Harburg. Harburger Institution soll geschlossen werden – dabei hat sie manchen Menschen aus der sozialen Isolation geholfen. Ein Ortsbesuch.
„Kranke Menschen, Spender und Kunden: Alle sind hier glücklich. Ich hoffe, dass dieser Laden weiter Menschen glücklich macht.“ Nurdzhihan Emin sitzt an einem Bürotisch im Harburger Sozialkaufhaus fairKauf am Küchgarten. Die Bulgarin arbeitet hier seit gut einem Jahr als Verkäuferin und hat durch ihren vom Jobcenter vermittelten Ein-Euro-Job im Sozialkaufhaus zurück ins Leben gefunden. Jetzt bangt sie zusammen mit ihren Kollegen um die Existenz der sozialen Einkaufstätte.
Seit September steht das faire Kaufhaus mit seinen rund 60 Mitarbeitern vor dem Aus. Nach einer vom Bund verordneten Sparmaßnahme beim Jobcenter Hamburg soll die Förderung von Langzeitarbeitslosen stark eingeschränkt werden. Nach heutigem Stand wird das Harburger Kaufhaus zum 31. Januar 2024, dem Ende der aktuellen Förderperiode, schließen müssen.
Harburg: Sozialkaufhaus muss wegen Sparmaßnahmen schließen
Für Emin grenzt das an eine Katastrophe. Seit Oktober 2022 arbeitet die 53-Jährige im Secondhand-Geschäft, das von Sachspenden lebt. „Ich habe Depressionen und einen kranken Rücken“, sagt sie. „Hier helfen mir die Kollegen, wir sind wie eine Familie. In normalen Läden ist der Arbeitsdruck so hoch, dass man sich nicht gegenseitig helfen kann. Eine unserer Kollegin ist zum Beispiel kleinwüchsig. Wenn sie irgendwo nicht ankommt, hilft ihr jemand. Eine andere Kollegin hat Krebs. Auch für sie sind die sozialen Kontakte sehr wichtig.“
Vor sieben Jahren kam Nurdzhihan Emin nach Deutschland. Sie folgte ihrem Sohn. „Ich konnte nicht allein leben. Ich habe nur einen Sohn. Mein Mann ist verstorben.“ Zuvor arbeitete die Bulgarin 15 Jahre in der Türkei, als Altenpflegehelferin. Durch das schwere Tragen beim Umlagern von Patienten erlitt sie zwei Bandscheibenvorfälle. Einer wurde noch in Bulgarien operiert, der andere am UKE in Hamburg. „Ich brauche eigentlich eine dritte Operation, aber ich möchte nicht“, sagt sie.
Herzlicher Umgang unter Kollegen hilft gegen Depressionen
Sie sei zum Arbeiten nach Deutschland gekommen, versichert Emin. Aber sie könne nicht lange stehen, müsse zwischendurch sitzen. Sie nimmt regelmäßig Schmerzmittel und ist durch die starken Rückenprobleme depressiv geworden. Jemand wie sie findet keinen regulären Job, davon ist Emin überzeugt.
Umso mehr genießt sie es, im Sozialkaufhaus arbeiten zu können: „Wegen meiner Depression war ich immer zu Hause geblieben. Ich konnte nicht kommunizieren, nicht mit Leuten reden. Vor allem nicht in größeren Gruppen. Hier spreche ich mit den Kunden. Und in den Abteilungen arbeiten immer nur drei, vier Kollegen. Das ist für meine Depression gut; hier fühle ich mich viel besser als früher.“ Ihre liebste Abteilung ist die Herrenbekleidung. Dort startete sie vor einem Jahr.
