen und auch nehmen.“

Soulbrache Wilhelmsburg: „Haben ein Konzept, das Hamburg nicht mal etwas kosten würde“

Die ursprüngliche Idee des Kulturkanals habe vor mehr als zehn Jahren, tatsächlich noch weitere Nutzungsbausteine, wie eine Bierbrauerei, ein Hotel, eine Kita und kulturelle Nutzungen wie „Junges Theater“ umfasst, so Neubauer. „Diese Themen hat der Bezirk über Jahre hinweg versucht zu bewegen, das meiste davon ließ sich aus einer ganzen Reihe von Gründen nicht umsetzen.“

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Die Initiative „Kulturkanal“ mag das nicht gelten lassen. Gemeinsam mit der städtischen „Hamburg-Kreativ-Gesellschaft“ habe man gerade für die Soulbrache tragfähige Pläne für eine Zwischennutzung entwickelt. „Wir haben ein Konzept, das die Stadt nicht mal etwas kosten würde“, sagt Tomm.