Harburg. Viele Abgeordnete, die Harburgs Politik prägten, treten nicht neu an. Was sind ihre Gründe und was lief im Hintergrund? Eine Analyse.
Die linke Seite des großen Saals im Harburger Rathaus glich einem Blumenmeer, als die Bezirksversammlung dort zum letzten Mal in dieser Wahlperiode tagte: Gleich 14 Ehrensträuße warteten dort darauf, vom Präsidium an die Abgeordneten übergeben zu werden, die am 9. Juni nicht noch einmal zur Wahl stehen.
Darunter war auch einer, der sich die Blumen selbst hätte übergeben müssen: der Vorsitzende der Bezirksversammlung, Jürgen Heimath (SPD). Mit ihm, Ralf Dieter Fischer (CDU), Frank Wiesner (SPD) und Viktoria Ehlers (FDP) treten einige „Schwergewichte“ ab, die über viele Jahre die Harburger Politik geprägt haben.
Nicht alle gehen freiwillig. Und auch unter denen, die nur für eine Wahlperiode dabei waren, sind welche, die Spuren und Lücken hinterlassen. Ausgerechnet die Verkehrspolitik wird doppelt Expertise verlieren.
Bezirkswahl 2024: Ein Abgeordneter wird Harburg besonders fehlen
Jürgen Heimath wurde 1992 zum ersten Mal Bezirksabgeordneter. 2001 wurde er Fraktionsvorsitzender der SPD, die damals erstmalig in ihrer eigenen Hochburg Harburg in die Opposition geraten war und einer Koalition aus CDU und Schill-Partei, sowie später einer Schwarz-Grünen Koalition sehr kritisch auf die Finger schaute.
Heimath ist gelernter Maurer mit einer Zweitlaufbahn im Polizeidienst. Neben dem Schichtdienst bei der Kripo und der politischen Tätigkeit in Partei, Bezirk und Gewerkschaft, schaffte er es zeitweilig auch noch, den Sportverein TuS Harburg ehrenamtlich zu führen.
Als Politiker ist Jürgen Heimath ein Mann der leisen Töne und stillen Diplomatie, der Koalitionen und Bündnisse schmieden kann wie wenige andere. 2019 gab er den Fraktionsvorsitz der SPD ab und übernahm den Vorsitz der Bezirksversammlung. Deshalb ist der 78-Jährige auch noch nicht ganz aus dem Geschäft. Am Dienstag tagt noch einmal der Hauptausschuss der Bezirksversammlung mit Jürgen Heimath als Sitzungsleiter.
Fischer führte seine Fraktion als Junior- oder Seniorpartner in drei Koalitionen
Ralf-Dieter-Fischer (CDU) ist seit 2004 Mitglied der Bezirksversammlung und seitdem auch Vorsitzender der christdemokratischen Fraktion. Damit hatte seine Abgeordnetenkarriere allerdings nicht begonnen: Von 1982 bis 1997 war Fischer bereits Bürgerschaftsabgeordneter. Als ihm einmal Ambitionen nachgesagt wurden, Bezirksamtsleiter werden zu wollen, soll er mit den Worten: „Mir ist egal, wer unter mir Bezirksamtsleiter wird“ geantwortet haben, die besonders seinen Parteifreund, den damaligen Bezirksamtsleiter Torsten Meinberg, geschmerzt haben dürften.
Fischer führte seine Fraktion als Seniorpartner in Koalitionen mit der Schill-Partei und den Grünen, als Juniorpartner in einer Koalition mit der SPD. Der scharfe und bissige Redestil Fischers, der für den rhetorischen Effekt auch mal Fakten frei interpretiert, ist ein Markenzeichen des erfahrenen Rechtsanwalts. Seine Redebeiträge werden vielen, auch seinen politischen Gegnern, fehlen.
In der Rot-Schwarzen Koalition war es der Gegensatz zwischen dem leisen Stil Jürgen Heimaths und dem lauten Fischer, der manchmal den Eindruck machte, hier würde der Schweif CDU mit dem Hund SPD wedeln. Als Fraktionsvorsitzender wird auch Fischer noch an der Hauptausschusssitzung teilnehmen. Wenige Tage zuvor wird er 76 Jahre alt.