Hier können sich auch finanzschwache Harburger das Einkaufen leisten
Auch in der Damen- und Kinderbekleidung sowie den Haushaltswaren ist sie aktiv. Und spricht inzwischen recht gut Deutsch: „Als ich kam, konnte ich nur wenig Deutsch sprechen. Jetzt geht es besser. In jeder Abteilung lerne ich neue Worte hinzu.“ Durch ihre eingeschränkte Mobilität sei es wichtig, dass sie keine weiten Wege zur Arbeit habe, sagt sie. Nachdem die Neu-Harburgerin zunächst bei ihrem Sohn gewohnt hatte, lebt sie inzwischen in einer eigenen Wohnung im Phoenix-Viertel. Sie sei viel selbstständiger geworden, sagt Emin: „Ich gehe jetzt allein zum Arzt oder einkaufen.“
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Als Nurdzhihan Emin durch das Kaufhaus läuft, wird sie von Kolleginnen begrüßt und umarmt. Sie genießt die menschliche Wärme sichtlich. Und sorgt sich nicht nur um das Kaufhaus-Team, sondern auch um die Kundschaft: „Hier können arme Harburger einkaufen, für die normale Geschäfte zu teuer sind.“ Sie selbst werde in der Freizeit öfters zur Kundin, kauft dann für ihren einjährigen Enkel ein. „Meine Schwiegertochter sagt mir, dass sie für eine Jacke 30 Euro zahlen müsste. Hier bekommen wir eine für drei Euro.“
Kollegin, die in Rente ging, macht ehrenamtlich weiter
„Dieser Laden ist auch für Spender gut“, fährt sie fort und blättert in ihren handschriftlichen Notizen in einem DIN-A-5-Heft – ihre Vorbereitung auf das Gespräch mit dem Abendblatt. „Erwachsene sind Vorbilder für ihre Kinder. Wenn ein Kind ein gut erhaltenes Spielzeug nicht mehr mag, kann die Mutter ihm erklären, dass sie es in den Laden bringt, damit ein anderes Kind damit spielen kann. So lernen Kinder den Wert ihrer Sachen kennen.“ Das Kaufhaus sei einfach für alles gut, meint die angelernte Verkäuferin, die einst in Bulgarien Abitur gemacht hatte.
Und kommt auf die ehrenamtlichen Helfer zu sprechen: Eine Kollegin, die kürzlich in Rente gegangen sei, komme nun regelmäßig ehrenamtlich vorbei, um weiter Kontakt zu haben. Das komme häufiger vor, ergänzt Marianne Sorokowski, die das Sozialkaufhaus leitet. Emin erzählt von einer anderen Helferin, die sich jahrelang nicht aus dem Haus traute. „Irgendwann hat sie sich überwunden und begann, mit uns zu arbeiten. Erst einmal in der Woche, dann zweimal, und seit Oktober sogar dreimal pro Woche.“
Harburger fordern: Das Sozialkaufhaus soll überleben
Marianne Sorokowski ist bei dem Gespräch mit dem Abendblatt dabei. „Das geht einem schon nah“, sagt sie über das, was sie gerade hörte. Sie hofft, dass der Trägerverein In Via und der Bezirk Harburg eine Lösung finden und das Kaufhaus weiterleben lassen, sollten die Sparvorgaben tatsächlich wie angekündigt Ende November im Bundeshaushalt beschlossen werden. Eines steht bereits fest: Das Sozialkaufhaus wird sich verkleinern. „Wir mussten angesichts der unsicheren Zukunft die obere Etage zum Jahresende kündigen“, sagt die Sozialmanagerin. „Damit verlieren wir unser Café, die Textilwerkstatt, Büro- und Lagerräume.“
Mehr als 2000 Menschen haben sich in einer Unterschriftensammlung für das Sozialkaufhaus eingesetzt. Ziel sei es, zumindest den fairKauf im Erdgeschoss zu halten, inklusive Möbel, so Sorokowski. Für die Angestellten und Kunden. „Das Warenhaus muss bleiben, es ist ein schöner Ort“, sagt Nurdzhihan Emin. „Wir möchten unser neues Leben weiterleben. Es soll sich nicht wieder verschlechtern.“