Wilhelmsburg. Politik und Verwaltung entwickeln neue Pläne für den Veringkanal. Die Kreativen in Wilhelmsburg verhalten sich aber zurückhaltend
Geht es nach dem wahrscheinlich scheidenden Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, Falko Droßmann, soll noch im Herbst ein Konzept für die Weiterentwicklung des „Wilhelmsburger Kulturkanals“ entstehen und in der Hamburgischen Bürgerschaft zur Abstimmung kommen.
Gespräche mit den Fraktionsspitzen der Koalition, Akteuren, die bereits am Kulturkanal aktiv sind, sowie der Hamburg Invest Wirtschaftsförderungsgesellschaft (HIW) verliefen konstruktiv, sagt er. Die vorhandenen Akteure, beispielsweise die Honigfabrik und die „Zinnwerke“ sehen das skeptischer. Sie fürchten, eine zu starre Planung könnte der kreativen Atmosphäre am Kanal abträglich sein. Von echter Planung ist man allerdings noch einige Schritte entfernt. Zunächst geht es um eine Vor-Machbarkeitsstudie.
Pläne für die leerstehenden Gewerbebauten an den Ufern
Bereits zu Zeiten von Bezirksamtsleiter Markus Schreiber wurde begonnen, den nördlichen Teil des Veringkanals für die Öffentlichkeit besser zugänglich zu machen. Dies geschah im Vorwege der IBA, um den traditionell skeptischen Wilhelmsburgern zu kommunizieren, dass auch sie von der Bauausstellung profitieren würden. Parallel dazu wurde überlegt, was man mit den leerstehenden Gewerbebauten an den Ufern anfangen könnte. Die Idee des „Kulturkanals“ als „Cluster der Kreativwirtschaft“ nahm Formen an und wurde erstmals 2013 vom damaligen Bezirksamtsleiter Andy Grote offiziell formuliert. Viele Wilhelmsburger Akteure machen sich seitdem ihre Gedanken darum
Erweiterung des Kulturkanals noch vor der Bundestagswahl
Falko Droßmann möchte das Projekt noch vor der Bundestagswahl auf die Zielgerade schieben. Der Grund: Er kandidiert selbst für den Bundestag und hat sehr gute Chancen den Wahlkreis 18 (Hamburg-Mitte ohne Wilhelmsburg, aber mit dem Süden von Nord) auch zu gewinnen. Dann wäre er nicht mehr Bezirksamtsleiter.
Die Idee zum Kulturkanal musste Droßmanns Vorgänger Grote sich nicht selbst ausdenken. Die „Cluster der Kreativwirtschaft“ hatten das Areal längst für sich entdeckt, unter anderem, weil am Nordende des Kanals bereits seit den 1980er Jahren das Kommunikationszentrum Honigfabrik Kulturvolk anzieht, und weil der Filmemacher Fatih Akin eine gammelige Fabrikhalle am Westufer als „Soul Kitchen“ zum Denkmal machte.
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Im kleinteiligen Gewerbehof gegenüber der Honigfabrik siedelten sich neben einigem herkömmlichen Gewerbe immer mehr Ateliers und Kunsthandwerker an, mit dem „TurTur“ eröffnete eine ausgefallene Mischung aus Pizzeria und Technoclub und einige Dutzend kleine Firmen und Selbstständige - Filmschaffende, Künstler, Journalisten, Kreativhandwerker – schlossen sich in alten Gebäuden der ehemaligen Wilhelmsburger Zinnhütte zur Mietergemeinschaft „Zinnwerke e.V.“ zusammen.
Tummelfeld für Kreative und Veranstalter von Festivals
Am Südende des Kanals laden „Dockville“ und „Artville“ in Nicht-Pandemie-Zeiten zu jährlichen Festivals ein. Dazwischen allerdings gibt es noch Potenziale und die sollen entwickelt werden. Da sind zum einen mehrere Brachen auf der Westseite des Kanals, da ist aber auch ein großer Rest des ehemaligen Zinnhüttengeländes am Ostufer. „Und auch der Teil, auf dem wir mit den Zinnwerken schon sind, hat noch Nutzungspotenziale“, sagt Zinnwerke-Sprecher Marco Antonio Reyes de Loredo.
Einfach alle Brachen zu überplanen, geht nicht. „Die Westseite des Kanals ist im Bebauungsplan als Industriegebiet ausgewiesen“, sagt Bezirksamtsleiter Droßmann, „das können wir leider nicht ändern.“
Hamburger Senat will nicht auf die Ausweisung verzichten
Das meint er nicht juristisch, denn rein rechtlich können Bebauungspläne jederzeit durch die Kommunalpolitik geändert oder gar ganz zurückgenommen werden. Der Grund ist politisch. Gibt die Wirtschaftsbehörde ein Industriegebiet für andere Nutzungen ab, erhält sie dafür kein Neues. Deshalb verteidigt sie mittlerweile jedes Hamburger Industriegrundstück vehement.
„Es kommt nun darauf an, für die Westseite eine industrielle Nutzung zu finden, die möglichst wenig Störpotenzial für die Menschen auf der anderen Seite des Kanals hat und die am besten auch noch mit möglichen Nutzungen auf der Ostseite korrespondiert“, sagt Droßmann, „und dafür suchen wir gerade Ideen. Wir sind damit schon ziemlich weit.“
Gewachsene Struktur soll erhalten und entwickelt werden
Bewährtes, wie die Zinnwerke, soll dabei erhalten bleiben. „Die gewachsenen Strukturen vor Ort sollen gestützt und weiterentwickelt werden“, heißt es in einem internen Vermerk. „Es wird ein Nutzungs- und Städtebau-Szenario entwickelt, mit welchem sowohl eine Akzeptanz aller Interessens- und Anspruchsgruppen vor Ort als auch neue Wertschöpfungsmöglichkeiten des Standortes angestrebt werden.“
Heiko Schulz, Urgestein des Honigfabrik-Leitungsteams sieht die Planungsbestrebungen skeptisch: „Hier ist in den letzten Jahren so viel Gutes von allein und in gegenseitiger Unterstützung entstanden“, sagt er. „Auf diese Kräfte sollte man weiter vertrauen!“Auch Marco Antonio Reyes de Loredo ist beim Gedanken an einen durchgeplanten Kanal nicht wohl: Der Stadtteil ist in einem rapiden Wandel und die Bedürfnisse ändern sich“, sagt er. „Da brauchen wir anpassungsfähige Prozesse.“ Ganz ohne übergeordnete Planung besteht allerdings eine ganz andere Gefahr: Dann könnte sich jede Art von Gewerbe und Industrie auf den Grundstücken am Kanal ansiedeln – auch Betriebe, die nicht zum neuen, kreativen Stadtteil passen.