Harburg. Geschäft für preiswerte Waren rettet sich selbst vor der Schließung – und steht mit der Wiedereröffnung mehr Kunden offen als je zuvor.
Neuer Name, neues Konzept, neue Jobs: Das Harburger Sozialkaufhaus an der Straße Küchgarten hat nach knapp zweimonatiger Umbaupause seit Dienstag wieder geöffnet. Es heißt jetzt nicht mehr „fairKauf“, sondern „fairedelt“ und ist zum „Kaufhaus für alle“ geworden. Anders als in den 14 Betriebsjahren zuvor können nun nicht nur einkommensschwache Menschen, sondern alle Harburgerinnen und Harburger hier einkaufen.
Wer kein niedriges Einkommen nachweisen kann, zahlt etwas mehr, bei Kleidung das Doppelte. Das Kaufhaus ist jetzt – auf verkleinerter Fläche – räumlich großzügiger gestaltet. Und hat eine gute Zukunftsperspektive. Am Eröffnungstag sind viele glückliche Gesichter zu sehen.
Sozialkaufhaus „fairedelt“ in Harburg: Glückliche Angestellte und Kunden beim Neustart
Die Angestellten haben ihre Arbeit und damit oft auch ihren Lebensinhalt nicht verloren, sondern können sich sogar zu besseren Konditionen weiterentwickeln. Mit dem Ziel, im ersten Arbeitsmarkt eine Chance zu bekommen. Die Kunden sind ebenfalls froh, einige begrüßen die Verkäuferinnen mit einer Umarmung. Für sie ist das Angebot von gut erhaltenen, hochwertigen Möbeln, Kleidung, Kindersachen und Haushaltswaren zu Niedrigstpreisen sehr wichtig.
Auch Agnieszka Biskup strahlt. Die Mitarbeiterin des Trägervereins In Via wird das Warenhaus leiten. „Wir hatten gehofft, schon Anfang März öffnen zu können, aber die Umbauarbeiten nahmen dann doch mehr Zeit in Anspruch.“ Im Rahmen eines Sparprogramms, das die Kaufhausbetreiber im Herbst 2023 starten mussten, wurde das erste Stockwerk, in dem unter anderem Büros und ein Café untergebracht waren, an den Vermieter zurückgegeben.
Damals stand das Überleben des Kaufhauses auf der Kippe. Es war klar, dass das Jobcenter Hamburg die Förderung von Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose („Ein-Euro-Jobs“) drastisch zusammenstreichen wird. Diese sogenannten AGH-Stellen liefen am Küchgarten Ende Januar 2024 aus. Betroffen waren knapp 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und durchschnittlich 300 Kunden pro Tag.
Geförderte „normale“ Arbeitsverträge erweitern das Kundenspektrum
In Via-Geschäftsführerin Sandra Kloke hat sich deshalb um einen anderen Förderweg bemüht: die Förderung nach dem Paragrafen 16i unter dem Stichwort „Teilhabe am Arbeitsmarkt“. Dabei werden „normale“ Arbeitsverträge abgeschlossen, und der Arbeitgeber erhält von den Jobcentern über fünf Jahre hohe Lohnkostenzuschüsse. In den ersten zwei Jahren wird der Lohn komplett übernommen, im dritten bis fünften Jahr reduziert sich die Förderung jeweils um zehn Prozentpunkte.
Zunächst wurde die neue Förderung nur für ein Jahr zugesichert. Jetzt sieht es so aus, dass es zumindest bis einschließlich 2028 weitergeht. „Uns war es wichtig, dass das Arbeitsangebot für Menschen, die aktuell auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben, erhalten bleibt“, sagt Kloke. „Wir können hier Unterstützung leisten, mit dem Ziel, sie im ersten Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Dazu tragen die regelmäßige Arbeit, der Kontakt mit Menschen sowie Beratung und Schulung bei. Wir dürfen auch ausbilden. Das würden wir gern wieder machen.“
Wer nicht bedürftig ist, zahlt mehr – aber immer noch wenig
Die neue rechtliche Basis der Arbeitsverträge lässt es zu, dass das Kaufhaus nicht mehr auf sozial Bedürftige beschränkt ist. Vielmehr kann jetzt jede und jeder hier einkaufen. Hauptzielgruppe bleiben die einkommensschwachen Menschen, so Kloke. Sie zählt dazu auch Studierende. Neben Bürgergeldempfängern können sie jetzt ihren Studentenausweis vorlegen und bekommen dann einen fairedelt-Ausweis, der zum Einkauf zu den niedrigeren Preisen berechtigt.
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Kunden ohne Ausweis zahlen mehr für die Secondhand-Ware. Ein Sofa kostet dann beispielsweise 150 statt 120 Euro, eine lange Hose acht statt vier Euro, ein Wintermantel 20 statt zehn Euro. Wem das noch zu wenig ist, kann mehr bezahlen. Der Spendenanteil ist herzlich willkommen – „wir brauchen eine sechsstellige Summe an Eigeneinnahmen“, sagt Kloke. Schließlich müssen Miete, Verwaltungskosten und weiteres bezahlt werden. Auch Transporte. Denn weiterhin werden Möbel von Spendern abgeholt oder an Kunden ausgeliefert.
Angestellte hatten darauf gesetzt, dass es weitergeht
13 Langzeitarbeitslose, fünf Hauptamtliche und drei regelmäßig arbeitende Ehrenamtliche betreiben gemeinsam das Sozialkaufhaus. Auch Petra Möller und Ivonne Nauer, die zuvor schon am Küchgarten gearbeitet hatten, haben jetzt einen neuen, geförderten Arbeitsvertrag und sind überglücklich. „Mir bedeutet das sehr viel“, sagt Möller. „Ich arbeite hier, mit zwei Unterbrechungen, seit 2017 und habe voll darauf gesetzt, dass es hier weitergeht.“
Längere Öffnungszeiten, wenn 15 offene Stellen besetzt sind
Das hat auch Ivonne Nauer: „Hier kennt man die Leute, alles ist so vertraut“, sagt die Neuwiedenthalerin. Sie hatte in der Textilwerkstatt gearbeitet und darauf gehofft, in die benachbarte Upcycling Manufaktur von In Via wechseln zu können, falls das Kaufhaus geschlossen wird. In der Manufaktur werden aus gebrauchten Festivalplanen und ähnlichem bunte Rucksäcke, Bauch- und Handtaschen gefertigt.
Derzeit ist das Sozialkaufhaus montags bis freitags von zehn bis 16 Uhr geöffnet. „Wir würden gern bis 17 Uhr öffnen und vielleicht auch am Sonnabendvormittag, aber dazu fehlt uns Personal“, sagt Kaufhaus-Chefin Agnieszka Biskup. 15 offene Stellen seien noch zu besetzen. Dabei müssen die Bewerber verschiedene Kriterien des Jobcenters erfüllen. „Interessenten können sich gern hier im Kaufhaus melden“, sagt Biskup. Oder sie schicken eine E-Mail an bewerbung@invia-hamburg.de.