Expertise in Verkehrsfragen machte Wiesner zu einem der bekanntesten Abgeordneten
Auch Frank Wiesner (SPD) ist ein langjähriger Bezirksabgeordneter. 1992, im selben Jahr wie Jürgen Heimath, nahm er erstmals im Harburger Rathaus Platz, wechselte von 2011 bis 2015 in die Bürgerschaft und ist seit 2019 wieder Bezirksabgeordneter. Auch zwischen 2015 und 2019 griff seine Partei auf die Sachkenntnis des studierten Verkehrsplaners zurück und schickte ihn als zubenannten Bürger in den Verkehrsausschuss.
Seine Expertise in Verkehrsfragen machten Wiesner zu einem gefragten Ansprechpartner der Medien und einem der bekanntesten Abgeordneten. Dass die SPD den 56-Jährigen gerade in diesen Jahren der Großbaustellen auf Straße und Schiene nicht erneut aufstellte, ist vielen Leuten außerhalb der Partei unbegreiflich. Innerhalb der Partei weiß man: Die Gruppe, der Wiesner angehört, verlor den innerparteilichen Machtkampf.
Viktoria Ehlers: FDP hängte ihr Sprachrohr und Aushängeschild im Losverfahren ab
Nicht ganz so lange wie die zuvor Erwähnten, ist Viktoria Ehlers (FDP) Abgeordnete gewesen. Wie auch? Als Heimath und Wiesner erstmals antraten, war die heute 31-Jährige noch gar nicht auf der Welt. Dennoch machte sie in den vergangen zwölf Jahren Eindruck, verschaffte – stets in der Opposition – liberalen Positionen vehement und eloquent Gehör. Parallel diplomierte sie in Politologie. Ehlers war Aushängeschild und Sprachrohr ihrer Partei in Harburg.
Bei der Kandidatenaufstellung für diese Wahl kam es überraschend zu einer Kampfabstimmung zwischen ihr und ihrem Parteifreund Dirk Kannengießer, den bis dahin niemand auf dem Schirm hatte und ehrlicherweise bis heute nicht hat.
Es gab ein Stimmenpatt, das Los entschied, Ehlers verlor. Sie hängt die Politik vorerst an den Nagel. Ihre Netzwerkerfähigkeiten sicherte sich das Harburger DRK. Dort ist sie seit Kurzem für das Einwerben von Spenden und Fördergeldern zuständig.
Nur kurz dabei, trotzdem Eindruck hinterlassen
Bei den Grünen scheiden vier Abgeordnete aus, die nur in der vorigen Wahlperiode dabei waren und teilweise dennoch Erinnerung hinterlassen: Corine Veithen, David Ghrim, Fabian Klabunde und Peter Schulze.
Klabunde tat sich als großer Streiter für die Verkehrswende hervor, der konsequent den Ausbau von Fahrradstraßen, den Abbau von Parkplätzen und das Aufstellen von Tempo-30-Schildern einforderte, bis er selbst beim Koalitionspartner SPD sauer aufstieß. Peter Schulze leitete ebenso geräuschlos wie kompetent den Jugendhilfeausschuss in der zweiten Hälfte der Wahlzeit. Corine Veithen machte sich für Themen des Alten Landes stark und Ghrim für Moorburg.
- Harburgs SPD kantet ihren Verkehrsexperten raus
- SPD-Eklat in Harburg: Torsten Fuß verlässt die Partei
- Hochwasserschutz: Warum die Planung auf Eis liegt
Mit Ulla Taha verabschiedet sich bei den Linken eine engagierte stellvertretende Fraktionsvorsitzende, die vor allem sozialpolitische Themen vorantrieb. Bei der CDU gehen außer Ralf-Dieter Fischer auch die Abgeordneten Antje Jaeger und Jens Ritter. Der aus der SPD-Fraktion ausgetretene Torsten Fuß tritt auch für keine andere Partei mehr an. Bei der AfD treten Matthias Arft und Jürgen Bischof ab.